FolkWorld #61 11/2016

CD & DVD Rezensionen

Wolfgang Rieck "Der Singende Mann"
Bluebird Cafe Berlin Records, 2016

www.wolfgang-rieck.de

Das neue Album vom Mecklenburgischen Folksänger Wolfgang Rieck hat eine wunderschöne Magie, die mich nicht loslässt. Auf seinem Album "Der singende Mann" finden sich sowohl eigene Lieder als auch Liedversionen von Gedichten von Theodor Kramer und Joachim Ringelnatz. Die meisten Lieder sind in Hochdeutsch, doch gibt es auch drei charmante plattdeutsche Lieder.
Die meisten Lieder erzählen Geschichten - und ganze drei Lieder von Wolfgang Rieck auf diesem Album wurden inspiriert duch Skulpturen von Ernst Barlach: Wunderschö:ne Lieder angeregt vom vom "Singenden Mann", vom "Bettler" und dem "Tanzenden Alten" (das plattdetuschte Ohrwurm-Lied "Un sei danzt").
"Vergessene Helden" ist ein beeindruckender gesprochener Text mit gesungenem Refrain von einigen der deutschen Helden, die im zweiten Weltkrieg unter Einsatz ihres Lebens Leben der von den Nazis verfolgten gerettet haben. Wolfgang's Lied "Glücklich" wiederum ist ein positives Lied über die einfachen Glücke im Leben, während Ringelnatz's "Liedchen" ein toll interpretiertes unsinniges Lied ist. Die Musikinterpretationen sind hervorragend, mit Gitarren, einem Bläserquartett, einem Streichquartett, Piano, Akkordeon, Violine, Harfe und mehr.
Was für ein brillantes Album - das beste deutschsprachige Folkalbum, das ich seit langem gehört habe.
© Michael Moll


Nobody Knows "Urbane Camouflage"
Prosodia, 2016

Artist Video

www.nobodyknows.de

Diese Band hat sich auf ihrem neuen Album einer sarkastischen Betrachtung des klein- (und groß-) städtischen Deutschlands gewidmet, bespickt mit Sozialkritik - von AfD zu political correctness - aber auch reichlichem Humor. Deftige Sprache gehört oft dazu, die manch einer wohl zum Teil leicht anstößig finden mag. Die Texte sind schon recht clever und bissig, und beschreiben zum Teil äußerst zutreffend deutsche Sozialkultur - die kleinstädtische Unterhaltung über den Gartenzau unter "Was ich hier noch soll" bringt mich zurück in meine Kindheit...
Die musikalische Begleitung ist abwechslungsreich und eingängig, und die Musik sitzt zwischen vielen Stilen - Folk, Gipsy, Rock, ein bisschen Punk, Country und World - ein ansprechende Mischung. Mit Gitarren, Geige, Blechblasinstrumenten, Schlagzeug und Gitarren bietet Nobody Knows auch eine Klasse Instrumentierung.
© Michael Moll


Jormsons Kapell "Trollska"
Eigenverlag, 2016

www.jormsonskapell.de

Ohne zuvor die CD-Hülle angeguckt zu haben, war ich sehr angetan von dieser schwedischen Folkband, von der ich nie zuvor gehört hatte. Und dann sehe ich auf der CD-Hülle - Jormsons Kapell kommt aus nicht ganz so nordischen Gegenden, kommen die fünf Männer doch aus Berlin! Das hört man der Musik nicht an - wunderbare gut gespielte schwedische Tanzmusik, von Polkkas über schottis zu Vals. Dabei bringen die Musiker Erfahrungen aus verschiedenen europäischen Folk und Jazz ein, was die Musik zwar bereichert aber dennoch vollkommen schwedisch klingen lässt. Mit Geigen, Akkordeon, Bass und Gitarre stellen die Musiker ein volles Klangbild her, das mit zwei Liedern weiter bereichert wird. Hervorragende, tanzbare Musik.
© Michael Moll


Billy Bragg & Joe Henry "Shine A Light"
Cooking Vinyl, 2016

Artist Video

www.billybragg.co.uk

Der britische Singer/Songwriter/Aktivist Billy Bragg[13][23] macht wie viele seiner Landsleute keinen Hehl aus seinem Interesse und seiner Leidenschaft für Musik und Mythos der Vereinigten Staaten von Amerika. Vor 15 Jahren würdigte er mit "Mermaid Avenue" seinem musikalischen und weltanschaulichen Ahnen Woody Guthrie.[48] Nun hat er sich dem ur-amerikanischen Mythos Eisenbahn angenommen: »Eisenbahnlieder lieferten das Fundament der amerikanischen Popmusik, von Jimmie Rodgers, dem singenden Bremser, bis zu Lead Belly. In diesem Land entfachte Lonnie Donegans 1956er-Hit "Rock Island Line" die Skiffle-Begeisterung und inspirierte eine Generation britischer Teenager, Gitarren in die Hand zu nehmen und die Bands zu gründen, die in den 1960ern in Amerika einfielen, von den Beatles bis Led Zeppelin.«
Im März 2016 bestiegen Billy Bragg und sein Freund und Kollege Joe Henry einen Zug in Chikago und reisten in 65 Stunden über 4.000 Kilometer bis Los Angeles. An den Haltestellen, in Wartehäuschen und am Rand des Gleises von St. Louis, Fort Worth, El Paso und Tucson bauten sie ihre Tonbandgeräte auf und spielten klassische Railroad Songs. "Shine A Light - Field Recordings From The Great American Railroad" enthält 13 Stücke, die von Lead Belly ("Rock Island Line", "The Midnight Special", "In The Pines"), der Carter Family ("Railroading On The Great Divide"), Woody Guthrie ("Hobo’s Lullaby"), Hank Williams ("Lonesome Whistle"), Jimmie Rodgers ("Waiting For A Train"),[31] Jean Ritchie ("The L&N Don’t Stop Here Anymore"),[57] Doc Watson ("John Henry"),[52] John Hartford ("Gentle On My Mind"),[43] Gordon Lightfoot ("Early Morning Rain")[28] u.a. geschrieben oder popularisiert worden sind. "Shine A Light" ist ein stimmungsvoller Reisebericht und eine musikalische Lehrstunde, vor allem aber eine Sammlung großartiger, formvollendet interpretierter Folksongs.
© Walkin' T:-)M


Brian Berryman & Cornelius Bode "Almost Home"
Eigenverlag, 2016

English CD Review

Artist Video

www.brianberryman.com

Brian Berryman[22] ist ein klassisch geschulter Flötist aus dem kanadischen Nova Scotia, der seit zwei Jahrzehnten in meiner Nachbarstadt Braunschweig lebt. Er musiziert vor allem mit Alte-Musik-Ensembles, hat aber nebenbei auch immer, wie ich aus Nähe und Ferne erleben durfte, traditionelle irisch-schottische Folkmusik gespielt. Er sagt selbst von sich und seinem Spiel: »Nach fast zwei Jahrzehnten Sessions und Konzerte habe ich mich damit abgefunden, klassische Akzente in meinem Spiel zu haben, so wie ich niemals ganz Deutsch klingen werde trotz des jahrelangen Versuchs. Ich werde nie ein Einheimischer sein, aber genausowenig bin ich ein beiläufiger Besucher. Ich fühle mich willkommen. Es ist ein großes Privileg und ein Glück, fast zu Hause zu sein.«
Das Album "Almost Home", aufgenommen von Steffen Gabriel[44][53][58] und gemastert von Robbie Ballhause,[54] enthält nur 5 Titel, allerdings sind diese jeweils etwa 8 Minuten lang. Das den bunten Reigen eröffnende Set eines Strathspeys und drei Reels aus dem Repertoire der kanadische Fiddle-Legende Buddy MacMaster ist charakteristisch und gleichsam Programm; mit jedem neuen Tune wird das Tempo leicht erhöht. Das gilt auch für die folgenden Sets, die auf Ashley MacIsaac, Natalie MacMaster und Jerry Holland als Quelle und Inspiration verweisen. (Man merkt, dass die Flöte nicht unbedingt die erste Wahl in der kanadischen Musik ist!) Der Abschluss beginnt mit einer elegischen Fassung des Tommy-Coen-Reels "Christmas Eve", der dann an Fahrt aufnimmt und in das schwungvolle "Far from Home" (nomen est omen!) übergeht. Unterstützung findet Brian Berryman in dem Hannoveraner Gitarristen Cornelius 'Zorny' Bode (Emerald,[51] Land's End Sessions),[58] der für einen verlässlichen Groove sorgt.
© Walkin' T:-)M


