FolkWorld Live Review Mai 2004 von Walkin' T:-)M:

Nordisches Frühlingserwachen
6. Venner Folkfrühling 7.-9. Mai 2004

Venner Folkfrühling Nach den ersten paar schönen Tagen treibt ein Tief wieder Regen über das Land. Manch einem mag das ja gefallen und den Winter loben: Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage, ihr seid zwar schön, doch nicht für mich. Der Winter soll mein Frühling sein (Horch). Ich persönlich ziehe es jedoch vor, mit Colum Sands (-> FW#27) die trüben Sinne zu vertreiben: My love she took the winter time and turned it into spring time. Wovon die Rede ist? Vom Folkfrühling in Venne!

Und in der Tat. Die Sonne macht sich zwar rar, aber es bleibt wenigstens weitgehend trocken. Seit 1990 organisieren Dieter Wasilke und sein Team am Muttertagswochenende in Venne bei Osnabrück ein humorvolles und beschauliches Liederfest wie in der 1970er-Jahren, ohne Kommerzliedgut und Bierzeltstimmung. Drei fabelhaft Tage mit Liedermachern und Folkmusik, mittlerweile zwar nicht mehr umsonst und draußen, aber mit moderaten, dem Preis-Leistungs-Verhältnis mehr als angemessenen Eintrittspreisen.

Auch in diesem Jahr gibt es an den drei Spielorten Gaststätte Linnenschmidt, HeMalt Walburgis-Kirche und Mühleninsel ein volles Programm: von den Lokalmatadoren An Rinn (-> FW#19, FW#27, FW#27) über Ex-Zupfgeigenhansel Erich Schmeckenbecher (-> FW#21, FW#24) bis zum Folk-Urgestein Liederjan (-> FW#17), die nach dem Ableben Anselm Noffkes (-> FW#27) mit Hanne Balzer als dienstälteste deutsche Boygroup mit Dame weitermachen.

Helmut Debus (-> FW#2, FW#10, FW#17) gibt seine plattdeutsche Poesie zum besten. Auch die Beiträge der Liedermacher Wolfgang Rieck (Ex-Liederjan) und Jan Cornelius sind nicht von schlechten Eltern. Die McCalmans (-> FW#3, FW#10, FW#23) vertreten die alte Garde keltischer Musik, bei Cara (-> FW#22, CD-Rezension in dieser FW-Ausgabe) begegnen wir alten Bekannten aus der deutsch-irischen Szene in neuer, spannender Zusammensetzung.

Eher enttäuschend fällt der Auftritt der ostdeutschen Folkrocker Horch aus. Da kann man noch so originelle Alben machen; insbesondere mit ihrem 1998er-Werk "Schockschwerenot" haben die Jungs für den Deutsch-Folk vollbracht, was die Pogues (-> FW#22) für traditionelle irische Musik geleistet haben. Live und in Farbe haben Horch aber - wie es im FolkWorld-Jargon heisst - ein Bühnenproblem, definiert als: (1) eintönige und unlustige Bühnenpräsenz, (2) optische Darstellung im Gegensatz zum akustischen Eindruck.

Am Samstagabend drängelt sich auf der eher kleinen Bühne in der Gaststätte Linnenschmidt der Spielkreis für die Nordische Nacht. Aus Bohuslän an der schwedisch-norwegischen Grenze kommt die Gruppe Hemållt, die drei Geschwister Ådin mit Geige, Drehleier, Mandola und Gitarre. Malbrook Der Bandname steht für Wohlbefinden und Gemütlichkeit, die traditionellen Polskas, Rheinländer und Walzer sind aber eher frisch und rüstig als lieblich und gefällig. Verstärkt wird das Familientrio von Wolfgang Meyering an der Mandoline, seines Zeichens Musiker bei Jams (-> FW#2, FW#3, FW#4) und Spillwark (-> FW#7) sowie Mitglied im Programmbeirat des Folkfests Rudolstadt (-> FW#26).

Anschließend trägt Kerstin Blodig (Gitarre, Bodhran -> FW#21, FW#24) entspannt und mit betörendem Lächeln, getreu dem Namen ihrer norwegischen Ahnen, blut(rünst)ige Mörderballaden und Trollgeschichten vor. