FolkWorld #61 11/2016
© Ralf Gehler/PROFOLK e.V.

Auf's Maul geschaut

Der neue Profolk-Sampler "Auf's Maul geschaut – Dialekte und Regionalsprachen im deutschen Folk" stellt das Lied in den Mittelpunkt des Hörbaren. Mit dem Lied kann man Geschichten erzählen, politische Meinungen ausdrücken, zum Handeln aufrufen, Gemeinschaft zelebrieren. Genau das will Folkmusik.

Herzgespann

Artist Video Herzgespann @ FolkWorld:
FW#60

www.herzgespann-musik.de

Der heutige Folkmusiker kann auf eine Unmenge Material zurückblicken, das in Volksliedsammlungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurde. Das Volkslied ging Hand in Hand mit der bürgerlichen Emanzipation und nationalen Selbstfindung der Deutschen. Die Romantik führte das einfache Lied in die Salons und Autoren schrieben neue Lieder im "alten" Stil. Volkslieder dienten der Gesangsbildung in Schulklassen und wurden Bestandteil deutscher Lehrbücher. Sie wurden vereinheitlicht – sowohl in Sprache als auch in der Musik.

PROFOLK e.V.
Auf's Maul geschaut
Der PROFOLK e.V., die bundesdeutsche Interes- senvertretung für Lied, Folk und Weltmusik, präsentiert einen Sampler mit traditionellen und neuen Folksongs, der speziell den Dialekten bzw. den Regionalsprachen gewidmet ist. Ralf Gehler, studierter Ethnologe und Historiker, Lehrer für Sackpfeifen, Mitglied der Gruppen Kwart und Mal- brook [36] und u.a. für das Zentrum für Tradi- tionelle Musik am Mecklenburgischen Freilichtmuseum für Volkskunde Schwerin-Mueß, hat ausgewählten Gruppen und Solointerpreten Auf's Maul geschaut. Diese artikulieren sich auf Friesisch, Plattdütsch, Thüringisch, Moselfränkisch, Alemannisch und Bairisch, aber auch auf Jiddisch und Pennsylvania Dutch. So unterschiedlich und vielfältig die Sprachen und Künstler im einzelnen sind, so eint alle ein zeitloser und unbeschwerter Folkmusik-Stil, wie er seit dem Folk-Revival der siebziger Jahre in allen Teilen Deutschlands gepflegt wird.
01) Früh bann dr Morche grauit (Hüsch)
02) Hirsch (SpuimaNovas)
03) Man tufaalsflenerk (Kalüün)
04) Der Guckguu(Saarmann/Zeller)
05) Dat du min Leevsten büst (Herzgespann)
06) Bimbel, Bimbel, Bähnele (Martin Schütt)
07) Shpilshe mir a Lidele in jiddish (Ziganimo)
08) Daaling, maat, do drank ik een (Kalüün)
09) Geschder waar der Michel do (Saarmann/Zeller)
10) Koom ik weerum (Em Huisken)
11) Över de stillen Straaten (Herzgespann)
12) Ënn ëmm klænen Dòrf (Why Didn't They ...)
13) Waard Ruuch (Kay Kankowski)
14) Es war zur Frühjarschzeit (Hüsch)
15) Hans bleib da (Stefan Straubinger)
16) Endlik Weer (Spillwark)
Various Artists "Auf's Maul geschaut - Dialekte und Regionalsprachen im deutschen Folk", Bluebird Café Berlin, 2016

Volkslieder wurden dann auch Bestandteile des kulturellen Ausdrucks des deutschen Kaiserreichs und der Nazidiktatur. So verbindet man mit ihnen heute häufig das abgelegte Übel der Vergangenheit und das Biedere schlechthin. Dabei existierten unabhängig von Schulbüchern, nationalen Ideen und Fantasien bürgerlicher Sehnsüchte andere Lieder – die es nie zum Schulstoff gebracht haben und die nur selten zum "Volkslied" geadelt wurden. Diese aufsässigen, "schmutzigen", einfachen, naiven, schmucklosen Lieder erneuern sich im Alltag des Singens immer wieder, haben unterschiedlichste Versionen und Begleitformen. Viele dieser Lieder wurden und werden in den Mundarten und Sprachen gesungen, die man in der Gesangsrunde oder auf dem Markt sprach und spricht. Sie sind Ausdruck regionaler Traditionen.

Als sich Folkmusik in den 1970er Jahren als Genre formierte, fanden Mundarten und Regionalsprachen recht schnell Einzug in das Repertoire der Gruppen und Solisten. Liederjan, Moin oder Hannes Wader sangen Plattdeutsch und vermittelten damit, dass diese Regionalsprache dazu geeignet war, das Lebensgefühl der "Folkies" zu transportieren. Seitdem bilden Mundarten und Regionalsprachen feste Bestandteile des Folks – man singt Bayerisch, Thüringisch, Schwäbisch oder Kölsch. Auch historische Sprachen finden ihren Niederschlag – Hölzerlips veröffentlicht 1978 die Platte "Jenischer Schall", Ougenweide entdeckt mittelalterliches Deutsch und Zupfgeigenhansel singt Jiddisch.

Auch in der Gegenwart sind Mundarten und Regionalsprachen fester Bestandteil des Repertoires von Künstlern im Bereich der Folkmusik in der ganzen Republik. Der Profolk-Sampler bietet die Gelegenheit einer Reise durch das Land und durch die Zeiten. Die Künstler singen in "ihrer" Sprache, mit der Mentalität "ihrer" Region zu Dingen "ihres" Lebens". Die Auseinandersetzungen der Künstler mit historischem Repertoire und die Schaffung neuer Lieder reflektiert die sprachliche Vielfalt der Folkmusik unserer Tage in unserem Lande.

Herzgespann

Die 5 Musiker/innen von Herzgespann haben aus verschiedenen Musikensembles zusammengefunden, um altes Volksliedgut neu zu beleben. Auf dieser Suche stießen sie auf musikalische Schätze, die auch inhaltlich überraschend aktuell sind: Lieder von Liebe und Schmerz, Sehnsucht und Heimweh, Abschied und Tod, Träumen und Freiheit. Spannend arrangiert und ungewöhnlich instrumentiert werden diese musikalischen Perlen behutsam zum Leuchten gebracht.

Em Huisken

Artist Video Em Huisken @ FolkWorld:
FW#49, #57

www.emhuisken.de

Em Huisken

Mit der CD "Güntsied - Jenseits" geht Em Huisken eine Frage an, die in seiner Generation virulent geworden ist: die Frage der Erweiterung des Bewusstseins hinein in eine Welt, die wir zwar nicht sehen und äußerlich erfahren können, die aber dennoch unser Leben prägt in Schicksal, Traum, Sehnsucht, Leidenschaft und Spiritualität. Friesische Sagenwelt, bretonische Volkskultur und der magisch wirkende Groove bretonischer Tanzrhythmen klingen zusammen mit den Gestalten dieser "anderen Welt": Wassermännern, Elfen, Naturwesen, aber auch Wünschen und Traumbildern.

Das ostfriesische Niederdeutsch bringt in den Lauten und Strukturen Ausdrucksmöglichkeiten mit, die auch das Englische und keltische Sprachen auszeichnen, ist zugleich aber klarer und direkter - ein sprachliches "Zwischenreich".

Hüsch!

Wenn etwas von besonderer Güte ist, wird es im Thüringer Rau, mit dem Wort "Hüsch" belegt. Sinnfällige Namenswahl also für eine Band, die sich der eigenen Tradition verschrieben hat und diese mit hoher Musikalität ins Jetzt und Hier weitertragen will. So werden Volkslieder ... in atemberaubender Intensität und Frische ... fernab vom Heimatklischee ... in zupackender Weise mit großem Ausdruck gesungen (Frankenpost 2013) und durch ausgefeilte Instrumentalmusik gewürzt.

Erstaunlicherweise war die gemeinsame Schnittstelle von Hüsch die Thüringer Waldzither, einem lautenartigen Instrument, das eine lange wechselhafte Geschichte in der Region Mitteldeutschland hat. Als Katalysator gilt das Thüringer Waldzither-Symposium in Suhl, in dessen Rahmen die Mitglieder als Dozenten engagiert waren. Im Ergebnis ist eine erstaunlich frische Mischung aus groovenden Songs (teilweise in verschiedenen Mundarten), zarten Balladen in beeindruckendem vierstimmigen Satzgesang und wild-beschwingten Tanzmelodien aus der Region entstanden. Durch den unkoventionellen, aber immer respektvollen Umgang mit den traditionellen Quellen und Instrumenten entsteht eine neue Form deutscher Folkmusik, die zu einem Stück echter Volksmusik wird und hoffentlich oft das Prädikat "Hüsch" bekommt.


HüSCH!