Runa "Live"
Eigenverlag, 2016

Article: An Irresistible Excitement and Rawness

Article: The Donside Emigrant's Farewell

www.runamusic.com

Die irisch-amerikanische Folkformation Runa schlägt seit geraumer Zeit Wellen sowohl jenseits als auch diesseits des Großen Teichs. Die mitreissende Mischung aus modernem keltischen und amerikanischen Folk erklärt sich aus der künstlerischen wie geographischen Mannigfaltigkeit der einzelnen Bandmitglieder. Runa besteht zur Zeit aus Sängerin Shannon Lambert-Ryan (Philadelphia, USA), Gitarrist Fionán de Barra (Dublin, Irland), Perkussionistin Cheryl Prashker (Kanada), Mandolinist Dave Curley (Galway, Irland) und Geigerin Maggie Estes (Kentucky). Nach vier vorzüglichen Studioalben[41][45][51][55] hat Runa nun eine Live-Aufnahme vom Paddy's Day 2016 im BlackRock Center for the Arts in Germantown, Maryland, folgen lassen, die perfekt die Atmosphäre eines Runa-Konzerts einfängt. Der Veranstaltungsort ist bis auf den letzten Platz belegt, das Publikum ist in Feierlaune und reagiert auf jede Aktion des Quintetts.
Es ist ein musikalischer Trip von Schottland und Irland nach Nova Scotia und die Appalachen: "Fionnghuala" und "A Stór, A Stór, A Ghrá" aus dem keltischen Sprachraum, "Bedlam Boys" von den Britischen Inseln, Claude Elys "Ain't No Grave" aus den 1930ern und "Paddy's Lamentations" (alias "By the Hush") aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Da ist ein ironisches Augenzwinkern, wenn im Mittelteil der alten Ballade über den "False Knight on the Road" "Sunshine on a Cloudy Day" von der Soulformation The Temptations angestimmt wird. Tiefe gewinnt das Walfängerlied "Farewell to Tarwathie", wenn es mit Andy Barnes "Last Leviathan" aus der Perspektive des gejagten Meeressäugers verflochten wird. (Das haben übrigens die schottischen Folkrocker Wolfstone schon mal mit "Bonnie Ship the Diamond" gemacht.)
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New Road "Stone Walls & Street Lights"
Whirling Discs, 2016

English CD Review

www.newroadmusic.com

Welche Straße soll diese sein? Die nach Lisdoonvarna, die durch die Hügel Leitrims oder die steinige nach Dublin? Sind die Titel irischer Tunes nicht immer wieder schön :-) Es ist auf jeden Fall keine neue Straße, aber eine musikalische Reise abseits der ausgetretenen Pfade. Piper Leonard Barry, der kalifornische Sänger/Harpist/Konzertina- und Banjospieler Rick Epping,[37] Fiddler Andy Morrow (Dervish)[51] und Gitarrist Seamie O'Dowd[39] haben sich ursprünglich für Barrys Album gleichen Namens zusammengefunden.[53] "Stone Walls & Street Lights" nun bietet einerseits irische Instrumentalmusik von Padraig O’Keefe bis Charlie Lennon, andererseits Liedgut aus der amerikanischen Old-Time-Tradition wie Bertram Levys "Saturday Night My Wife Died". In vieler Hinsicht fühlt sich das Album wie ein Showcase für Rick Epping an, der ohne Frage im Zentrum des Geschehens steht. Manchmal finden sich die unterschiedlichen Traditionsstränge in einem Stück zusammen. Slide-Gitarre und Mundharmonika transformieren beispielsweise das alte irische Liebeslied vom "Galway Shawl" in eine Bluesnummer, während am Ende Pipes und Fiddle die Geschichte mit "Farewell to Ireland" wieder an die Westküste Irlands zurückbringen. New Road ist in gewisser Weise eine Fortschreibung des Folktrios The Unwanted (featuring Seamie und Rick zusammen mit Cathy Jordan),[39] und in der Tat gibt Cathy auch ein kurzes Gastspiel. Allerdings legen New Road gleichermaßen Wert auf Gesang und Instrumentalmusik, um ein Klangbild, das seinesgleichen sucht, entstehen zu lassen.
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In Extremo "Quid Pro Quo"
Vertigo / Universal Music, 2016

www.inextremo.de

Album Nr. 12 und ... Jo! Supi! Toll! In Extremo[48] haben nach einer längeren Durstphase in der Wüste Krautrock[52] wieder auf den Dreiklang mittelalterliche Atmosphäre, raue Gitarren-Riffs und eingängige Melodien gesetzt, den sie auf klassischen Alben wie "7"[27] populär gemacht haben. Mit "Störtebeker" setzt sich der Tanker In Extremo in Bewegung und singt lauthals Räuberlieder, Gottes Freund und aller Welten Feind. Da weht ein neuer, alter Wind in den Segeln, und der nach vorne gehende Ohrwurm ist so weit von Santiano entfernt wie Long John Silver von Käptn Iglu. Das Titelstück "Quid Pro Quo" (Geld regiert die Welt, es geht nur noch ums Nehmen) und die Säuferhymne "Sternhagelvoll" sind weitere Gassenhauer. Bei Lieb Vaterland, magst ruhig sein, ein jeder stirbt für sich allein; Säbelrasseln und Schützengraben für Ruhm und Ehr', fürs Vaterland stellen sich die Nackenhaare auf. In Extremo besingen den Flaschenteufel und den Moonshiner, und auch die Fremdsprachen sind mit Estnisch, Walisisch und Russisch zurückgekehrt. Die Mittelalter-Rocker beweisen zum wiederholten Mal, dass sie nicht nur Wegbereiter ihres Genres sind, sondern immer noch an der Spitze marschieren und zeigen, wo es lang geht.
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Peter Kerlin with Jens Kommnick "Some Shining Light"
S.T.I.R. Music, 2016

www.peterkerlin.de

The green of the grass and the smell of turf, white rocks and ancient stone walls ... Nach siebenjähriger, nicht unbedingt freiwilliger Studiopause[40] hat der Goslarer Storyteller Peter Kerlin[31] wieder musikalisch Connemara & Co bereist und erinnert sich an alte Zeiten: a guitar and a backbag was all that we had. Kerlins „Songs and Tunes from Irish Roots“ ist zeitgemäßer keltischer Folk. Das 5. Soloalbum "Some Shining Light" setzt - abgesehen vom hymnischen Cover von Joe South' "Games People Play" - auf die ruhigen Töne. Die Lieder und Klänge sind anmutig und filigran, aber Kerlins Samtstimme (geerdet durch den ein oder anderen "Whiskey Before Breakfast") lässt sie dennoch niemals in Kitsch und falsche Romantik abgleiten. Ein alter Text aus den 1990ern über Fremdenfeindlichkeit und Gleichgültigkeit ist auf beklemmende Art und Weise aktuell. Peter Kerlin frönt abermals seiner Vorliebe für ungerade Taktschemen. Das Instrumentalstück "Deich" ist Celtic-Fingerstyle-Gitarrist Jens Kommnick[57] gewidmet (gälisch für 10 und nicht auf dessen Wohnort anspielend), der gleichberechtigt genannt wird und ohne dessen musikalisches Gespür so manche Idee Kerlins so nicht umgesetzt hätte werden können.
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Iontach "A New Journey"
Siúnta Music, 2016

Article: Iontach are on a New Journey

www.iontach.de

Jens Kommnick,[57] die Fortsetzung! Seine 2003 mit seiner irischen Gattin Siobhán Kennedy[55] (Flöte) gegründete Formation Iontach[30][34][32][43] ist wieder da. "A New Journey" (das Coverbild zeigt die Band vor dem Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven) ist das erste Album mit neuem Line-Up nach dem Weggang von Angelika Berns und Substitution durch den englischen Knopfakkordeonisten Nick Wiseman-Ellis. Iontach sind ihrem Klangideal treu geblieben. Markenzeichen ist weiterhin ambitionierter, dreistimmiger Harmoniegesang (wie Eric Bogles "All The Fine Young Men" oder Seán Keanes "Green Among The Gold") und subtile Arrangements eingängiger Melodien, gleichermaßen zum Tanzen und Zuhören (z.B. Siobháns Walzer, der dem Album den Titel gegeben hat, und Tunes von Paddy O'Brien, Paddy Fahey, Junior Crehan, Karen Tweed und Maurice Lennon). Der musikalische Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Grünen Insel, allerdings schleichen sich immer wieder nordische oder jazzige Einflüsse ein. Nicks peppiges Akkordeonspiel fügt sich wunderbar in Iontachs Klangbild ein und öffnet eine Tür, durch das das Trio zu neuen Ufern aufbricht...
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Erledanz "singerich"
Eigenverlag, 2016

www.deutschfolk.de

Ruhig und entspannend, fast besinnlich, also eigentlich ganz gut in diese Vorweihnachtszeit passend, aber kantig genug, um das Volkslied vom Volkstümlichen und echtes Leben vom Folkloristischen zu unterscheiden, das sind die traditionellen deutsch-sprachigen Lieder, die mit dem ein oder anderen traditionellen schwedischen, galizischen, finnischen oder bretonischen Instrumentalstückchen vermählt sind. Fast ein ganzes Jahrzehnt nach dem Album "nimmerleis"[37] präsentiert das Duo Erledanz, bestehend aus Klaus (Zister, Mandola) und Henrike Eckhardt (Flöten, Streichpsalter, Glockenspiel) zusammen mit den Gästen Bernd Dittl (Akkordeon) und Werner Krick (Kontrabass), abermals überkommenes Liedgut aus der deutsch-französischen Grenzregion wie sie links und rechts von Vater Rhein gesungen wurden: "Schön Herzlieb", "Es wollt ein Mädchen..." Für ein wenig Abwechslung sorgen ein Zwiefacher bzw. eine Polka, die eher an die französische Balfolk-Tradition angelehnt sind.
Alle Stücke finden sich übrigens auch in des Duos Liederbuch "Hör an mein Stimm: Wiederentdeckte Volkslieder".[56]
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Danceperados of Ireland "Life, love and lore of the Irish travellers"
Magnetic Music Records, 2016

Danceperados of Ireland "Spirit of Irish Christmas"
Magnetic Music Records, 2016

Article: Freeing Up Irish Step Dancing

www.danceperados.com

Die irische Stepptanzshow aus Petr Pandulas[61] Hause Magnetic Music ist mit dem Ziel angetreten, das populäre Genre von allen Klischees zu befreien und statt auf Showeffekte auf Authentizität, Vitalität und vor allem Livemusik zu setzen. Rund um den Jahreswechsel ziehen die Danceperados of Ireland mit zwei Shows durch die Lande; zu beiden wurden CDs veröffentlicht.

Artist Video

Von Januar bis April 2017 heisst es "Life, love and lore of the Irish travellers", eine Hommage an die ethnische Minderheit des fahrenden Volkes Irlands, das - romantisch verbrämt in malerischen Pferdewagen - seit Jahrhunderten über die Grüne Insel zieht. Die Nomaden Irlands haben zudem Musikerdynastien wie die Fureys[61] und Keenans[23] hervorgebracht. Seitdem aber Scherenschleifer, Kesselflicker und saisonale Arbeitskäfte in der Landwirtschaft nicht mehr so benötigt werden, führen sie ein konflikt-behaftetes Dasein am Rand der Städte. Mir kommt als erstes Ewan MacColls radio ballad[37] in den Sinn, die eine Reihe bekannter Songs hervorgebracht hat. Der "Moving On Song" (Born in the Middle of the Afternoon) ist tatsächlich Teil der Danceperados-Show. Und wer kennt nicht die uralte Ballade vom "Raggle Taggle Gypsy", mit dem die Gemahlin des Lords das Weite sucht. Der Danceperados-Gitarrist Ian Smith[25][31] hat das stimmungsvolle "A Traveller I've Always Been" geschrieben. Geigerin Niamh Dunne[52] (Beoga)[60] ist die Nichte des mittlerweile verstorbenen fahrenden Musikers Pecker Dunne,[50] dessen Songs "The Last of the Travelling People" und "Wexford" sich im Programm befinden. "Life, love and lore of the Irish travellers" ist aber vor allem eine Tanzshow, was eine CD natürlich nur bedingt herüberbringen kann, und Instrumentalmusik beschwört den Rhythmus der Straße, das Klappern der Hufe und Blechbüchsen und die Session am Lagerfeuer herauf.

FolkWorld Xmas

Die "Spirit of Irish Christmas"-Tour ist bzw. war zur Vorweihnachtszeit unterwegs und lässt die spezifischen irischen Weihnachtsbräuche lebendig werden. Z.B. ziehen die vermummten Wren Boys am zweiten Weihnachtstag von Haus zu Haus und sammeln Geld für die Beerdigung des toten Zaunkönigs, den sie mit sich führen. Es ist eine ursprüngliche Weihnacht ohne Santa und Rudolph, etwas heidnisch angehaucht. "Spirit of Irish Christmas" enthält englisch-sprachige Carols wie Christina Georgina Rossettis "Love Came Down at Christmas" (besser bekannt als Autorin des von Gustav Holst vertonten "In the Bleak Midwinter") und alte Hymnen in gälischer Sprache wie das häufig angestimmte "Slán abhaile". Highlights sind für mich die Versionen des mittelalterlichen "Wexford Carol" und des barocken "God Rest You Merry Gentlemen", als auch das Neo-Weihnachtslied "Fairytale of New York" aus der Feder des Pogues-Frontmanns Shane MacGowan. Die exzellenten Vokalisten sind der bereits erwähnte Ian Smith und die auch nicht gerade unbekannte Geraldine MacGowan.[12][29] Von den Musikern möchte ich außerdem noch die Harfenistin Floriane Blancke[49] erwähnen. Insgesamt ist Weihnachten in Irland ein fröhliches Fest, nach der Messe geht es in den Pub, es wird getrunken und gesungen und der "Wild Irishman" und das "Red Haired Lass" wagen ein kleines Tänzchen. Die Melodien dazu sind nicht speziell mit der Weihnachtszeit verbunden; der drei-teilige Reel mit dem Titel "Christmas Eve" z.B. ist eine Komposition des Geigers Tommy Coen, die Weihnachten 1955 im irischen Radio lief und seitdem seinen passenden Namen weghat.

P.S.: 2018 soll es dann ein neues Programm mit dem Arbeitstitel "Whiskey you are the devil" geben, das eine Brücke von den Hills of Connemara zu den Gangs of New York schlägt.
© Walkin' T:-)M


Mike Sponza feat. Dana Gillespie & Ian Siegal "Ergo Sum"
EPOPS Music, 2016

Article: Ergo Sum

www.mikesponza.com

Für den Augenblick leben ... hat nicht der King of Boogie John Lee Hooker gesungen, sondern der altrömische Philosoph und Dichter Quintus Horatius Flaccus. Den Zusammenhang zwischen beiden und die Überbrückung von beinahe zwei Jahrtausenden hat der italienische Bluesgitarrist Mike Sponza hergestellt. Gemeinsam haben Hooker und Horaz nicht nur, dass sie verstorben aber unvergessen sind, sondern auch dass sie dieselben menschlichen Empfindungen, Leidenschaften und Werte thematisieren. Éros, Philía & Agápe sind eben universelle, nicht nur der Antike eigene Konzepte; genauso wie Superbia, Avaritia, Luxuria etc.. Beim Konzeptalbum "Ergo Sum" (also bin ich) vermischt Mike Sponza mit den Gastsängern Ian Siegal und Dana Gillespie Texte von Catull, Horaz, Martial und Juvenal mit der Musik von Muddy Waters und Willie Dixon. Nachdenklich stimmende Textzeilen treffen auf funkige Rhythmen und geschmeidige Grooves, schneidende Gitarren-Riffs, eine lässige Hammond-Orgel und pompöse Bläser. Den poetisch-literarischen Inhalten wird somit eine neue Dimension eröffnet, während der Blues über den Tellerrand blickt und sich jenseits aller Konventionen und Klischees nach neuen Jagdgründen umsieht. "Ergo Sum" ist insgesamt ein anspruchsvolles Album, das aber zugleich einen Heidenspaß macht.
© Walkin' T:-)M


Bube Dame König "Winterländlein"
CPL-Music, 2016

FolkWorld Xmas

www.neue-volkslieder.de

Ich bin der Winterwind, geschwind, komm’ mit mir auf die Reise, zum Frostgebirge trag’ ich dich, zum Land aus Schnee und Eise. Der Text von "Winterwind" stammt von Juliane Weinelt, die Melodie ist dem gälischen "Téir abhaile riú" (bekannt von Clannad oder Celtic Woman) entlehnt. "Winterländlein" folgt konzeptionell dem Debütalbum "Traumländlein" des Hallenser Folk-Trios Bube Dame König.[56] Da finden sich einerseits traditionelle Stücke wie "Maria durch ein Dornwald ging" (mit einem instrumentalen Zwischenspiel aus der Feder des irischen Harfenisten Turlough O'Carolan) oder Martin Luthers "Vom Himmel hoch, da komm ich her", andererseits neue Texte von Juliane Weinelt, Jan Oelmann und dem mit der Band assoziierten Leipziger Thomas Kolitsch. Die Melodien wurden zum Großteil englischen und irischen Liedern wie z.B. dem "Bonny Light Horseman" entlehnt. Thematisch dreht sich hier natürlich alles um die Weihnachtszeit, Knecht Ruprecht, die Heilige 3 Königen und Sternsinger. Und enthält viel Lokal-Kolorit: "Stille Nacht im August" ist dem Halleschen Straßenmusikanten Reinhold Lohse genannt Zither Reinhold (1878-1964) gewidmet: Vorm halleschen Kaufhause "Ritter" saß Reinhold gelehnt an die Wand. Er spielte verträumt auf der Zither, wurd' Zither Reinhold genannt. Ob's Sommer was oder auch Winter hat Reinhold jedoch nie gewusst. So zupfte er "Lenz" im Dezember und auch "Stille Nacht" im August.
Wie schon auf dem Debütalbum "Traumländlein" gelingt es Bube Dame König, zeitgemäße deutsche Folkmusik mit überwiegend keltischem und ein wenig nordischem Kolorit zu kreieren. Willkommen im Winterländlein, das sich von den Ufern der Saale bis an die Gestade von Baltischer und Irischer See ausstreckt!
© Walkin' T:-)M


The Rooster Crows "Weed, Whites & Wine"
Eigenverlag, 2016

Artist Video

www.theroostercrows.de

When the rooster crows at the break of dawn, look out your window and I'll be gone... "Don't Think Twice", das Lied des frischgebackenen Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan[61] hat der Band nicht nur den Namen gegeben, sondern setzt auch den Startpunkt von "Weed, Whites & Wine". Es folgen Cover-Versionen bekannter Songs von u.a. Paul Simon ("Homeward Bound"), Manfred Mann ("Fox on the Run"), Bruce Springsteen ("Further On Up the Road"), John Mellencamp ("Jack & Diane"), Don Henley ("Boys of Summer"), Foreigner ("Urgent") und Little Feet ("Willin'", eine Textzeile hat dem Album den Titel gegeben); zum Abschluss folgt der amerikanische Folksong "Dink's Song" (alias "Fare Thee Well"), bekannt aus dem Coen-Brothers-Film "Inside Llewyn Davis".[53] Mit Lust und Leidenschaft schaffen es die Rooster Crows um den Burglengenfelder Hans Deml mit mehrstimmigem Gesang und dem klassischen Old-Time-Bluegrass-Instrumentarium Gitarre, Mandoline, Banjo, Dobro, Kontrabass und Mundharmonika aus den bekannten und populären Liedern unbekannte Seiten herauszukitzeln. (Deml selbst benennt Gregg Allmans "Floating Bridge" als Klangideal und Zielvorstellung!) Die Mischung aus Country, Folk und Blues mit einem Schuss Rockmusik ist ehrlich und bodenständig. Eine Partyband wollen sie nicht sein, betont Deml: „Wir möchten, dass uns die Leute zuhören. Sie sollen nach dem Konzert nach Hause gehen und sagen: Wow!“ Das sage ich jetzt einfach auch mal: Wow!!
© Walkin' T:-)M


Jennifer Licko "The Lights of Christmas"
Sabas Records, 2016

FolkWorld Xmas

www.jenniferlicko.com

Die in North Carolina beheimatete Sängerin Jennifer Licko pflegt seit ihrer Kindheit das Scottish Highland Dancing und hat eine innige Beziehung zu der Musik entwickelt, die mit den schottischen Einwanderern in den Südosten der USA gelangt ist. Als Musikerin selbst hat sie mit der Interpretation von schottisch-gälischen Tanz- und Arbeitsliedern als auch selbstverfassten Songs in englischer Sprache einen zeitgemäßen keltischen Sound entwickelt, der ihrem Album "Sing" (Rezension folgt) vom Celtic Music Radio das Prädikat Celtic Album of the Year eingebracht hat. Gegen Ende jeden Jahres geht die Jennifer Licko Band (Riverdance-Fiddler Patrick Mangan aus Brooklyn, der ein Schüler von Brian Conway war,[37] der irische Gitarrist Patsy O'Brien[55] und der englische Keyboarder Bob Noble) auf eine erfolgreiche Celtic Christmas Tour. Die Liedauswahl ist ein bunter Strauß - nicht nur englisch-sprachiger - älterer und neuerer Christmas Songs, wobei Claire Zabiolle und Dáithí Sproule[36] Sprachunterricht in Französisch und Gälisch gegeben haben. Das Album beginnt mit dem vergnügten "Pat-A-Pan" von Bernard de La Monnoye (1641–1728), ursprünglich im burgundischen Dialekt verfasst und später ins Französische und Englische übertragen. Die Hirten in Bethlehems Stall spielen Flöten und Trommeln, woher der lautmalerische Liedtitel stammt (konzeptionell ähnlich wie das bekannte amerikanische Weihnachtslied "The Little Drummer Boy" mit dem Refrain pa-rum-pa-pum-pum). "The Lights of Christmas" endet mit "Rebel Jesus", das Jackson Browne[43] für das Chieftains-Weihnachtsalbum "The Bells of Dublin" geschrieben hat. Aus der Sicht eines Heiden identifiziert sich der Autor mit dem Revoluzzer, der den Status Quo und die Obrigkeit, die Sitten und Gebräuche in Frage stellt und alles auf den Kopf stellt. Dazwischen findet sich Altbewährtes wie "The Holly and the Ivy " und "Soilse na Nollag"; abwechselnd Balladen und flotte Melodien. Frohe fröhliche Weihnacht, in der Tat!
© Walkin' T:-)M


Amsterdam Klezmer Band "Oy Oy Oy"
S Music, 2016

Artist Video

www.amsterdamklezmerband.com

Die Amsterdam Klezmer Band gehört zu den großen Nummern des europäischen Klezmers. Ihre gutgelaunte Mischung aus Weltschmerz und Tanzfreude überträgt sich vom aktuellen Doppelalbum "OyOyOy" schnell auf den Hörer. Die Band, die kürzlich ihr zwanzigjähriges Bestehen feierte, hat keinen Sinn für puristische Stilreinheit. Klezmer ist die Hoheit, doch die Musik Osteuropas von den Karpaten bis zum Schwarzen Meer gehört unbedingt dazu. Während sich die Band auf der ersten Scheibe des Albums noch verhältnismäßig bodenständig der Interpretation ihrer Songs hingibt, remixen sie auf dem zweiten Silberling ein paar der Songs noch einmal neu auf und machen daraus eine kräftige Clubmixtur aus Klezmer, Balkanbrass und Elektronik. Die Amsterdam Klezmer Band ist nach zwanzig Jahren immer noch auf dem musikalischen Höhenflug.
© Karsten Rube


Orchestre International du Vetex "Fifavela"
Via Lactea, 2016

Artist Video

www.vetex.org

Das Orchestre International du Vetex aus Belgien hat sich zum vierten Mal versammelt, um eine inspirierende Mischung aus Brass, Balkanbeats und Latinsounds auf CD zu pressen. "Fifavela" lässt schon in der Wortzusammenstellung ahnen, wohin die Reise geht. Nach ausgedehnten Tourneen durch Lateinamerika und mit der Hoffnung auf halbwegs interessanten Fußball, hat das Orchester aus Flandern ein rasantes musikalisches Match zusammengestellt. Die Bläser flanken sich die musikalisch gut gezielten Bälle nur so zu. Mit Karnevalsanklängen im Cumbiagewand gehen die Musiker ins Spiel, wechseln aber geschickt die kreativen Spielideen. Kaum, dass ein quengelndes Saxophon an Janitscharenklänge erinnert, legt ein Querpass aus Balkanbrass bereits ein paar Schritte Richtung Europa vor, um im nächsten Augenblick mit Reggaerhythmen in ein verhaltenes Stellungsspiel hineinzubremsen. Mit "Cumbia Internacional" semmeln sie die Soundkollektion gekonnt wieder in die lateinamerikanische Ecke und verbeugen sich mit einer Tarantella vor den italienischen Momenten des Lebens. "Goodevening Kinshasa" ist dann noch eine Reminiszenz an den brillanten bläserorientierten Afrosoul eines Fela Kuti. "Fifavela" ist kein Album für den Sessel. Es verlangt nach aktiver Bewegung und Schweiß und ist damit am Ende wesentlich aufregender als die meisten der in diesem Jahr gesehenen Spiele bei EM oder Olympia.
© Karsten Rube


Stellmäcke und Trotzband "Vérite et Poésie"
Der Gute Ton, 2015

Article: Sensible Geschichten, melodische Nuancen

www.stellmaecke.de

Der Liedermacher Olaf Stellmäcke gehört zu den durchtriebensten Poeten Deutschlands. Jenen wenigen, die man nicht mit der Brechstange ins Kabarettklischee gehebelt bekommt, die vom Chanson beseelt sind, ohne Chansonier genannt zu werden und die mit ihrem Humor auf einem Grat balancieren, der hoch über den Abgründen von belangloser Albernheit und zynischer Respektlosigkeit einem eher einsamen Pfad folgen. "Vérité et poésie" heißt sein Album, das er 2015 mit der Trotzband aufgenommen hat. Zehn eigenwillig getextete Songs kann man darauf hören, die überraschen, aufrütteln und dabei trotzdem eine sympathische Freundlichkeit ausstrahlen. Das erste Hörerlebnis mag dabei etwas verstörend wirken. Ein Lied, wie "Asyl", das die Borniertheit diktatorischer Systeme ebenso zum Thema hat, wie die Eigenheit des Einzelnen, sich immer nach dem zu sehen, was gerade nicht da ist, gehört mit seiner melancholischen Melodieführung zu den Stellen des Albums an die man sich kaum gewöhnen kann. Soll man vielleicht auch nicht, denn so bleibt es stärker präsent. "Der Rettungsschirm" karikiert auf absurde Weise Abhängigkeit. "Banal" ist ein Rocksong, der gekonnt einfallslose Konzertverlängerungseinlagen aufs Korn nimmt, die nur für die Selbstdarstellung des Stars auf der Bühne wichtig sind. Das Lied ist zu lang. Das nervt. Stellmäcke trifft hier die Zielscheibe genau im Zentrum. In "Das schafft er nie" beschreibt Stellmäcke die Angst eines Menschen vor Bindung und dem eigenen Selbstbewusstsein. Das tut er an der Person eines Outdoorjunkies und Extremsportlers. Einer, der der Welt beweisen muss, was für ein Held er ist und der an den Herausforderungen des tatsächlichen Lebens verzweifelt. Mein Lieblingslied ist der spritzige Flamencopop "Te saludo, me amigo", in dem ein braver Beamter auf ein Schreiben aus Andalusien hin seine Sachen packt und im Wohnwagen allen Verbindlichkeiten entflieht. Das kann ich mir täglich dreimal anhören, ohne mich zu langweilen. Das gilt übrigens für das ganze Album.
© Karsten Rube


Tocadéo "Live"
Producions des 2 Ailes Inc., 2016

www.tocadeo.com

Es gibt kaum etwas Langweiligeres, als die Makellosigkeit. Die kanadischen Tenöre von Tocadéo beweisen das auf ihrem Livealbum. Vier makellos ausgebildete Musicalstimmen in freundlichen Adoniskörpern, gut frisiert, perfekt gestylt, in tadellos sitzenden Anzügen, die von einer an Harmoniesüchtigkeit nicht zu überbietenden Kapelle begleitet Songs singen, die im Pophimmel glänzen, wie lackierte Engel in katholischen Kirchen. "Yesterday", "I will always love you", "Somewhere", Cohens "Hallelujah", "The Unchained Melody", "My Way" ... . Musikalisch abwechslungsresistent schmalzen sich die vier Windbeutel durchs Repertoire, als präsentierten sie erlegte Trophäen. Alles ist perfekt serviert. Schmelzende Geigenklänge kleckern auf jeden Song ein Sahnehäubchen. Schaut man sich die Geigerinnen in Webauftritt und Covergestaltung an, so sieht man adrette Traummaßträgerinnen in teuren Kleidern, die dem Ganzen ein paar Schokostreußel drüberstreuen. Alles ist makellos, alles wirkt perfekt und alles ist sterbenslangweilig. Angesichts des Wissens, dass Tocadéo auch noch eine klebrig, süßkitschige Weihnachtsplatte ausgeheckt haben, rate ich jedem, der sich das antun will, dringend seinen Zuckerspiegel im Auge zu behalten.
© Karsten Rube


The Brothers Nazaroff "The Happy Prince"
Smithsonian Folkways Recordings, 2015

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princenazaroff.wordpress.com

Die in den U.S.A. ansässige Klezmer Gruppe Brothers Nazaroff gelten als Supergroup in ihrem Genre. Bei den Nazaroffs gibts keinen verwässerten Klezmer, der ein hippes Publikum anlocken soll. Keine Balkanpopattitüden, kein klischeehaftes Trauerspiel, keine amerikanisierten Schlaflieder. "The Happy Prince" widmeten die Brothers Nazaroff Nathan "Prince" Nazaroff", einem Musiker der jiddischen Kultur, der wie ein legendärer Onkel der Familie als Bindeglied zwischen dem modernen Exil und dem alten jiddischen Europa fungierte. Seine alten Lieder haben die Brüder in verschiedenen Archiven aufgespürt. 1954 erschien ein Platte von Nathan "Prince" Nazaroff, die voller Lieder des Einwanderers waren. Fast ungehört verschwand sie in den Archiven. An verschieden Orten der Welt, die dem Wesen der Musik gerecht werden, haben die Brothers Nazaroff die Lieder der Platte neu eingespielt. Gemischt und eingespielt wurde in Brooklyn und Berlin. Der Geist des glücklichen Prinzen durchweht das Album, wenn sie die alten Freilachs spielen, wie nicht zu bremsende Straßen- und Barmusiker. Und dort wurde die Musik im Original aufgeführt, in jiddischen Bars, mit verstimmter Mandoline, quietschendem Akkordeon und quäkender Stimme, aber mit einer unbändigen Energie und Lebensfreude. Viel weiß man nicht über den jiddischen Troubadour, doch seine Lieder werden durch die Wiederaufnahme genauso lebendig, wie die Kultur der jüdischen Einwanderer aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, eine Einwandererkultur, die ein Land wie die U.S.A., das fast ausschließlich aus den Nachkommen von Einwanderer besteht, enorm bereicherte.
© Karsten Rube


Joseph Myers "Against the Sea"
Timezone, 2016

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www.josephmyers.de

Joseph Myers neues Album "Against the Sea" ist optisch bereits in Sepia gehalten. Gewidmet ist es zwei Menschen, bei denen es sich, wenn ich das Album richtig gehört und verstanden habe, um die Großeltern des Songwriters handelt. Wo sich die Cover- und Bookletgestaltung in launigen Erinnerungen umtut, ist auch die Musik des Albums eine melancholische Zeitreise. Trotzdem Myers zwar noch ein verhältnismäßig junger Songwriter ist, gestattet seine Musik es nicht, ihn einer Dekade zuzuordnen, in die sein Stil passen könnte. Er tritt bewusst neben die ausgetreten Songwriterpfade und sucht eigene Wege. Eine gefühlvolle, meist melancholische Note begleitet seine Lieder. Dabei schrammt er oft knapp, aber elegant am Pathos vorbei. "Against the Sea" ist so eines der seltenen Alben, die die Empfindungen des Künstlers mit den eigenen synchronisieren. Man nimmt die CD gern in die Hand und hört gern zu. Es ist wie ein Familienalbum, gebunden aus Erinnerungen. Nicht alle perfekt, nicht alle immer angenehm, aber alle Wert, nicht vergessen zu werden.
© Karsten Rube


Sophia Magallanes "Old Clichés"
Brechin All Records, 2015

Sophia Magallanes entstammt einer mexikanischen Familie, die sich in Los Angeles niedergelassen hat. Von früher Kindheit an mochte sie es, zu singen und ihre eigenen Lieder zu ersinnen. Mittlerweile lebt sie in Edinburgh. Den Einfluss der Musik Schottlands kann man auf ihrem Album "Old Clichés" ebenso spüren, wie lateinamerikanischen Wurzeln. Sophia Magallanes Stimme ist warm und hell. Ohne Kunstschnörkel trällert sie sich mühelos durch die zehn Songs. "Old Clichés" ist ein kurzweiliges Album mit überraschenden Wendungen, mal poppig, mal folkloristisch geprägt, und manchmal mit der Leichtigkeit des Latinsound durchwebt.
© Karsten Rube


Tiffany Huggins Grant "Jonquil Child"
MGW Records, 2015

www.tiffanyhugginsgrantmusic.com

Smyrna in Georgia ist die Geburtsstadt von Tiffany Huggins Grant. Die Amerikaner nennen die Stadt auch Jonquil Town. Diese Narzissensorte, die dort häufig anzutreffen ist, ist zugleich der Namensgeber für das Debüt der Countrysängerin mit der großartigen Stimme. Elf Songs, die die junge Frau fast ausschließlich selbst geschrieben hat, füllen das mitreißende Album "Jonquol Child". Songs die von Gefühlen, Problemen und Erfahrungen singen und viel von der Persönlichkeit der Sängerin widergeben. Eingespielt hat Tiffany Huggins Grant das Album in Nashville, begleitet von der Creme der amerikanischen Countryszene. Steel-Gitarrist John Heinrich hört man darauf und Schlagzeuger Paul Griffith, beides Musiker die bei Hank Williams und Emmylou Harris regelmäßig im Studio stehen. "Jonquil Child" ist ein gelungenes Countrydebüt, abwechslungsreich und keine Minute beliebig. Auf diese Weise bleibt Countrymusik jung und spannend.
© Karsten Rube


RIM "Rim"
Nordic Notes/Broken Silence, 2016

www.rimfolk.se

In der skandinavischen Musikszene spielt Folklore eine große Rolle. Kaum eine Folkszene Europas ist statistisch gesehen, so jung. Viele Musikstudenten widmen sich eher der Folkmusik, als dem stark umkämpften und reichlich ausgelutschten Pop. Die Musiker der jungen Folkband RIM absolvierten erfolgreich das Studium zum "Nordic Master of Folk", ein Titel der von den Musikakademien Norwegens, Finnlands, Schweden und Dänemarks unterstützt wird. Das Quartett, das aus drei Frauen und einem Mann besteht, hat mit der CD "Rim" ihren ersten Tonträger produziert - unter der Aufsicht der finnischen Akkordeonspielerin Maria Kalaniemi. Rim verbindet mit Geige, Nickelharpa, Hardangerfiedel und Akkordeon vier der gängigsten Instrumente Nordeuropas. Mit überschwänglichem Temperament, brillanter Instrumentenbeherrschung und spürbarer Liebe zur traditionellen Musik Nordeuropas, haben sie ein mitreißendes, frisches Folkalbum eingespielt, das Freunde des skandinavischen Folks zu spontanem Applaus hinreißen dürfte.
© Karsten Rube


Nikitov "Mameloshn"
Sena, 2015

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www.nikitov.com

Vor dem 2. Weltkrieg sprachen etwa 12 Millionen Menschen vor allem in Osteuropa Jiddisch. Heute sind es noch ca. 2 Millionen, die diese Sprache nutzen. Es ist also eine Sprache, die man als gefährdet betrachten kann. Um ein Aussterben der jiddischen Sprache zu verhindern, versuchen sich vor allem Klezmerbands immer wieder, jiddisch aktuell zu halten. Niki Jacobs hat mit ihrer Band Nikitov nun eine ganz besondere Idee gehabt. Sie hat ein paar ihrer Lieblingslieder, vor allem Popsongs ins Jiddische übertragen und dabei mit sehr viel Feingefühl und wundervollen Arrangements ein kleines Meisterwerk des jiddischen Liedes geschaffen. Songs von Leonard Cohen, Dolly Parton, Bill Whithers und den Rollings Stones hat Nikitov sehr stimmig mit jüdischer Melancholie versehen. Einen großen Beitrag an dieser melancholischen Stimmung hat die Instrumentierung. Dezente Bläser, melodieführende Streicher und ein im Hintergrund schwingendes Akkordeon, das manchmal wie ein Harmonium klingt. Das kurze Album "Mameloshn" endet mit einem Instrumentalstück, das den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges thematisiert.
© Karsten Rube


