Ausgabe 7 12/98

FolkWorld Szene von Innen

Mit einer ostfriesischen "Boygroup" unterwegs

Die ostfriesische Band "Spillwark" auf Tour

Ein kurzes Tourtagebuch von Wolfgang Meyering

Samstag,12.15 Uhr. Ich sitze im ICE 848 auf dem Weg von Berlin Ostbahnhof nach Wuppertal Hbf. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren gehe ich mit meinen "alten” Kollegen von "Spillwark” für neun Tage auf Tournee. Wir freuen uns alle sehr darauf. In den letzten Jahren hatten wir uns mit unseren Konzerten auf unsere Heimat Ostfriesland beschränkt, mit wenigen Ausnahmen. Wir nennen uns auch gerne selbst eine der ältesten "Boygroups" Ostfrieslands. Spillwarks Weihnachtskonzerte in unserer Heimatstadt Emden brachten im letzten Jahr immerhin mehr als 2000 Besucher auf die Beine. Das ist auch der Grund, daß ich auf dem Weg nach Wuppertal bin, denn der Spaß an der gemeinsamen Arbeit brachte die Idee hervor, nach so langer Zeit wieder auf Tournee zu gehen.

Wolfgang Meyering mit Spillwark; photo by The Mollis Heute Abend soll es also die "Färberei” sein. Ich habe gemischte Erinnerungen an diesen Spielort. Ein toller Veranstalter, schöne, aber auch schlecht besuchte Konzerte. Doch der Abend ist schön. Der Raum ist mit ca. 60 Zuschauern gut gefüllt und es kommt schnell Stimmung auf. Normalerweise ist der erste Tourabend immer etwas heikel, man ist noch nicht so gut eingespielt. Aber alles läuft erstaunlich problemlos. Wir spielen zwei Zugaben und alle sind mit dem Abend zufrieden, von der Band über den Veranstalter bis zum Publikum. Ein guter Tourstart.

Sonntag. Das Wetter am Morgen ist lausig. Es gießt wie aus Kübeln. Nach dem Einladen machen wir uns auf den Weg in die Bischofsstadt Münster in Westfalen. Wir hatten vor ein paar Jahren im niederländischen Groningen schon mal über einem Pornokino gespielt, damals bat der Veranstalter uns, doch bitte nicht zu laut zu sein, aber in einem, wenn auch ehemaligen Pornokino hatten wir noch nie gespielt. Aber es gibt ja immer ein erstes Mal. Trotz des wirklich furchtbaren Wetters haben sich ein paar Unermüdliche zur "Kulturschiene" in den Münsteraner Hauptbahnhof aufgemacht. Mit so wenig Zuschauern wird es ein harter Abend werden, denke ich. Aber die "sturen Westfalen" machen es uns dann doch nicht so schwer wie erwartet. Man sollte in allem immer etwas positives sehen.

Montag, wir ziehen morgens noch ein wenig durch die "Perle" des Münsterlandes, bevor wir uns auf den Weg nach Unna machen. Auf dem Weg dahin wird unser Tontechniker Dieter Schur mit seinem alten Mercedes und dem Anhänger auf der Autobahn von der Polizei herausgewunken. "Ist ja fast wie in den alten Zeiten" denke ich. Damals auf unserer ersten größeren Tour Anfang der 80er, während der großen "Terroristenhatz" haben sie uns 3 Mal in einer Woche "hochgenommen", inklusive kleiner Verfolgungsjagd und dem Versuch unser Auto stillzulegen. Hat damals nicht geklappt, passiert diesmal auch nicht. Der Beamte ist eigentlich ganz nett, anders als damals, und bemängelt nur, daß der TÜV des Anhängers langsam mal fällig wäre. Aber wir dürfen weiterfahren.

Drawing by Annegret Haensel Auf zur "Landesstelle Unna Massen", da soll das Konzert stattfinden. Der Veranstalter hatte uns im WDR gehört und uns gleich vom Fleck weg engagiert. Über den Veranstaltungsort haben wir schon wilde Geschichten gehört.
Die Landesstelle ist ein Durchgangslager für Aus- und Übersiedler, hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion, und die bilden auch das Publikum. Der Eintritt ist frei für alle und man weiß nie wieviele kommen. In den Saal passen ca. 300 Zuschauer, und ausgerechnet heute ist das Wetter gut. Wir ärgern uns schon, daß wir nicht draußen spielen können. Beim Soundcheck sitzen vor der offenen Seitentür zwei deutschrussische Mädchen und hören uns zu. Als wir ein osteuropäisch beeinflu&p;szlig;tes Stück aus dem Programm anspielen grinsen sie und fangen an mit den Füßen zu wippen. Wir fragen sie, ob sie heute Abend zum Konzert kommen, sie verneinen, meinen aber ihre Eltern würden vielleicht kommen. Das hört sich ja sehr "hoffnungsvoll" an.

Um 19.00 Uhr soll es losgehen um 18.45 Uhr sind etwa 10 Zuschauer da. Wir haben ein Problem, nicht wegen der Menge des Publikums sondern wegen unserer Zwischenmoderationen. Die bilden normalerweise eine Einheit mit der Musik und sind sehr unterhaltsam. Nur hier versteht sie kaum jemand. Wir entschließen uns, nicht so viel zu quatschen und dafür mehr zu spielen. Punkt 19.00 Uhr ist der Saal gerammelt voll. Scheinbar ist der Grillabend auf die Zeit nach dem Konzert verschoben. Wir legen los und merken gleich, das Publikum ist sehr, sehr diszipliniert. Man hatte uns schon gewarnt, nicht auf eine Zugabe zu hoffen, denn sobald man das letzte Stück angekündigt und gespielt hat, verlassen alle brav den Saal. Beim letzten Stück ist richtig Stimmung in der Bude. Wir denken schon: "Das gibt bestimmt ´ne Zugabe." Aber weit gefehlt. Wir verbeugen uns und verlassen die Bühne; und das Publikum verläßt den Saal. Nur einige Unermüdliche klatschen um Zugabe. Wir nutzen die Chance und stürmen wieder auf die Bühne. Schlagartig macht das Publikum kehrt und strömt wieder in den Saal. Nach der Zugabe ist der Saal innerhalb von 3 Minuten leergefegt. Wir können nur noch abbauen und ein paar junge Zuschauer mit unseren Plakaten und Autogrammen beglücken. Ein bißchen sonderbar war das Ganze schon. Aber nett.

Spillwark; photo by The Mollis Dienstag. Nach einem üppigen Frühstück in unserem erstklassigen Hotel machen wir uns auf nach Burgsteinfurt, in die Heimat unseres Flötisten Volker Leiss. Er hat hier Heimrecht und die Veranstaltung war schon eine Woche vorher ausverkauft. Der Konzertbeginn wird verzögert weil Familie "Schulze-Brohmüller" ihre Karten zurückgegeben hat und ersatzweise jetzt Familie "Meyer-Hagenscheid" einspringt. Man muß sich aber noch stadtfein machen. So ist das eben in der Kleinstadt. Der Abend wird grandios, und wir laufen zur Bestform auf. Der einzige Wermutstropfen, eine nervende Veranstalterin.

Mittwoch. Bremen, Weserterassen. Ein gutes Konzert, aber nach dem gestrigen Abend eben nur ein gutes und kein überragendes. Am nächsten Morgen Frühstücken wir lange und ausgiebig mit guten Freunden, bevor wir uns auf den Weg nach Hamburg machen.

Donnerstag. Eigentlich wollten wir den Tag ausspannen, aber dann kam uns die Idee vielleicht ein öffentliches Privatkonzert zu geben. Und so ist es dann auch gekommen. In der "Neuen Welt" einem kleinen Café am Altonaer Balkon, mit Blick auf den Hafen, singen wir Lieder über Ostfriesland und das Meer. Wolfgang "Hein" Rieck und Anselm Noffke, Edzards (Wagenaar) alte "Liederjan-Kollegen" sind gekommen und wir feiern im vollen Café einen netten Familienabend. Auf dem Parkplatz wird derweil Urmels (Meyering) Tasche geklaut. Irgendwas geht immer schief.