Artist Video Hüsch! @ FolkWorld:
FW#60

www.songs-of-heimat.de

Kalüün

Artist Video Kalüün @ FolkWorld:
FW#55, #59

www.kaluun.de

Kalüün

Damit hatten die Musiker der friesischen Band Kalüün wohl kaum gerechnet: Ihr im März 2014 auf Föhr veröffentlichtes Debüt-Album Spöören (deutsch: 'Spuren') wird im August mit dem begehrtesten Preis der deutschen Folkszene ausgezeichnet, dem Preis der deutschen Schallplattenkritik. Kalüün setzt damit eine ganz eigentümliche Musiktradition der nordfriesischen Inseln fort, die einst neben regionalen Besonderheiten der schleswigschen und jütischen Spillemandsmusik deutliche Einflüsse internationaler Seemannslieder, Shanties und Tanzmelodien zeigte, wie sie mit den friesischen Seefahrern aus den europäischen Hafenkneipen auf die Inseln und Halligen gelangt waren.

Kay Kankowski

Artist Video www.kan
kowski.de

Holger Saarmann & Vivien Zeller
Artist Video
www.holger-saarmann.de

Seine Musik lässt sich nicht in eine bestimmte Schublade einordnen. Das ist ihm auch nicht so wichtig. Er schreibt Musik zum Zuhören. Dabei sind die deutschen Texte und die Musik miteinander verwoben und stützen sich gegenseitig. Mit seiner leicht rauhen und verwandlungsfähigen Stimme verbindet Kay Kankowski dabei die verschiedensten Stilrichtungen zu einem Gesamtkunstwerk. Zuhören und mitdenken. Das wünscht sich Kay Kankowski von seinem Publikum. Deshalb sieht er sich auch nicht als Unterhaltungsmusiker. Seine Musik soll nicht unbedingt leicht sein. Seine Musik soll zum Nachdenken anregen. Er möchte gern etwas schaffen, was sich nicht sofort verbraucht. Etwas, was zwar für den Moment geschrieben, aber auch in 30 Jahren noch aktuell ist. Natürlich können Hörer seine Musik nebenbei genießen und entspannen. In der Musik von Kay Kankowski gibt es aber auch ganz viel Verstecktes zu entdecken. So kann man sie immer wieder neu hören.

Holger Saarmann & Vivien Zeller

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts siedeln auch Deutsche in Nordamerika: Geflohen vor wirtschaftlicher Not, sowie vor religiöser und politischer Verfolgung engagierten sie sich hier früh gegen Sklaverei und pflegten ein friedlich-respektvolles Verhältnis mit den benachbarten Indianerstämmen. Von Pennsylvania bis in den mittleren Westen sprachen sie untereinander generationenlang die Sprache ihrer Vorfahren - und so sangen sie auch: Country, Folk und Gospel auf Deutsch! Der vom Pfälzischen dominierte Mischdialekt erhielt die volkstümliche Bezeichnung Pennsylvania Dutch – in einer Sprachepoche, als "dutch" noch "deutsch" bedeutete.

Zwei Weltkriege ruinierten vorübergehend das Ansehen der deutschen Kultur – auch in Amerika. Doch in den letzten Jahrzehnten wurden Sprache und Folklore von immer mehr deutschen Abkömmlingen wiederentdeckt, zu denen heute jeder fünfte US-Amerikaner zählt. Im Duo spüren Holger Saarmann (Gesang, Gitarre) und Vivien Zeller (Geige, Gesang) seit 2005 der halbvergessenen Folk- und Countrymusik der Pennsylvaniendeutschen nach. Literarische und filmgeschichtliche Elemente (z.B. Karl May oder Jürnjakob Swehn) bereichern ihre Bühnencollage "Lieder, so deutsch wie der Wilde Westen" mit zusätzlichen Farben und Facetten. Dies dokumentiert auch die gleichnamige CD.

Spillwark

Artist Video Spillwark @ FW:
FW#4, #7

Martin Schütt

www.kultur-
im-stall.de

In niederalemannischer Mundart erlebt der Freistetter Liedermacher nochmals die "Bahnreise" seiner Kindheit! Der "Enteköpfer", so genannt, weil zahlreiches Federvieh auf den schmalen Schienen sein Leben lassen musste, war in den frühen Jahren die einzige Verbindung in Rheinnähe von Rastatt bis Kehl. Für ganze Schülergenerationen war die kleine Eisenbahn mit ihren engen Abteilen Treffpunkt, Vergnügungsort und Austausch von Freud und Seelenschmerz, lauschiges Versteck für erste Liebeleien. Ein Heidenspass, aber auch Respekt einflößend war der alltägliche Kontrollgang des Schaffners zur Fahrkartenkontrolle. Manch einer der aufmüpfigen Schüler musste kurzerhandkurz vor seinem Zielort mit einem Schubser und einem "Heiland-Sakrament-noch-ämol!" das Abteil verlassen und zu Fuß weitergehen. Die einzelnen Stationen und Haltestellen von Lichtenau bis Kehl werden im Lied des Barden kurz beleuchtet und schließlich kurz vor "de Wagges", den Franzosen auf der anderen Rheinseite, stieg man dann erleichtert aus den wacklig-holprigen grünen Wägelchen aus.

Spillwark

Stefan Straubinger

Artist Video Stefan Straubinger @ FW:
FW#51, #52, #61

www.straubinger.cc

Spillwark ist wohl mit das Beste, was die norddeutsche Folkszene zu bieten hat. Angefangen 1982 als "klassische" plattdeutsche Formation, entwickelte die Band im Laufe der Jahre ihren eigenen unverwechselbaren Stil. Eigenvertonungen zeitgenössischer plattdeutscher Lyrik sowie virtuos-mitreißende Instrumentaltitel verbindet die Gruppe zu einer "Weltmusik aus Ostfriesland", die auf mehreren CD-Produktionen, diversen Rundfunk- und Fernsehproduktionen sowie wie bei zahllosen Auftritten in Deutschland und dem europäischen Ausland Furore machte.

Stefan Straubinger & SpuimaNovas

Traditionelle, experimentelle sowie stimmungsvolle und groovige Sounds verarbeitet Stefan Straubinger mit G'schichtln und Wortwitz zu einer eigenwilligen, teils exzessiven Musikperformance. Da drohen der Musikant und seine Instrumente schon mal heißzulaufen! Inspiriert ist Straubinger von traditioneller bayrischer Musik, Funk, Jazz, Rock, Pop und Tango. Er spielt seine avantgardistische Volks-Musik auf urbayrischen Instrumenten. Der gebürtige Oberbayer reizt dabei diverse Möglichkeiten von Bandoneon, Drehleier und der eigenen Stimme aus. Unverblümt und leidenschaftlich spielt er dem Publikum aber auch Landler und längst vergessene Tänze aus alten Handschriften auf.

Why didn't they ask Evans?

Why didn't they ask Evans?
@ FolkWorld:
FW#58

www.whydidnttheyaskevans.de

Why didn't they ask Evans? kommen aus dem westlichen Hunsrück und machen seit der Jahrtausendwende an Folk und Folkrock vornehmlich keltischer Prägung ausgerichtete Musik. Der Bandname geht auf einen gleichlautenden Buchtitel Agatha Christies zurück. Anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung der Dorfchronik ihres Gründungsortes Hinzert (nahe Trier) beschloss die Band, ein Minialbum mit fünf Liedern im moselfränkischen Idiom der Region einzuspielen. Dessen Titel Ënn ëmm klænen Dòrf ("In einem kleinen Dorf") ist dabei kein Zufall, vier der Stücke behandeln direkt oder indirekt Gegenwart, Geschichte und Überlieferung von Hinzert, woher mit dem Brüderpaar Stefan und Ralph Backes zwei Gründungsmitglieder der Band stammen.

Ziganimo

Artist Video Ziganimo @ FolkWorld:
FW#50

www.ziganimo.de

Mit Stimmen, Geige, Gitarre, Mandoline, Klarinette, Akkordeon und Kontrabass, vor allem aber mit Spielfreude und ungezügeltem Appetit machen sich Ekkehard Floß, Gudio Richarts, Robert Hennig und Daniel Nikolas Wirtz von Dresden aus über verschiedene europäische Musiktraditionen her, um sie im Spiegel der eigenen Sehnsucht neu zu Gehör zu bringen – ganz im Sinne der Musizierauffassung der fahrenden Völker. Aber auch heimatliche Klänge kommen nicht zu kurz: Wie auf dem aktuellen Album Ominagiz zu hören, findet auch unsere Muttersprache reichlich Platz.


Noch mehr Folk Made in Germany :-)

Erledanz

Erledanz @ FW:
FW#37, #56, #61

www.deutschfolk.de

Bube Dame König

Artist Video BubeDameKönig@FW:
FW#56, #56, #61

www.neue-volkslieder.de

Sammant

Artist Video Sammant @ FW:
FW#60

www.sammant.de

Deitsch

Artist Video Deitsch @ FW:
FW#31, #32 #39, #41

www.deitsch.de


Photo Credits: (1) Herzgespann, (2) PROFOLK e.V., (3) 'Auf's Maul geschaut - Dialekte und Regionalsprachen im deutschen Folk', (4) Em Huisken, (7) Holger Saarmann & Vivien Zeller, (10) Erledanz, (11) Bube Dame König, (12) Sammant (unknown/website); (5) Hüsch!, (by Venner Folkfrühling); (6) Kalüün (by folkBALTICA); (8) Spillwark (by The Mollis); (9) Stefan Straubinger, (13) Deitsch (by Walkin' Tom).


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