Katerina Tsiridou "Aman Katarina"
Protarsis Music, 2015

www.tsiridoukaterina.com

Panayiotis Toundas wurde 1886 in Smyrne geboren. Der griechische Komponist war maßgeblich an der Schaffung und Verbreitung des Rembetiko-Stils beteiligt. Die griechische Sängerin Katerina Tsiridou widmet dem Großmeister des Rembetiko ihre Platte "Aman Katerina". In siebzehn Liedern bringt sie die vielfältigen Seiten der griechischen Musik zum Klingen, lässt Gefühle und Leid erahnen, die den Rembetiko als Klangschale des griechischen Seelenlebens auszeichnen. Panayiotis Toundas wusste, wie man dies in Noten fasst. Katerina Tsiridou weiß, wie man diese wieder zum Leben erweckt.
© Karsten Rube


Sigmund Groven "Collection Vol. 2 - Tradition"
Grappa Musikkforlag, 2015

www.sigmundgroven.com

Sigmund Groven ist so etwas, wie der Toots Thielemans der norwegischen Musikszene. Ein Meister auf der Harmonika, vielseitig in seinem Repertoire und auch wenn man das auf den ersten Blick seiner Instrumentenwahl vermuten könnte, er ist kein Langweiler. Auf zahlreiche Veröffentlichungen kann er zurückblicken. Gefragt ist er bei Klassik, Pop, Folklore und beim Jazz gleichermaßen. Einige seiner Lieder gehören heute schon zum norwegischen Kulturerbe. "Collection Vol. 2" versammelt ein paar traditionelle Lieder Norwegens und der Welt. Eingespielt hat Groven diese mit einem ausgesucht exzellenten Ensemble. Groven vermag Lagerfeuerromantik, Indianersommer und Kindheitserinnerungen zu wecken, begibt sich aber auch mit sehr eleganten Arrangements in den Bereich der Klassik. Ein besinnliches Album mit traumhaft schönen Melodien.
© Karsten Rube


Steinar Aadnekvam "Freedom Trio"
Losen Records, 2016

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www.steinarguitar.com

Steinar Aadnekvams Gitarrenspiel will einen so gar nicht in die skandinavische Melancholie führen. Das Album "Freedoms Trio" entführt eher in den sonnigen Süden, in die Algarve, nach Pernambuco und Mozambique. Die Klänge, die von den Nylonsaiten der Gitarre des Norwegers Aadnekvam perlen, sind weich und warm. Der Gesang ist oft textlos und eher Instrument als Sprache und wenn er sich doch zu Worten verdichtet, dann tanzen sie im schönsten Portugiesisch über den Gitarrenrhythmen des Norwegers. Das Album "Freedom Trio" kommt zwar sehr entspannt durch die Boxen, doch wäre es ungerecht, sie auf eine Begleitung zum Gläser spülen zu reduzieren, wie es einige Kritiker bereits taten. Gut! Dazu passte es auch, denn mit Hard Rock macht man nur das Geschirr kaputt. Für mich ist die Musik von Steinar Aadnekvams allerdings so inspirierend, wie die frühen Alben von Pat Metheny. Nicht ganz so experimentell, doch von derselben traumwandlerischen Leichtigkeit. Einfach brillanter World-Jazz.
© Karsten Rube


Cécile Corbel "Renaissance - Songbook Vol. 3"
Keltia Musique, 2011

www.cecile-cobel.com

Pressekritiken und eigene Lobpreisungen verkünden einhellig die Größe der bretonischen Harfenfee Cécile Corbel. Ihre Musik sei magisch. "Mit ihrer Stimme kann sie Gipfel erklimmen, die sonst nur Kate Bush erreicht", betont beispielsweise das Programm „Le Carré Magique aus Lannion – im Mai 2012. Wenn das tatsächlich der Fall ist, hätte sie das vorliegende Album "Renaissance" Songbook Vol. 3 vielleicht aufnehmen sollen, wenn sie bei Stimme gewesen wäre. Dieses zugegeben schon leicht betagte Album kelto-bretonischen Waldfeengesäusels präsentiert neben anspruchslosen Arrangements vor allem eins: die Abwesenheit von Stimme. Der Gesang von Frau Corbel besteht aus einem kindlichen Gehauche, einer Art stimmlicher Entsprechung zum Babyspeck, dem sie mit über dreißig eigentlich entwachsen sein sollte. Als Liebhaber der Bretagne sehe ich dieses wunderbare schroffe Land beim Hören der Musik von Cécile Corbel jedenfalls nicht vor mir. Und zwar weder die sturmumtosten Kaps, noch den Zauberwald von Brocéliande. Vielleicht hat sie ja in der Zwischenzeit eine andere Qualität in ihren Aufnahmen gewonnen, und tatsächlich klingen einige Songs auf dem 2016 erschienen Album "Vagabonde" zumindest musikalisch etwas frischer, besonders wenn Gastsänger mitarbeiten. Selten aber habe ich eine solch idealisiert kitschige Verfolklorisierung der eigenen Kultur gehört.
© Karsten Rube


Diana Rasina "Romanian Tales"
Bayla Records, 2015

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www.dianarasina.com

Die ausgebildete Jazzsängerin Diana Rasina bietet mit ihrem Album "Romanian Tales" einen Überblick über die erstaunlich vielfältige Folklore ihrer rumänischen Heimat. Melodien aus Transsilvanien, der Bukovina, der Donauregion und die Musik der Roma verbindet sie mit ihrer variationsreichen Stimme und ausgezeichneten musikalischen Partnern. Hackbrett und Hirtenflöte unterstützen die Sängerin und zeichnen ein lebensfrohes Bild der Regionen Rumäniens. Die Melodien kommen einen manchmal vertraut vor. Über die Weltmusikszene hinaus wurde schon so manches rumänische Lied gecovert, wie das in den dreißiger Jahren geschriebene Lied "Sanie cu zurgalai". Edith Piaf und Vaya Con Dios bedienten sich der Komposition unter dem Titel "Johnny". Diana Rasinas "Romanian Tales" ist ein freundlicher musikalischer Präsentkorb eines Landes, das im europäischen Gesamtbild bedauerlicherweise selten mal Erwähnung findet.
© Karsten Rube


Rivière Noire "Rivière Noire"
CPL-Music, 2015

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www.rivierenoire.fr

Drei Musiker aus den unterschiedlichsten kulturellen Gegenden suchen ihren gemeinsamen Ursprung und finden ihn in der Musik Afrikas. Der Brasilianer Orlando Morais, der Bretone Jean Lamoot und Pascal Danae von der Karibikinsel Guadeloupe trafen sich in Paris und setzten sich ins Studio, um zu musizieren. Wortlos verstanden sie sich und fanden sich alsbald in Bamako/Mali im legendären Studio von Salif Keita wieder. Nach einem Aufenthalt in Brasilien waren sie am Ende ihrer Reise wieder in Paris. Auf ihrem Album sind die Einflüsse Brasiliens, Malis und sogar Elemente aus der Bretagne zu hören. Portugiesische, kreolische und afrikanische Dialekte vermengen sich im Wüstenblues, im brasilianischen Rhythmus und in rockigen Einlagen. Das Album wurde in Frankreich bereits als bestes Weltmusikalbum des Jahres 2015 ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die dieses Album unbedingt verdient hat.
© Karsten Rube


Club des Belugas "Nine"
Glamjazz, 2016

www.club-des-belugas.com

Der Club des Belugas war und ist seit Jahren die Königsklasse des Nu-Jazz. Ihre lässig groovenden Soundabmischungen haben wohl kaum einen rhythmusverliebten Menschen kalt gelassen. "Nine" ist in logischer Reihenfolge, das neunte Album des exklusiven Clubs. Und damit auch das vorerst letzte, wie sie selbst ankündigen. Das Doppelalbum ist satt gefüllt mit neuem und bekannten Material. Neben der Stammbesetzung um Maxim Illion, Kitty the Bill und Brenda Boykin, haben zahlreiche Freunde der Nu-Jazzszene am Belugasabgesang mitgefrickelt. 14 Jahre Bandgeschichte laufen hier noch einmal zu Höchstform auf. Wie aus einem Bondsoundtrack klingt es, wenn Ian Mackenzies nachtsamtweiche Stimme "Mambo Tonight" singt. Der Bahama Soul Club wird im CdB-Mix zu einer Afrolookparty im legendären Soultrain. Gelegentlich gelingt dem Club auch der ganz große Kinosoundtrack, wie in "Animal Parade". Besondere Leckerbissen sind immer wieder die Stimmungsbilder, die der Club des Belugas zeichnen kann und die nach Romantik, frühem Sonnenaufgang nach durchliebter Nacht und südlichem Strand klingen. "Moon Lagoon" ist solch ein kuschelweiches Highlight des Albums "Nine". Swing, Electrostyle, Brazilmoods, Latinjazz, alles trifft auf dem hoffentlich dann doch nicht letzten Werk des Clubs stilistisch und geschmackssicher zusammen. Damit gehört es erneut zu den Ausnahmealben, die es in den Clubs, bei Parties und an launigen Bars, ebenso zu hören gibt, wie beim Bad in Pool oder in der Badewanne. In Schlafzimmern oder anderen Liebesnestern sowieso. Mit der Musik vom Club des Belugas bleibt man sogar gern im Hotelfahrstuhl stecken. Also noch einmal die Martinigläser gerührt und die Beine geschüttelt. Die Nacht ist so lang, wie wir sie machen. Mit dem Club des Belugas, wird sie jedenfalls nicht langweilig.
© Karsten Rube


Irfan "The Eternal Return"
Mandalia-Music, 2015

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www.facebook.com/...

Die bulgarische Weltmusikband Irfan hat acht Jahre, nach ihrem Album "Seraphim" erneut einen Klangteppich gewebt, auf dem der Hörer zwischen Orient, Mittelalter und Balkan hin und her schweben kann. Mystische Klänge hört man auf ihrem 2015 erschienen Album "The Eternal Return". Denitza Seraphimova leistet mit engelsgleicher Stimme zu diesem mystisch bis religiösen Eindruck ihren Beitrag, wie ein effektvoller Männerchor und ein Instrumentarium, das südosteuropäische und nahöstliche Klangkörper ebenso einbindet, wie elektronische Soundsamples.
© Karsten Rube


Vibratanghissimo "Live - Voyage á Buenos Aires"
Big Tone Records, 2015

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www.vibrathangissimo.de

Das Quartett Vibratanghissimo aus der europäischen Tangohauptstadt Berlin hat den Tango Nuevo auf völlig neue eigenwillige Art interpretiert. Streicher ja, Klavier ebenfalls, Gitarre selbstverständlich. Akkordeon? Nö. Stattdessen steht der Einsatz des Vibrafons im Mittelpunkt. Das Vibrafon spielt Oli Bott, der bereits zahlreiche Jazzpreise für sich verbuchen kann. Juan Luis Aisemberg spielt in dem Ensemble nicht nur die Viola, sondern hat auf dem vorliegenden Livealbum "Voyage á Buenos Aires" die meisten Arrangements ausgeführt. Tuyêt Pham ist eine in Paris geborene Vietnamesin, die nicht nur meisterhaft das klassische Klavierrepertoire beherrscht, sondern eine Vorliebe für die lateinamerikanische Musik pflegt. Arnulf Ballhorn hat sich vor allem als Kontrabassist des "Kammerensembles Neue Musik Berlin" mit zeitgenössischer Musik beschäftigt. Der Name des Quartetts lässt sich zwar so leicht schreiben, wie eine Iban-Nummer, man kann aber deutlich etwas über den Stil ihrer Musik herauslesen. Das Album "Voyage á Buenos Aires" ist eine gefühlvolle Aufarbeitung eines Konzertaufenthaltes in Argentinien. Von den großen Emotionen gelungener Auftritte im Heimatland des Tango Nuevo erfüllt, standen sie im kalten November 2014 wieder in Berlin und wussten zunächst nicht wohin mit all der Wärme in ihren Herzen. In ihrem Lieblingsjazzclub, dem auch von mir immer wieder zu empfehlenden Schlot in der Chausseestraße, spielten sie ein paar eigene Kompositionen, sowie Stücke von Astor Piazzolla, Ariel Ramirez und Alberto Ginastera einem kleinen, aber begeisterten Publikum vor. Ein großer Teil des mitreißenden Konzertes ist auf der CD "Voyage a´Buenos Aires" zu hören. Das Album ist eine Ohrenweide für Tangofreunde.
© Karsten Rube


Das Rumi-Projekt "Das Flüstern des Geliebten"
Eigenverlag, 2016

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www.rumiprojekt.de

Beispiele für funktionierende Toleranz kann man heute nicht oft genug anführen. Der persische Dichter und Mystiker Maulana Dschelaleddin Rumi war ein Meister der arabischen Poesie. Später wandte er sich dem Sufismus zu. Die Sufis pflegen eine emotionale Spiritualität, die versucht, sich frei zu machen von Dogmatismus, Fanatismus und Egoismus. Mit diesen gedanklichen Ansätzen dürfte der Sufismus heute den Weltreligionen, wie den Gesellschaftsordnungen gleichermaßen ziemlich im Weg sein, hätte er denn tatsächlich Einfluss. Das Rumi-Projekt ist ein offenes künstlerisches Programm von Tänzern, Sängern und Musikern, die sich der Poesie des Dichters und Gründers des Derwisch-Ordens Maulana Dschelaleddin Rumi widmen. Mit Instrumenten aus dem Mittleren Osten, wie Duduk, Saz und Udu und abendländischen Einflüssen, wie Saxophon und Akustik Bass vertonen die Mitglieder des Projektes Rumis Dichtungen und Gedanken, die von Liebe erfüllt sind und gegenseitiger Achtung. Die Übersetzungen aus dem Persischen stammen von der iranischen Sängerin Soheila Hadípour und der Kulturwissenschaftlerin Zahra Deilami, die als fachliche Kompetenz den Künstlern zur Seite standen. Das dritte Album des Rumi-Projekt wirkt musikalisch stimmig und gefällt mir deutlich besser, als das Vorgängerprodukt "Karawane der Liebe", auch wenn arabische Poesie und deutsche Sprache in Kombination sich in ihrer Wirkung irgendwie aufzuheben scheinen. Ob das am Gesang liegt oder daran, daß in der deutschen Sprache, die für Dichtung sehr wohl gut taugt, für Rumis Gedanken einfach nicht die passenden Worte zu finden sind, weiß ich nicht zu sagen. Doch um den Meister selbst zu zitieren: "Der Wege sind viele, doch das Ziel ist eins."
© Karsten Rube


Aallotar "In Transit"
ASWD, 2014

www.aallotarmusic.com

Wassernymphe nennt sich das Duo aus dem Westen Finnlands. Akkordeon und Geige treffen aufeinander, gespielt von zwei Frauen, die in derselben Region ihre Wurzeln haben und doch kulturelle Unterschiede aufweisen. Im frühen 19. Jahrhundert waren die Familien von Teija Niku und Sara Pajunen nur wenige Stunden Weges voneinander entfernt ansässig. Die große Emigrationswelle trennte sie jedoch. Heute lebt Sara Parus Familie in Amerika. Zwei verschiedene Welten trafen sich also für das Album "In Transit" um den gemeinsamen Wurzeln nachzuspüren. Das Ergebnis ist ein frisches, lebendiges Beispiel dafür, dass Kulturen zwar auf Wanderschaft gehen können, aber mit ein bisschen Pflege nicht verloren gehen müssen. Die transkontinentale Verbindung paart die lässige Modernität des amerikanischen Folk mit der Melancholie der finnischen Tradition. Das nimmt den amerikanischen Einflüssen die Oberflächlichkeit und gibt der dunklen Schwermut des Finnischen etwas mehr Licht. Überaus gelungen.
© Karsten Rube


Falk "Smogsehnsucht"
Ahuga!, 2015

www.liedermacherfalk.de

Charmant ist er, musikalisch vielseitig und gewitzt. Falk der Liedermacher lädt ein zu Liedern zum Mitsingen. Melodisch beschwingt bekennt er sich offen zur Sauerei. Wenn man dann mitsingt, überlegt man sich, ob man jemals selbst so geredet hätte. Und fragt sich im nächsten Erkenntnisschritt: "Warum eigentlich nicht." Falk teilt rund herum aus. Selten liebt er etwas vorbehaltlos. In der Natur ist ihm langweilig, weil ihm der Smog, der Krach und und die Großstadtidioten fehlen. Denn die haben es ihm angetan, die Selbstverliebten, die Besserweltler in Birkenstocksandalen, die Gesundheitsjogger, die Abwaschverweigerer in der WG und die romantisch die Vergangenheit betrauernden Jungnazis. Für alle hat er nichts übrig und das laut. Respekt? Naja. Alles zu seiner Zeit. Und die hat er gerade nicht. Das alles ist meist pointiert getextet, besitzt mir in seiner Gesamtheit aber eine Spur zuviel Fäkalsprache.
© Karsten Rube


Bandakadabra "Entomology"
Felmay, 2015

Artist Video

www.bandakadabra.org

Felmay überrascht gern mal mit imposanter Musik aus Italien. Diesmal haben sie eine Blasmusikkapelle aus Turin zu einer CD verholfen, die ganz bestimmt nicht nur zum Marsch bläst. Die Vielfalt auf dem Album "Entomology" ist berauschend. Von den Klassikern des Balkanbrass eines Bregovic oder des Kociani-Orchesters, wechseln die gut aufgelegten Bläser zu Latinmusik, wie Alberto Domiguez "Perfidia" zum "Limbo-Jazz" von Duke Ellington und lassen sich mit dem "Saint Louis Blues" auch zu etwas Dixie verleiten. "Entomology" ist kurzweilige und moderne Blasmusik.
© Karsten Rube


Joseph Parsons Band "The Field, The Forest"
Meer Music, 2016

www.josephparsons.com

Das neue Album des in Europa lebenden amerikanischen Songwriters Joseph Parsons spaltet sich in zwei Sichtweisen auf. Wie bei Vinyl kann man sein Werk “The Field - The Forest” auf einer A- und einer B-Seite genießen. “The Field” ist die A-Seite. Die sechs Songs feiern auf zurückhaltende Art das Leben. Parsons beschäftigt sich mit der Liebe, mit einer jungen Frau, die mehr sieht, als Äußerlichkeiten und wirft nebenbei einen Blick auf Berlin, auf die Wandlungsfähigkeit dieser Metropole zwischen historisch und hochmodern. Die B-Seite “The Forest” ist etwas rockiger, aber auch düsterer. Parsons scheint in den Songs eine Art Innenansicht einer getriebenen Seele zu offenbaren. “Abyss” kommt dabei besonders bedrohlich daher. Eingängig ist “Bliss”, ein Song, den man schnell im Ohr hat und dort auch eine Weile behält. Mein Lieblingssong auf dem Album ist allerdings “Horizon”, eine sentimentale Ballade, die beruhigt und verhalten hoffnungsvoll klingt. Musikalisch zieht Parsons ohnehin wieder alle Register des ausgefuchsten Songwritings. Seine Stimme ist gewohnt samtig, aber nie lasch. Die Gitarren schrammeln rockig, manchmal jedoch zieht er sich zurück und lässt den melodiösen Elementen mehr Raum. Die Band liefert hervorragende Zuspiele und schafft zusammen mit Joseph Parsons in zwölf dynamischen Songs ein berauschendes Hörerlebnis.
© Karsten Rube


Les Maries "Goldene Flaute"
Membran Media, 2016

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www.lesmaries.de

Manchmal erdrücken einen die eigenen Befindlichkeiten, die Sehnsucht, die Einsamkeit und die Langeweile. Dann ist es gut, ein Mittel gegen die Schwerkraft zu finden. Marie-Laure Timmich findet es in den Liedern, die sie zusammen mit Gitarrist Klaus Sieg schreibt und interpretiert. Ihr zweites Album, das sie unter dem Namen “Goldene Flaute” veröffentlicht hat, ist geprägt von Nachdenklichkeit und einer deutlichen Spur Schwermut. Nicht immer scheint alles so zu laufen, wie man es sich wünscht, aber wo tut es das schon. Die Spannung, die die Musik aufbaut, wird von Gitarrenklängen untermalt, die zwischen der trockenen Weite amerikanischer Roadmusik und der nassen Uferlosigkeit des Ozeans pendelt. Leuchttürme, Möwen, Muscheln dienen als Metaphern für die bewegte Beständigkeit des Meeres, das in ihren Liedern und ihren Leben immer eine wichtige Rolle spielt. Französische Texte zu Westernmusik ist ein Stilmittel, das Les Maries bereits im ersten Album anwandten, ein Mittel, das es erlaubt, Les Maries nicht eindeutig als Nordseeduo einzustufen. Doch Weltmusik im eigentlichen Sinne ist es auch nicht, es sei denn, man definiert Weltmusik nach eigenen Ermessen, was so falsch auch nicht sein kann. Insgesamt erscheint “Goldene Flaute” deutlich nachdenklicher und dunkler als der Vorgänger “Wie weit ist weit weg”. Ein Album, das im Winter erdacht worden sein muss, wenn die Farbe des Meeres und der Wolken im gleichen Grauton die Gedanken an die Vergeblichkeit des Seins wecken. Im ersten Moment mag die CD mit ihrer Melancholie verschrecken. Doch beim mehrmaligen Hören ist unter der Verletzlichkeit, die in den Texten ausgedrückt wird, auch die Gewissheit auf besseres Wetter nach dem Sturm zu spüren. Denn kein Gegenwind bläst ewig.
© Karsten Rube


Anne Niepold "Monochromatic"
Poum Pouet, 2016

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www.anneniepold.be

Die belgische Freestyle-Akkordeonistin hat mit der CD "Monochromatic" ein außergewöhnliches Klangexperiment gewagt. Eigene Kompositionen und extravagante Coverversionen von Vivaldi, über Piazzolla bis Curt Curbain lässt sie eine enorme Klangpalette von den Tasten ihres diatonischen Akkordeons tropfen. Begleitet wird sie von chromatischen Akkordeon und Bandoneon, das Gwen Cresens sehr dezent spielt. Doch im Wesentlichen ist "Monochromatic" ein Soloalbum einer entfesselten und überaus virtuosen Akkordeonistin.
© Karsten Rube


Bazar & Bémols "Le fruit du Bazar"
Les Brakas, 2015

www.bazaretbemols.fr

Ihr Debüt in der Pariser U-Bahn weckte das Interesse von Arte und dem französischen Fernsehen. Mit viel Dynamik zauberte das Trio sogar dem hektischen Pariser Verkehrsmittelbenutzer ein Lächeln ins genervte Gesicht. "Le Fruit du Bazar" ist das erste Album, das die drei Musiker, die in einem Jahr problemlos auf knapp dreihundert Auftritte kommen, aufgenommen haben. Trompete, Kontrabass und Gitarre lassen sich schnell in jeder U-Bahn transportieren. Für die CD "Le Fruit du Bazar" haben sie dann aber doch ein bisschen mehr an Instrumentarium aufgelegt und so hört man nun auch Cello und Schlagzeug. Der Mischung aus Swing-Jazz, Chanson, Reggae, Bossa, Manouche und Cuban-Rhythm kann man sich nur schwer entziehen. Für ihr zweites Album stehen die drei Jungs aus Versailles bereits im Studio.
© Karsten Rube


Billy the Kid and the Regulators "I can't Change"
The Blues Foundation, 2015

www.billythekidandtheregulators.com

Kräftiger Rhythm & Blues kommt von der Pittsburger Band Billy the Kid und the Regulators. Gleich drei Gitarren scheppern auf dem Album "I can't change" gleichzeitig. Die Band, die bereits einige Preise bei der International Blues Challenge eingefahren hat, gibt darüber hinaus mit kräftigen Bläsersätzen allerhand abwechslungsreichen Druck auf die Ohren. Die Songs auf dem Album, die fast ausschließlich Eigenkompositionen sind, besitzen eine starke, eingängige Dynamik. Bester radiokompatibler American Style.
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D'Mar and Gill "Take it like that"
Airtight Records, 2015

www.dmarandgill.com

Derrick Martin (D'Mar) und Chris Gill haben mit ihrer zweiten gemeinsamen CD "Take it like that" erneut musikalisch das Gefühl beflügelt, auf einer Veranda zu sitzen und auf den Mississippi zu schauen. Gill, der Sänger und Songwriter aus dem Bundesstaat mit dem langen Flussnamen, spielt die Slidegitarre und hat fast alle Songs auf dem Album komponiert. Diese sind meist gefällig, geradlinig und von einnehmender Stimmung. Wie häufig beim Blues, ist die Melodieführung simpel und einprägsam. Schnell singt oder pfeift man mit. D'Mar ergänzt die Songs mit seinem lässig treibenden Schlagzeugrhythmus. Ein angenehmes Album, bei dem es sich lohnt, sich ein wenig zurückzulehnen und es zu genießen.
© Karsten Rube


Jason Rosenblatt "Wiseman's Rag"
I.J. Rosenblatt, 2015

www.jasonrosenblatt.com

Der kanadische Mundharmonikaspieler Jason Rosenblatt ist einer der wendigsten Instrumentalisten auf der kleinen diatonischen Harmonika. Lange war die Mundharmonika auf den Blues festgelegt. Rosenblatt zeigt auf seinem Album "Wiseman's Rag", dass es dort auch seine Heimat hat. Doch darüber hinaus bringt er es fertig, auf der CD auch den Jazz, Rag und Klezmerelemente mit Mundharmonika zu bereichern. Nebenbei spielt er allerdings auch Piano und singt. Das Album ist also vielseitig und durchgängig schwungvoll.
© Karsten Rube


Pauline Paris "Carrousel"
LeTour Records, 2016

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www.paulineparis.com

Manchmal passt alles bestens zusammen. Pauline Paris lebt in Paris und benimmt sich, wie ein Mädchen aus der französischen Hauptstadt. Der Name ist kein Künstlername, ist aber trotzdem Programm. Sie durchquert ihr Territorium, beobachtet und singt die entsprechenden Chansons dazu. „Carrousel“ heißt ihre aktuelle CD. Mit dreizehn mal schwungvollen, mal melancholischen Songs dreht sie sich durch die Metropole an der Seine, wie ein Carrousel, von dem man alles sieht und am Ende trotzdem wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Der neue Pariser Chanson der Sängerin profitiert von all den Strömungen aus Oriental, Gipsy, Rock, Jazz und Varieté, die die Stadt durchziehen. Pauline Paris bedient sich dabei so selbstverständlich all jener Gewürze, dass der allfällige Vergleich zur Grand Diva des Chansons Edith Piaf nicht so recht treffen will. Edith war großartig, aber verrauchter Keller. Pauline Paris ist wie draußen Spielen, ebenfalls großartig, aber mit all dem Staub und Krach und der Authentizität der Straße. Und anders als Zaz, die andere gefragte Interpretin des Pariser Zeitgeistes der Gegenwart, besitzt Pauline eine Stimme, die an den Enden nicht plötzlich wegbleibt. Die Vitalität von Paulines Musik, gibt gerade nach den Anschlägen vom November 2015 das Motto der Pariser fühlbar wieder: Man lässt sich zwar schocken, aber nicht brechen.
© Karsten Rube



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