Drawings by Annegret Haensel, more infos in the editorial Freitag. Auf in den Wilden Osten. Das Perleberg-Festival ist der heutige Austragungsort. Perleberg, ein idyllisches Örtchen auf halbem Weg zwischen Hamburg und Berlin. Organisiert wird das Festival von einem alten Bekannten, Bernhard Hanneken, Programdirektor des Rudolstadt Tanz&Folkfestes. Veranstalter ist das Land Brandenburg und Profolk. Das verspricht eine gute Organisation. Das trifft auch im großen und ganzen zu, nur darf man nicht vergessen, daß es das erste Perleberg-Festival ist. Also treten die üblichen "Kinderkrankheiten" auf, die jedes Festival hat.
Das erleben wir am eigenen Leib. Wir sollen heute als erste Band auf dem Marktplatz auf der großen Bühne spielen, machen also als letzte Soundcheck. Wie üblich fängt der mit Verspätung, an weil die Technikcrew essen gegangen ist. Na ja, denke ich, wenn sie fit sind kein Problem. Sind sie nur nicht. Der Tonmann draußen am Pult ist O.K. aber die beiden Jungs auf der Bühne haben überhaupt keinen Plan. Man muß ihnen alles dreimal sagen und sie blicken überhaupt nicht durch. Zum guten Schluß geraten sie auch noch in Panik. Als dann der Veranstalter des Festivals auch noch uns für die Verzögerung verantwortlich machen will ist unser Feeling auf dem 0-Punkt angelangt. Wir spielen gut, aber bei der Stimmung wird es trotzdem kein Konzert an das man sich gerne erinnert.

Wir kompensierten das Konzert am Abend mit einem ausgedehnten Umtrunk im Hotel zusammen mit meinen Kollegen von JAMS mit denen ich später auf der gleichen Bühne gespielt hatte. Dort klappte alles besser, nachdem der JAMS-Techniker Andreas Görig auf der Bühne das Heft in die Hand genommen hatte. An der Theke stehen Edzard und Andy Wieczorek. Sie fachsimpeln und schwelgen über den Kollegen "Gundi Gundermann", der viel zu früh von uns ging. Wir anderen stehen an der Theke und versuchen ständig dem Wirt erneut den letzten Drink aus dem Kreuz zu leiern.

Wolfgang Meyering mit Spillwark; photo by The Mollis Samstag. Wir begeben uns auf den Weg zurück in den Nordwesten. Zurück an die Holländische Grenze, nach Meppen. Der Kossehof ist ein restaurierter Gulfhof in dem eine Kulturinitiative Konzerte veranstaltet. Man begrüßt uns erst einmal mit Kaffee und Kuchen und hilft uns wo man kann. Ja ja, die Kulturinitiativen auf dem Land sind das was sich der Musiker als Veranstalter wünscht: freundlich, hilfsbereit und engagiert. Immerhin haben sie fast 200 Plakate geklebt und auch ansonsten jede Menge Werbung gemacht. Das Ergebnis zeigt sich dann auch am Abend. Über 200 Zuschauer füllen die Gulfscheune. Es wird ein fulminanter Abend und alle fahren glücklich nach Hause.

Sonntag. Die Band begibt sich wieder in heimatliche Gefilde. Nicht ganz nach Emden, aber zur Folkinitiative in Strackholt, die so etwas wie ein zweites Zuhause für die Band ist. Hier haben wir seit unserer Gründung Anfang der 80er so manches Konzert gegeben und haben viele schöne Erinnerungen an diesen Spielort. Es kommt wie wir gehofft hatten, es wird rappeldickevoll. Piet (Meyer) unser Organisationstalent in der Band ist zufrieden. Das Konzert ist erste Sahne und das Strackholter Publikum ist gar nicht so langsam im "Warmwerden" wie ich sie sonst kenne. Ein perfekter Abschluß für eine durch und durch schöne Tour.

Am nächsten Tag verstreut sich die Band wieder in alle Winde. Ernst Poets nach Hamburg, Volker Leiß nach Borghorst, Urmel, Piet, Edzard und Dieter nach Emden bzw. in die Krummhörn und ich sitze wieder im Zug nach Berlin. Aber es kann nicht lange dauern, daß es uns wieder zusammentreibt. Spätestens zu den Weihnachtskonzerten 1999 in Emden. Und wer weiß, ob wir im Jahr 2000 nicht noch mal ...............vielleicht auch in eurer Nähe!!!!

Photo credit: Alle Spillwark Photos by The Mollis; Zeichnungen von Annegret Haensel; mehr Infos zur Künstlerin im Impressum.


Zum Inhalt der FolkWorld Kolumnen
Zum Inhalt des FolkWorld online musik magazins Nr. 7

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/98

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld