FolkWorld Ausgabe 34 11/2007

FolkWorld CD Kritiken

Dave Alvin "West of the West"
Label:
Yeproc Records; 2006; Spielzeit: 57:33 min
Songwriter, Countrymusiker, Folksinger oder melancholischer Blueser? Schwer zu sagen. Dave Alvin tingelt seit über zwanzig Jahren in der längst als eine Art Mischwarenhandlung existierenden amerikanischen Musikszene herum. Immer bemüht möglichst stilreine Musik zu machen. Doch Fusionen scheinen sich gerade dort deutlich durchzusetzen, wo deren Interpreten sich als frei von stilistischer Unterwanderung darzustellen versuchen. In der Countrymusic und bei den Songwritern und auch in vielen Bastionen des amerikanischen Blues hält man nicht viel davon, aus seinen umgrenzten Musikghettos herauszukommen, deshalb gibt es bei den Grammys ja auch so viele Kategorien für stilreine Musikrichtungen. Dave Alvin erhielt selbst mal einen. 2000 war das, als er ein Album mit traditionellen Folksong einspielte. "Public Domain - Songs from the Wild Land". Aber so richtig zu Hause fühlt er sich in der traditionellen Folkmusic auch nicht. Die akustische Gitarre vertauscht er gern mal mit der elektrischen und einen sauberen Blues weiß er ebenso zu singen, wie ein Lied mit patriotischem Schmalz. Auf dem vorliegenden Album "West of the West" wendet er sich ab, von konzeptionell einseitigen Gesamteinspielungen, bleibt aber mit gradlinigen Songs seiner Grundlinie treu. Ein Interstate-Wanderer, einer der nach Westen zieht, wie ein Pionier, der Neuland entdecken will, obwohl längst alles entdeckt, vermessen und aufgeteilt ist. Ein wenig altmodisch kommt er daher, mit Banjo, bluesigen Balladen und Folksong- Botschaften für Pfadfindergruppen. Dabei sind die Songs auf der CD unkompliziert und hörbar und seine Stimme kurz vor der Verkratzheit eines langjährigen Straßenmusikers. Doch am Ende des Albums bleibt nicht viel im Ohr, was nicht auch von jedem andere namenlosen amerikanischen Songwriter hätte gespielt und ersonnen werden können. Sieht man mal von ersten Song "California Bloodlines" ab, der zumindest eine ansteckende Sentimentalität besitzt, ist "West to the West" eine CD, die musikalisch an jeder zweiten Straßenecke hätte aufgenommen werden können.
www.yeoroc.com
Karsten Rube


Biella Nuei "Sol d’iberno"
Label: Delicias Discograficas; Spielzeit: 65:00 min
Beim Aufklappen des Booklets sehe ich zunächst verschneite Bäume. Eine romantische weiße Winterwelt. Ganz klar, denke ich. Das muss Spanien sein. Auf dem ersten Blick mag es ungewöhnlich anmuten, da Besucher des Landes eher von bratpfannenheißen Stränden oder vertrockneten Hochebenen rund um Madrid reden. Doch die Musiker von Biella Nuei stammen aus Aragonien und dort begrenzen die Pyrenäen im Norden das Land. Auch musikalisch unterscheiden sie sich vom gängigen spanischen Musikbild zwischen andalusischem Flamenco, sephardischen Gesängen, Boleros und Pasodobles. Die nördlichen spanischen Provinzen besitzen ohnehin ihre eigene musikalische Klangfarbe. Biella Nuei wissen aus traditionellen Melodien, regional bedeutsamen Instrumenten und den ästhetischen Hörempfinden moderner Menschen eine lebhafte und sehr eigene Musik zu formen, die selbst da ungewohnte Harmonien findet, wo man sie nicht erwartet. Eine Musik, die die Gegenwart eines Landstriches wiedergibt, der so urtümlich wirkt, als befände er sich noch in der Vergangenheit. Tatsächlich finden sich Dörfer in diesem Teil Europas, die noch nicht im neuen Jahrhundert angekommen sind und das vielleicht auch nicht wollen. Das musikalische Spektrum, dieses außerordentlich gut gelungenen Albums fächert sich mühelos auf zwischen Fandangos, Polkas und traditionellen Tänzen Aragoniens. Einfallsreiche Arrangements, ebenso das Instrumentarium. Dudelsäcke, Flöten, neben Streichern, Gitarren und Percussion. Dazu ein diatonisches Akkordeon, das virtuos genug gespielt wird, um mich an den Basken Kepa Junkera zu erinnern. Biella Nuei’s “Sol d’iberno” ist ein unbedingtes Muss für alle Folkmusikfreunde, die nicht in alleiniger Traditionspflege verharren, sondern modernen Folk lieben, der respektvoll und selbstbewusst mit seinen Wurzeln zu hantieren weiß. Ein großes Lob gilt zudem den Gestaltern dieses wunderbaren Booklets, das umfangreich und witzig ist und das ich beim Hören der CD einfach nicht aus der Hand legen konnte.
www.biellanuei.com
Karsten Rube


Siggi Stern "Siam Bruder"
Label:
Flowfish Records; LC12001; 2006; Spielzeit: 44:57 min
“Ich lauf Zickzack und schlag meine Haken...” singt Siggi Stern in seinem Lied “Hasenklavier”. Das klingt wie ein Konzept. “Siam Bruder” ist voller Hakenschläge, musikalisch und textlich. Verliert sich Siggi Stern gelegentlich im Dschungel seiner Metaphern, so behält er doch musikalisch immer die Oberhand. Da ist seine nölig, ölige, obwohl nicht sehr umfangreiche Stimme ein gut gesetztes Instrument. Eigenwillig und schräg ist seine Sicht der Welt und doch irgendwie vereinnahmend. Etwas bleibt hängen beim Hören seiner Musik. Songs, die nicht ins Radio passen. Gottseidank will man sagen angesichts dessen, was das Radio einem Tag für Tag antut. Trotzdem sie nicht gängig sind, sind die Songs eingängig, hörbar, mitzupfeifen, wie das poppige “Hafenkantine”. Und trotzdem mich manch Text ratlos lässt, so stecken sie doch voller rätselhafter poetischer Momente. “Siam Bruder” ist eine CD bei der man verwundert zurückbleibt und sich dabei wohl fühlt. Oder um dem Ganzen eine kurze persönliche Zusammenfassung hinzuzufügen: Ich habe nicht begriffen, was Siggi Stern da macht, aber es gefällt mir.
www.flowfish.de
Karsten Rube


Catherine Howe "Princelet Street"
Label: Eigenverlag; 2006; Spielzeit: 44:38 min
Eine Songwriterin, die mühelos zwischen Jazz, Soul und Balladen tänzelt, sich mit kammermusikalischen Elementen, bis hinüber in poppige Regionen wagt, das hat man auch in den Zeiten verstärkter Fusion zwischen den Musikstilen nicht so oft. Catherine Howe wagt diesen Balanceakt und gerät dabei leicht ins Stolpern. "Princelet street" ist ein durchwachsenes Album, in denen die leisen, sentimentale Töne eine wesentliche Rolle spielen wollen, aber von den beiden schwungvolleren Songs "Shine like a star" und dem Titelsong "Princelet Street" verdrängt werden. Der jazzig poppige  Stil dieser beiden Lieder macht Spaß. Er gibt der Musik von Catherine Howe ein Wärme, die ihrer Stimme leider fehlt. Ihr streckenweise geknödelter Gesangsstil, das Fehlen des Vermögens bei höheren Passagen die Töne zu halten, macht das Vergnügen, diese CD zu hören an einigen Stellen zu einem anstrengenden.
www.catherinehowe.co.uk
Karsten Rube


Los Gigantes "Mexicali - Milwaukee"
Label: edel contraire; 2006; Spielzeit: 56:13 min
Wenn man Stefan Hiss' vielfältigen textlichen Aussagen glauben schenkt, die er auf seinen zahlreichen Konzerten im Zuge seiner ausschmückenden Ansagen von sich gibt, so hat er die ganze Welt bereist, hat alles gesehen und fast alles erlebt. Die Welt jedoch ist ein ziemlich große und so schenkt er nur wenigen Gegenden seine besondere Sympathie. Besonders gern hat er dabei die Welt zwischen dem Süden der USA und dem Norden Mexikos. Zwischen Cajun und Blues und Cumbia und TexMex platziert er sich und seinen musikalischen Begleiter Ralf Groher. Bewaffnet mit Akkordeon und Trompete überschreiten sie die Grenzländereien zwischen Rio Bravo und Tijuana und spielen dabei eine Musik die man mit allerbesten Absichten Caramba-Folk nennen darf. Die Themen, die aus Liebe und Verrat, Gewalt und Alltag gewählt durch die Lieder ziehen,und in den Texten von Stefan Hiss immer eine Rolle spielen, erscheinen hier authentisch und erwecken den Eindruck einer gut performten Reiseerzählung. Los Gigantes, das ist Mexiko fürs Ohr.
www.los-gigantes.de
Karsten Rube


Tracy Grammer "Flower of Avalon"
Label: Signature Sound Recording; 2005; Spielzeit: 49:09 min
Eine bemerkenswerte Stimme im femininen Folk ist zweifellos die von Tracy Grammer. Die Amerikanerin ist bereits eine ganze Weile musikalisch aktiv, hat zwischen 1998 und 2003 mit dem Songwriter Dave Carter einige CD's eingespielt. "Flower of Avalon" widmet sich dem inzwischen verstorbenen Carter in besonderer Weise. Es ist ein eingespieltes Dankeschön an die Zeit, die Grammer mit diesem Musiker zusammenarbeiten durfte. So stammen alle Songs aus der Feder Carters, werden von Tracy Grammer auf die ihr eigene sanftmütige Weise vorgetragen. Dabei bewegt sie sich sicher über die ausgedehnten Graslande, die sich zwischen Folk und Country erstrecken. Tracy Grammer braucht dabei den Vergleich zwischen Mary Black, Karen Matherson und Joan Baez nicht zu scheuen.
Www.tracygrammer.com
Karsten Rube


Blue Jar "Ducks & Geese"
Label: Eigenverlag; Spielzeit: 49:45 min
Stephan Grapeli, Django Reinhardt etwas Gypsyswing und ein paar Gershwinnummern. Das reicht gut ausgebildeten Musikern oft aus, um Gleichgesinnte um sich zu scharen und für ein paar Kröten zum Tanztee aufzuspielen. Als gewöhnlicher Berufsmusiker ist es ohnehin nicht einfach, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das irische Trio Blue Jar spielt hauptsächlich auf Festivals und bei Anlässen, die von sozialen Einrichtungen und Hilfsorganisationen organisiert werden. Anlässe, in denen sie mit den einfachen Arrangements der von ihnen dargebotenen musikalischen Standards nicht für allzu große Aufregung sorgen. Die CD "Ducks & Geese" vereinigt 13 Kompositionen wie "I got Rhythm" von Gershwin, Camille Saint-Saints "Swan" und "Sweet Georgia Brown" im Gypsy-Swing-Stil. Alles sehr gefällig eingespielt und unaufregend arrangiert. Für den Tanztee am Sonntagnachmittag bestens geeignet.
www.myspace.com/bluejarbelfast
Karsten Rube


Gina Sicilia "Allow me to Confess"
Label: Swing Nation Records; 2007; Spielzeit: 42:53 min
“Blues ist was, das alte Männer am Besten können.” Diese vorgefertigte Meinung hat Tradition und ist in vielen Fällen auch bestens zu belegen. Alte Männer haben nun mal ziemlich häufig den Blues. Das sich eine 22 jährige Frau gleich mit ihrem Debüt-Album dabei in meisterhafter Performance den Blues zur Brust nimmt und mühelos alles an die Wand singt, was in den letzten Jahren an verdächtig jazzigen jungen Frauen durch die Radios geprügelt wurde, ist in diesem Fall ziemlich bemerkenswert. Noch völlig unbekannt und weitgehend vom Radio verschont singt sie sich auf ihrer CD “Allow me to Confess” durch acht gelungene Eigenkompositionen, die teils schmutzig bluesig, teils soulig balladesk klingen. Ein Song von Etta James wird mit einem launischen Saxophon untermalt und klingt nach einem gut gefüllten Tanzschuppen im Sommer des Jahres 1956. Gleich der Einstiegs-Song “That’s a pretty good love” ist ein ungemein vereinnahmender Blues, in der Gina Sicilia ihre kraftvolle Röhre zur Geltung bringt und deutlich zeigt, dass der Legende vom Blues der Alten Männer ein paar alternative Handlungsstränge gut zu Gesicht stehen würden.
www.ginasicilia.com
Karsten Rube


Trillke Trio "Abfahrt"
Label:
Flowfish Records; 2007; Spielzeit: 51:11 min
Sobald Trillke-Trio in voller Besetzung (was weit mehr Leute erscheinen lässt, als der Name vermutet) auf Bühnen von Folkfesten oder Protestveranstaltungen losschrammeln, kocht es im Publikum. Stillstehen geht dann gar nicht mehr und irgendwann hört man sich mitgrölen bei Texten, die sehr plakativ einen engagierten Background erkennen lässt. Live vermögen Trillke Trio beinahe etwas gespenstisch verführendes zu haben. Der Vergleich zu Folkpunkkapellen wie den Inchtobakatabels oder den Transsilvanians drängt sich auf, alles Kapellen, die ihr Publikum dirigieren. Damit gelang es ihnen mühelos den Weltmusikpreis Creole zu erspielen. Doch was Live mit Charisma und Spiellaune zu kochenden Konzerthighlights werden kann, muss als Silberling in Autoradio oder Homestudio noch lange nicht funktionieren. Im Falle der CD “Abfahrt” passiert genau das. Egal wie oft ich versuche, die CD zu hören, sie zündet einfach nicht. Im Gegenteil. Die CD wirkt wie eine Sammlung von Zirkuspolkas. Die Tuba ist so omnipräsent, dass man fürchten muss, gleich mit einem geschminkten Clown konfrontiert zu werden. Das restliche Instrumentarium jedoch geht in einem akustischen Brei unter, der in offensichtlich übertriebener Sehnsucht nach Gleichberechtigung jedem Instrument den selben Stellenwert zubilligt. Und was man live vielleicht noch treudoof mitgrölt, ist als Vorsingetext beinahe unerträglich. Die Botschaften stimmen zwar immer noch, doch warum müssen engagierte Texte in dieser Form häufig mit dem Holzhammer gemeißelt werden. Live macht man sich wahrscheinlich nicht allzu viele Gedanken, aber mit wachem Gemüt frage ich mich, gibt es in der deutschen Folk- und Liederszene denn gar keine Poeten mehr? Wer Trillke Trio wirklich hören will, sollte das besser live tun.
www.flowfish.de
Karsten Rube


Helmut Eisel und Band "Klezmer at the Cotton Club"
Label:
Westpark Music; LC07535; 2006; Spielzeit: 73:21 min
Der Cotton-Club, war in den zwanziger Jahren ein Club für Weiße. Nur Weiße durften ihn besuchen, trinken, tanzen, feiern, der Show zusehen. Der Cotton-Club war zu dieser Zeit aber auch ein Club nur für Schwarze. Nur Schwarze durften dort auf und an der Bühne arbeiten. Alles war deutlich abgegrenzt. Ähnlich war es in den Straßen rund um den Cotton-Club. Die Iren hatten ihr Revier, die Juden ein anderes, die Farbigen ohnehin. Auch musikalisch waren die Claims gut abgesteckt. Jüdische Musik war eine Sache, Gospel eine andere und Jazz ohnehin. Der Klarinettist Helmut Eisel stellte sich die Frage, wie es wohl gewesen wäre, wenn es diese strikten Grenzen nicht gegeben hätte und Cab Calloway seinen jüdischen Freund Naftule Brandwein öffentlich zum gemeinsamen Musizieren geladen hätte. Ein mögliches Ergebnis wäre wohl etwas, das wie “Klezmer at the Cotton-Club” klingt, die CD, die Helmut Eisel als Beantwortung dieser Frage vorlegt. In 14 Songs nimmt Helmut Eisel seine Hörer mit in eine Klangwelt voller Emotionen. Die weinende Wehmut einer Klarinette gepaart mit dem ruchlosen Jazz der Prohibition. Cab Calloway wäre begeistert. Es ist das kulturelle Erleben der Weltstadt New York als globales Dorf. Als wäre Fusion ein gängiges Konzept aus den Dreißiger Jahren. Helmut Eisel und seine Band sind in der Lage Jazz orientalisch klingen zu lassen und im Klezmer das zu erkennen zu geben, was offensichtlich ist, den jüdischer Blues.
www.helmut-eisel.de
Karsten Rube


La Tana "Tú, ven a mi"
Label:
Ausfahrt Worldmusic Recordings; LC 07674; 2006; Spielzeit: 38:24 min
“Tú, ven a mí” heißt das bemerkenswerte Debüt-Album der spanischen Flamenco- Sängerin Victoria Santiago Borja. “Du, komm zu mir” in der Übersetzung ist eine Einladung in die aufgeheizte Atmosphäre eines Flamenco-Abends. Victoria, die sich als Sängerin nun La Tana nennt bringt mit jugendlicher Leichtigkeit den komplizierten Flamencogesang über ihre Lippen. Dabei nimmt sie sich Musikstilen an, die normalerweise wenig mit Flamenco zu tun haben, wie Rumba und Tango und taucht sie in den andalusischen Herzschlag. Allein für den Titelsong “Tú, ven a mí” lohnt es sich den CD-Player laut aufzudrehen und sich zu fühlen wie in Sevilla. Dass die junge Sängerin eine hervorragende Stimme hat, hört man sofort. Dass das nicht unbemerkt geblieben ist, erkennt man am Namen des Produzenten. Paco de Lucia produzierte diese CD, die erste seit nahezu 15 Jahren. Natürlich lässt er es sich nicht nehmen sein unverkennbares Gitarrenspiel in den Dienst der großartigen Stimme von La Tana zu stellen.
www.ausfahrt.de
Karsten Rube


Rainald Grebe "Das Robinson Crusoe Konzert"
Label: Versöhnungsrecords; CD 03966; 2007; Spielzeit: 63:10 min
Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung "Volksmusik"
Label: Versöhnungsrecords; CD 03965; 2007; Spielzeit: 66:34 min
Rainald Grebe (-> FW#34) ist in der Mitte des Lebens angekommen. Er ist reif für die Insel. Jeder lebt auf einer Insel und meistens ist es nicht Ibiza. Rainald geht es wie Robinson Crusoe, ebenfalls solo, Selbstversorger und Ich-AG. Der Schauspieler und Pianist aus Berlin und die Mischung aus Udo Jürgens und Helge Schneider (so schreibt der Stern) präsentiert ein Soloprogramm und Musikkabarett, das kauzig, komisch, dadaistisch und absurd daherkommt. Nur eines ist es nicht: massenkompatibel! Das ist Rainald Grebe auch niemals mit seiner "Kapelle der Versöhnung" (Schlagzeuger Martin Brauer und Gitarrist Marcus Baumgart), auch wenn er mit selbiger die Liederbestenliste erklommen hat. Nach eigenem Eingeständnis zwischen Liedermacherei alter Tradition und Pop a la Sven Regener dichtet er Hymnen auf Brandenburg und Meck-Pomm, raunzt volksmusik-artige Stanzln und rockt als "Single in Berlin". Damit ist er zwar nicht das Beste aus den 70ern, 80ern, 90ern, das Beste von heute, sondern eher der Ausweg aus der Spaßgesellschaft. Aber dennoch ein Spaß fürs Leben (auf der Insel) - wenn man denn den skurrilen Gedankengängen Rainald Grebes folgen kann.
www.rainaldgrebe.de
Walkin' T:-)M


Kelpie "Var det du - var det deg?"
Label:
Westpark Music; 87139; 2007; Spielzeit: 54:28 min
Das Cover ziert ein Gemälde des norwegischen Malers Theodor Kittelsen namens "Nøkken". Dies ist der Wassertroll, das skandinavische Pendent zum schottischen Kelpie. Kelpie heißt auch das gemeinsame Projekt von Sängerin Kerstin Blodig (-> FW#2, FW#2, FW#15, FW#21, FW#24, FW#29, FW#31) und Gitarrist Ian Melrose (-> FW#22). War das erste Kelpie-Album eher spartanisch, setzt frau und man nun auf eine Großproduktion. Gäste sind z.B. Urs Fuchs (Kontrabass -> FW#33) und Leiv Solberg (Hardangerfiedel). Ein erbaulicher Choral gebietet, die Hoffnung nicht fahren zu lassen. Die atmosphärischen nordischen Balladen gehen unter die Haut, aber nicht alle Stücke sind geheimnisvoll, unheimlich und dramatisch. Manchmal gelingt es den beiden den Hörer mitzureißen. Das scheint der schottische Einfluss zu sein; einige Arrangements erinnern mich denn auch an die junge Diva von den Hebriden Julie Fowlis (siehe Rezension in der englischen FW-Ausgabe). Irgendwo zwischen Lofoten und Orkney Islands bannt sich das Seeungeheuer namens Kelpie bzw. Nøkken seinen Weg - unbeirrbar, unsink- und unschlagbar.
Westpark Music
Walkin' T:-)M


Edyta Geppert & Kroke "Spiewam zycie - I Sing Life"
Label:
Oriente; RIENCD61; 2007; Spielzeit: 53:43 min
Edyta Geppert ist eine populäre polnische Sängerin, die hierzulande leider noch weitgehend unbekannt ist. Das sollte (und muss) sich mit der Veröffentlichung auf dem Oriente-Label ändern. "Spiewam zycie" (Ich singe das Leben) ist Motto und Beginn einer lockeren und abwechslungsreichen Stunde Musik; die Melodie des Liedes ist besser bekannt als "Ajde Jano". Edyta Geppert interpretiert Texte von Mordechaj Gebirtig und Itzig Manger und schreckt auch vor Sophokles "Antigone" nicht zurück. Als kongeniale Begleitband hat sie die polnische Neo-Klezmer-Band Kroke (-> FW#34) gefunden. Selbst keine musikalischen Puristen blicken Tomasz Kukurba (Violine), Jerzy Bawol (Akkordeon) und Tomasz Lato (Kontrabass) zusammen mit Edyta Geppert über den Tellerrand von polnisch-sprachigem Chanson einerseits, als auch jiddischer Klezmermusik und osteuropäischen Klängen andererseits. Das Booklet enthält die polnische Texten mit deutschen Erläuterungen.
Oriente Musik
Walkin' T:-)M


Bannal "Bho Dhòrn gu Dòrn"
Label:
Macmeanmna; SKYECD 32; 2006; Spielzeit: 57:59 min
Nuair theid thu mach seinnear piob dhut; nuair thig thu steach, seinnear clarsach nan taud binn dhut. - Wenn du ausgehst, spielen die Pipes für dich, wenn du heimkommst, erklingt die Harfe ...
Was sind waulking songs? Nun, da stellen wir uns mal ganz dumm: Waulking songs (gälisch: Orain Luaidh) sind traditionelle schottische Lieder, die von den Frauen während des waulking gesungen wurden. Frau begann meist mit eher ruhigen Stücken und das Tempo zog langsam an. Typischerweise sang eine Person einen Vers, die anderen stiegen in the Kehrreim oder Refrain ein, der oft nur aus bedeutungslosen Silben bestand. Inhaltlich geht es in den Liedern um Menschen und Orte, Liebe und Krieg. "A Mhic Iain 'ic Sheumais" zum Beispiel preist Donald MacDonald von Eriskay, dem Sieger der Schlacht von Carinish auf North Uist (1601); angeblich wurde es von seiner Amme gesungen, als sie einen Pfeil aus seiner Brust entfernte. "Seinn o horó seinn" (Sing, Liebste, sing) ist etwas bekannter. Das waulking gibt es heutzutage höchstens noch als Touristenattraktion auf den Äußeren Hebriden, als Musikform ist es allerdings wieder populär geworden. Eine Dekade zuvor haben die Ladies von Bannal bereits ein Album aufgenommen, nun folgt die zweite Runde. Ich kann auch nichts schlechtes sagen, aber eine Stunde waulking kann nicht nur für die Ausführenden physisch anstrengend sein, sondern auch für ungeübte Ohren. Auf der Rückseite der CD befindet sich eine halbstündige DVD, die das waulking anschaulich erklärt. Sehr interessant.
Se mo cheist an gille donn, bheireadh air an fhidill pong. - Mein Liebster ist der braunhaarige Knabe, der die Fiedel singen lässt ...
Macmeanmna
Walkin' T:-)M


Herbert Bartmann "Temmi"
Label:
Artychoke; AP-0807-CD; 2007; Spielzeit: 53:07 min
"Temmi" könnte sich als die interessanteste deutschsprachige Platte des Jahres 2007 erweisen. Herbert Bartmann ist Mitglied der ostfriesichen Gruppe Laway (-> FW#33), spielte im Duo Contrario mit dem Organisten Thomas Blum, erlernte so ganz nebenbei die klasssiche Piobaireachd-Musik des schottischen Dudelsacks und legt nun seine erste Soloplatte vor: oostfreeske Leder, Woorden un Musik. "Buhske di Remmer", 1691 aufgeschrieben, ist das einzige überlieferte Musikstück in der (ost)friesischen Sprache; Friesisch ist eine eigenständige Sprache und Ostfriesisch wird nur noch in der Gemeinde Saterland (Cloppenburg) von rund 2.000 Menschen beherrscht. Die Devise der Friesen lautet(e) Lever dood as Slaav (Lieber tot als Sklave); heute kommen solche Sprüche meist nur noch von Leuten, die selbst keine 5 Kniebeugen hintereinander machen können. Herbert Bartmann hat aus dem Friesenmotto einen (indianischen) Chant gemacht. Die friesische Sturheit wird meistens damit erklärt, dass sie auf von ihnen selbst geschaffenem Land siedelten: Deus mare, Frisia litora fecit (Gott schuf das Meer, der Friese die Küste). Aus Emden stammt das traditionelle "To 't Andenken an de grote Waterfloot 1825": Wat huult de Störm, wat bruust de See, uns dringt de Watersnood. Oh Gott, laat uns van Unheel freei, bewahr uns vör de Dood. Bartmann singt die Eigenkompositionen "Bismarckleed" und "Dat tweed Gesicht", Villons "Epitre a mes amis" auf Platt, spielt aber auch Tanzlieder wie "Malbrook", das in Friesland geläufig (Wolfgang Meyering hat danach seine Band benannt -> FW#34), aber ursprünglich ein französisches Volkslied über den Tod des Herzog von Marlborough 1709 gewesen ist. Bartmann singt und spielt alle Instrumente, akustische und elektrische Gitarre, Bombarde, Whistles, Scottish Smallpipes, Synthis und Samples, und interpretiert seine Liedauswahl durchaus modern und zeitgemäß. Das Booklet ist auf Hochdeutsch, ostfriesischem Platt und Englisch, inklusive Worterklärungen. Sehr schön, unbedingt mal reinhören!
Artychoke
Walkin' T:-)M


Jonatha Brooke "Careful What You Wish For"
Label: Bad Dog Records; BDR-US-60307; 2007; Spielzeit: 42:32 min
Die amerikanische Singer-Songwriterin Jonatha Brooke hat ihre musikalische Karriere als die eine Hälfte des Folkduos The Story begonnen (die andere Hälfte war Jennifer Kimball). Wer von den beiden die bessere Hälfte war, sei einmal dahingestellt, jedenfalls steht Jonatha Brooke seit 1994 auf eigenen Füßen. Auf ihrem neunten Album "Careful What You Wish For" rockt sie auf 11 packenden Titeln, die ersten drei und der letzte Song wurden zusammen mit Eric Bazilian (Hooters) verfasst. Jonatha Brooke ist die "Prodigal Daughter", searching the heavens, living in hell, die nicht zurückkehrt: the party's still over, the wine's turned to water. Am Anrührendsten ist "Never Too Late for Love", das unmittelbar aufgenommen wurde, nachdem es geschrieben worden war. Verwendet wurde der first take und man kann spüren, wie Jonatha noch die Akkorde sucht - aber the vibe couldn't be topped. Der Opener lässt sich über die Verlockungen und Fallstricke von Prominenz und Berühmtheit aus. In diesem Sinne gehört Jonatha Brooke nicht zum auserlesenen Club, doch wäre ihr durchaus ein größerer Bekanntheitsgrad zu wünschen.
Vertrieb: Rykodisc
Walkin' T:-)M


Niall Vallely, Paul Meehan, Caoimhin Vallely "Buílle"
Label:
Vertical; VERTCD071; 2005; Spielzeit: 46:13 min
Unter dem Namen "Buílle" hat sich ein interessantes irisches Trio zusammengetan. Die Gebrüder Niall und Caoimhin Vallely stammen aus der bekannten Musikerfamilie aus dem nordirischen County Armagh. Niall (Concertina) war Mitbegründer der Band Nomos und begleitet heutzutage seine nicht nur musikalische Partnerin Karan Casey (siehe Rezension unten). Caoimhin (Piano) hat eine ebenso illustre Vergangenheit in Gruppen wie Upstairs in a Tent und North Cregg. Paul Meehan (Gitarre) gilt als solides Backing und hat erst unlängst bei der irischen Supergruppe Lunasa angeheuert (-> FW#32). Caoimhin und Paul bekommen ihre Soloeinlagen (als auch Gast Brian Morrissey am Bodhran), aber "Buílle" ist zuallererst über die Konzertina. Es ist ein rein instrumentales Album und die Tunes wurden nahezu ausschließlich von Niall komponiert: das gesamte keltische Spektrum von berührenden Airs bis zu feurigen Reels, plus "Eleven Eight" in einem ungeraden Balkan-Rhythmus. Die Tunes haben Musikalität und Nialls Spiel und Stil ist einfach großartig. Er spielt mit einem Timing und mit einer Präzision wie nur wenige Jünger dieses Instruments. Empfehlenswert!
www.vallelymusic.com
Walkin' T:-)M


Deering & Down "Break this Record"
Label:
Diamond; 2007; Spielzeit: 49:36 min
Lahna Deering (Gesang), Rev Neil Down (Liedgitarre) und ihre Rock'n'Roll-Band sind Deering & Down. Ihre Heimat: das kalte und dunkle Alaska. Sie verschmelzen Blues, Americana und Roots-Rock und lassen es mit traurigen Liebesliedern mit beschwörenden lyrischen Formeln mal so richtig krachen. (Ja, das geht!) Lahna Deering klingt als wäre Rod Stewart ausgeflippt und hätte sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. (Oder umgekehrt, Rod hätte sich der Operation unterzogen und wäre dann ausgeflippt.) Als hätten die Coen-Brüder eine Band gegründet. (Und Alaska schlägt Nord Dakota allemal.) So muss das wohl sein, wenn man zulange der Dunkelheit ausgesetzt ist. Auf alle Fälle bringt es das Eis zum schmelzen und Deering & Down sind ein bisweilen skurriles, aber solides, unterhaltsames und abwechslungsreiches Rockalbum gelungen.
Diamond Records
Walkin' T:-)M


Morgan Finlay "Shifting Through the Breakers"
Label:
Sound of Liberation; SOL102; 2007; Spielzeit: 37:02 min
Der kanadische Singer/Songwriter Morgan Finlay lebt in Berlin, darum braucht man sich auch nicht über das deutschsprachige Stück "Bei Dir Sein" in der Mitte des Albums "Shifting Through the Breakers" wundern. Live agiert Morgan Finlay solo einzig mit seiner Gitarre auf der Bühne, auf seinem Studioalbum wird er von einer Band unterstützt. Er hat eine poppige Klangfarbe gewählt, die niemandem wehtut (vergleichbar z.B. mit Richard Gilpin -> FW#33) - digging for melody in the empty sound of industry. Nach einem gelungenen Auftakt mit der wunderschönen Ballade "(in)Security" können allerdings nicht mal die Hälfte der Titel meine Aufmerksamkeit erringen, z.B. das bereits erwähnte, rockige "Sound of Industry", allzu ähnlich klingt alles. Da gewinnen Textzeilen wie killing time und schlaf ruhig ein leider eine ganz andere Bedeutung. Schade eigentlich, denn Morgan Finlay setzt der Kälte und dem Kommerz der Musikindustrie eine sympathische und warme Popmusik entgegen, die im Mainstream liegt, aber nicht hochgradig kommerziell ist.
Sound of Liberation
Walkin' T:-)M


Eric Fish "Gegen den Strom"
Label: Esox Music; ESOX001CD; 2007; Spielzeit: 46:10 min
So kann man sich irren. Beim ersten oberflächlichen Hören dachte ich beim ersten Lied "Steh auf!" ah, das kennst du doch, und als ich beim letzten "Ein langer Weg" angekommen war, aha, noch ein Cover. Aber nicht doch, "Steh auf!" ist keine deutsche Übertragung von Buffalo Springfield und der Refrain It's a long way to the top if you wanna rock'n'roll hat nix mit AC/DC zu tun. Eric Fish hat seine musikalische Karriere noch in der DDR begonnen, die ihn 1988 in den Endausscheid der Nachwuchsliedermacher in Berlin trug. Die herbe Kritik von Gerhard Schöne und Barbara Thalheim lassen sein Interesse in Richtung keltischer Folklore wandern. Mit Jan Klemm (Geige) und Tobias Unterberg (Cello), die später bei den Inchtabokatables landen, gründete er die Band Catriona. 1992 lässt sich Eric Fish auf das Abenteuer Subway to Sally (-> FW#27) ein, deren Gemisch aus Hardrock und Mittelalter bis in die deutschen Charts gedrungen ist. Eingerahmt von den zwei, äh, Cover-Songs präsentiert sich Eric Fish auf seinem dritten Soloalbum als kritisches Wesen, das gegen den Strom schwimmt, zornig, den alltäglichen Wahnsinn hinterfragend. Er hat damit eine zeitgemäße Form des Protestliedes gefunden, jenseits von belanglosem Funfolk als auch langweiligem Agitpop. Die sparsame Instrumentierung - Akustikgitarre, Klavier und Mundharmonika, von ihm selbst gespielt sowie von Rainer Michalek, Uwe Nordwig und Gerit Hecht - macht die Stücke nur umso eindringlicher. Ach, Gerhard und Barbara, ihr habt ja keine Ahnung!
www.ericfish.de
Walkin' T:-)M


Tom Freund and Co. "Sweet Affection"
Label: Surf Road; SRR7000; 2005; Spielzeit: 42:14 min
Tom Freund "No Turning Back"
Label: Surf Road; 2006; Spielzeit: 68:58 min + dvd
Tom Freund, Bassist der Indie-Countryrocker The Silos, hat sich Ende der neunziger Jahre selbstständig gemacht. Und das war eine gute Entscheidung, betrachtet man die Abfolge von Stücken auf den beiden Alben "Sweet Affection" und "No Turning Back". Tom Freund dreht seiner musikalischen Vergangenheit zwar nicht den Rücken zu, schaut aber auch nicht nostalgisch zurück. Einige Titel sind ziemlich (Kontra)Bass-dominiert und diese sind etwas jazziger und sperriger. Hauptsächlich aber sind Songs wie "Copper Moon" und "Sympatico", obwohl die Texte leicht melancholische Züge haben, zugängliche und eingängige Popperlen. Tom Freund erweist sich - um aus dem Stück "Sweet Affection" zu zitieren - als ein mastermind alternativer Pop- und Folkpop-Musik. "No Turning Back" hat als Extra noch eine DVD, die ein neunminütiges Feature über Tom Freund beinhaltet sowie vier Live-Aufnahmen.
www.tomfreund.com
Walkin' T:-)M


A Glezele Vayn "feynherb"
Label:
Flowfish; FF 0009; 2007; Spielzeit: 51:11 min
Ich bin ja zugegeben- und bekannter-maßen kein Klezmer- und Balkan-Hardcore-Fan. Manchmal sind mir die Klarinetten zu schrill, die Melodien und Arrangements zu süß und süffig, die Rhythmen machen einen Knoten in meine Füße. Aber die Tröpfchen, die A Glezele Vayn (-> FW#34), hier kredenzt, sind von feiner und herber Natur. Das Bukett entfaltet sich auf subtile Weise, langsam aber sicher, und hinterlässt einen angenehmen Nachgeschmack, der nach mehr verlangt. Achim Rinderle (Klarinetten, Saxophon), Szilvia Csaranko (Akkordeon), Daniel Bister (Bass) und Jacobus Thiele (Perkussion) spielen traditionelle Klezmerstücke, Folk aus Mazedonien, Bulgarien und Armenien, aber auch einen Zwiefachen aus dem Allgäu. In "Klarinettenhass" singt Achim Rinderle: Mir wird schon übel von dem Ton. Ich hasse Klarinette ... und immer wenn ich Soli mach, werden primär alte Männer schwach, was für 'ne Schmach. Nein, nicht nur alte Männer. Ich bin nicht bekehrt, aber auf dem Wege der Besserung.
Flowfish Records
Walkin' T:-)M


Iontach "Jiggin' It"
Label: Eigenverlag; IONCD177; 2007; Spielzeit: 49:43 min
Das irisch-norddeutsche Trio Iontach (-> FW#30, FW#32, FW#34) besteht aus Siobhán Kennedy (Flöten, Geige), Angelika Berns (Piano, Bodhran) und Multiinstrumentalist Jens Kommnick. "Jiggin' It" ist wie der Vorgänger sowohl heiter und ausgelassen, als auch melancholisch und kammermusikalisch. Iontach spielt irische Instrumentalmusik, der rote Faden ist jedoch ihr dreistimmiger Harmoniegesang. Angelika ist verantwortlich für die englisch-sprachigen Lieder. "Down the Green Fields" etwa stammt aus der gepriesenen Sammlung "The Songs of Elizabeth Cronin". Iontach nutzt die ursprüngliche Musik und die Worte als Refrain und Jens hat eine neue Melodie für die Verse verfasst. Die Zeile Down the green fields we’ll jig it, we’ll jig it along gab der CD ihren Titel. Desweiteren "Kitty Lie Over", bekannt sowohl als Song als auch als Jig, Emily Smith’s "Edward of Morton" (-> FW#31). Die traditionellen gälischen Lieder werden von Siobhán gesungen. "Cad é sin don té sin" ist ein bekanntes Gedicht, das sie noch in der Schule gelernt hat. Es wurde u.a. von Skara Brae (-> Skara Brae) aufgenommen, dieses Mal mit einer neuen Melodie von Siobhán und Jens. "Ding Dong Dederó" ist ein traditionelles Arbeitslied, der Titel und Refrain verweist auf den rhythmischen Klang des Hufschmieds bei seiner Tätigkeit. Das erinnert mich daran, dass das Lied von Breandán Ó Madagáin in seinem Buch "Keening and Other Old Irish Musics" erwähnt wird (-> FW#32). Madagáin beklagt, dass nicht allzu viele irische work songs überliefert wurden, da ihr Gebrauch zusammen mit der irischen Sprache verschwand, bevor Sammler sie aufzeichnen konnten. Ein Dank geht an die Deutschen und ihre Arbeitsmoral, dass sie die Tradition aufrechterhalten.
www.iontach.de
Walkin' T:-)M


Th' Legendary Shack Shakers "Swampblood"
Label:
Yep Roc; CD-YEP-2149; 2007; Spielzeit: 32:55 min
Col. J.D. Wilkes und seine Legendary Shack Shakers sind eine von Punk und Blues, Hillbilly und Polka inspirierte Rockband, die seit gut einem Jahrzehnt die amerikanischen Südstaaten unsicher macht. Ursprünglich eine traditionelle Rockabilly-Band vertraut man nun eher psychedelisch angehauchtem Swamp-Rock, eine Art durchgedrehte Lynard Skynyrd mit Springerstiefeln und Sicherheitsnadeln in Lederjacke und Ohrläppchen. Iggy Pop blickt neidisch auf Wilkes Bühnenpossen. Ein betrunkenes Banjo darf nicht fehlen, das Delta trifft auf die Appalachen. Musikalisch. Die Lieder sind über Wasserleichen, dreibeinige Hunde, Lynchmobs und cross-eyed grannies pluck tuneless banjers. Die Gebrüder Grimm der Südstaaten behaupten, dass vieles ihrer lyrischen Reportage auf Fakten basiere und finden es selbst gruselig. Nichts für zaghafte Zeitgenossen. Weder die Geschichten noch die Musik.
Col. J.D. Wilkes hat kürzlich den Dokumentar-Film "Seven Signs" fertig gestellt, der den musikalischen Underground des amerikanischen Südens präsentiert.
Dt. Vertrieb: Cargo Records
Walkin' T:-)M


Áine Minogue "Celtic Meditation Music"
Label:
Sounds True; M787D; 2004; Spielzeit: 60:58 min
Áine Minogue "Celtic Lamentations"
Label: Sounds True; M952D; 2005; Spielzeit: 57:29 min
Áine Minogue ist eine in Borrisokane, im südirischen County Tipperary, geborene Harfenistin, die nun in den Vereinigten Staaten lebt. Hierzulande ist sie nicht so bekannt (Áines Bruder Noel ist der Akkordeonspieler der Gruppe Midnight Court -> FW#4, FW#19). "Celtic Meditation Music" ist ein mit Gästen wie Joannie Madden (Cherish the Ladies) eingespieltes Instrumentalalbum. Jedem Stück ist im Booklet ein Gedicht beigegeben, über das man meditieren mag (oder soll), um in die jeweilige Stimmung zu finden. Beispielsweise ist dem "Aran Boat Song" eine Beschwörungsformel Amergins beigegeben, oder dem bekannten "Dawning of the Day" (besser bekannt als das Lied "Raglan Road") der "Deer's Cry" aus dem 8. Jahrhundert (aus dem Gälischen übersetzt vom deutschen Keltologen Kuno Meyer). Desweiteren besteht die "Celtic Meditation Music" aus Carolans "Bridget Cruise", sowie traditionellen irischen Melodien wie "An Raibh Tu' Ag an gCarraig" (vgl. -> FW#22), "Bruach na Carraige Baine", "Dark Island", "Easter Snow" und "Limerick's Lamentation" (Marbha na Luimneach).
"Celtic Lamentations" ist ein interessantes Konzeptalbum mit Musik, die nach Verlust und Trauer helfen soll, wieder mit sich und der Welt ins reine zu kommen. Die alten Iren haben ihre wakes (Totenwachen) abgehalten, oftmals rauschende Feste mit Musik, Tanz und Alkohol. Am Grab stimmten die alten Weiber ihr keening (Totenklage) an (vgl. -> FW#32). In der heutigen modernen Welt gibt es nur noch wenige Rituale für diesen Zweck. Áine hat gälische Songs aus Irland und Schottland aufgenommen, wie "Caoineadh na dtri Muire" oder den gälisch-lateinischen Hymnus "Deus Meus" aus dem Mittelalter. Wiegenlieder, aber auch instrumentale Klagelieder wie "Carolan's Farewell to Music", der letzte Tune, den der berühmte irische Harfenist auf seinem Totenbett komponiert hat.
Die Musik auf beiden Alben tut keinem weh, strengt nicht an und hat durchaus Clannadsche Qualitäten.
Sounds True
Walkin' T:-)M


Okkervil River "The Stage Names"
Label:
JAGJAGUWAR; 2007; Spielzeit: 41:52 min
"The Stage Names" wird wie jede neue Okkervil River-Scheibe (-> FW#31) als das ambitionierteste und cineastischste Werk von Will Sheff, dem Indie-Rocker aus Austin, Texas, gepriesen. Der Opener mit dem Titel "Our Life is not a Movie" wartet mit grandiosen Bilder und Metaphern auf: It's just a bad movie, where there's no crying, it's just a life story, so there's no climax. In den epischsten Momenten finden sich Anklänge an U2, aber no one wants a tune about the 100th luftballoon und der dazugehörige Film stammt eher von Robert Altman auf Drogen. On a seven day high, that heavenly song punches right through my mind and just hums through my blood. A sound in the sky, coming down from above, it surrounds you and sighs and is whispering of what pulls your body down, and that is quicksand. Das Ganze, das Leben oder das Album ist vielleicht ein bad movie, aber nicht von schlechten Eltern.
www.jagjaguwar.com
Walkin' T:-)M


Ougenweide "Ungezwungen"
Label:
Bear Family Records; BCD 16141 AH; 1977/2007; Spielzeit: 72:43 min
Ougenweide "Fryheit / Ousflug"
Label: Bear Family Records; BCD 15962 AH; 1978-79/2007; Spielzeit: 82:04 min
Ougenweide "Ja-Markt / Noch aber ist April"
Label: Bear Family Records; BCD 15974 AH; 1980-81/2007; Spielzeit: 74:24 min
Die Ougenweide-Geschichte geht weiter: die umtriebige Bärenfamilie hat nach den ersten vier Ougenweide-Platten (-> FW#32) die zweite Fuhre auf CD aufgelegt und dokumentiert nun den Bandhöhepunkt Ende der 1970er und den Stilwechsel 1980. Die Band hatte mit mittelhochdeutschen Texten und verrockter alter Musik fleissig landauf und landab konzertiert. Das Live-Album "Ungezwungen" (1977) ist ein halber Ougenweide-Auftritt, inklusive einer ausufernden Improvisation über der Ballade von Neidhart von Reuenthal, die der Gruppe den Namen gegeben hat. "Fryheit" (1978) ist ein Konzept-Album, das 6 Folgen der ZDF-Serie "Dokumente Deutschen Daseins" von den Bauernkriegen über den Dreißigjährigen Krieg bis zur Revolution von 1848 musikalisch illustrierte. Bewegte die Gruppe sich hier in Richtung Musiktheater, war "Ousflug" (1979) wieder eine und die letzte typische Ougenweide-Scheibe. Im zweiten Jahr nach dem Deutschen Herbst wurde das Tagesgeschehen kommentiert, inklusive dem "Denunziantenlied" aus dem Sozialdemokratischen Liederbuch von 1897.
Auf "Ja-Markt" (1980) und "Noch aber ist April" (1981) wandelte Ougenweide sich nun völlig zur Polit-Folk-Rock-Band. Auf dem Plattencover prangte ein überdimensionaler Barcode, innen drin nur noch eigene Texte und Musik. Ich spielte auf fast jedem Folk-Festival, ich sang Lieder von Feldern und Wiesen, ich habe jetzt die Geige elektrisch verstärkt, weil leise Töne niemand mehr hört, dichtete Wolfgang von Henko. Und - 25 Jahre später immer noch aktuell: Deutschland, auf weichen Federn mach dir den Kopf nicht schwer im irdischen Gewühle. Auch wenn man dir alles verböte, ach, gräm dich nicht zu sehr, du hast ja Schiller und Goethe. Schlafe, was willst du mehr? Der Zeitpunkt war schlecht gewählt: Aus Lokomotive Kreuzberg war eben Spliff geworden, die Scherben und Rio Reiser sangen auch nur noch kryptische Texte und für Politik und Parolen war in der ich will Spaß, ich will Spaß-Gesellschaft der Neuen Deutschen Welle kein Platz. Es ist eine merkwürdige Mischung von überholten Rocksounds einerseits und heutzutage durchaus modernen Folkrocksounds andererseits mit den bürgerlichen Gesangsidealen des 19. Jhds. Und während für Rockmusik-Fans der Gesang von Minne Graw und Olaf Casalich allzu gewöhnungsbedürftig war, wurden die alten Ougenweide-Fans von den neuen Klängen vergrault.
Es sollte das letzte Album von Ougenweide sein. Ein back to the roots wurde nicht in Betracht gezogen; Ougenweide ging getrennte Wege.
Bear Family Records
Walkin' T:-)M


Soïg Sibéril "Lammat ..."
Label:
Coop Breizh; CD 977; 2006; Spielzeit: 49:32 min
Soïg Siberil ist einer der bekanntesten bretonischen Gitarristen und - seitdem er 1975 den irischen Gitarristen Micheal O'Donnell kennengelernt hat - Pionier und Spezialist offener Gitarrenstimmungen (DADGAD etc.). Soïg war in Folge Mitglied von traditionell bretonischen Gruppen wie Kornog und Gwerz und konnte auch eine erfolgreiche Solokarriere aufnehmen. Seine letzten Alben waren sanft und folkig orientiert. Auch auf "Lammat" spielt er traditionelle und eigene bretonische Kompositionen als auch irische Jigs, adaptiert vom bretonischen Dudelsack- und vom irischen Fiddle-Repertoire für die Gitarre. Soïg war noch nie einem modernen Ansatz abgeneigt, diesmal wird er nicht nur von Gitarrist Patrice Marzin, Sängerin Nolwenn Korbell und dem Jazztrompeter Eric Le Lann begleitet, sondern setzt zudem Programming, Synthesizerklänge und elektronische Perkussion ein. Die Stücke rutschen zwar niemals in krachenden Folkrock ab und das Tempo bleibt in der Mitte, die elektronische Spielereien kommen seinem soliden, wenn nicht überragenden Gitarrenspiel aber mehr als einmal in die Wege. Ich fürchte, "Lammat" wird nicht die Lieblingsplatte der Folkgemeinde werden.
Coop Breizh
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2007

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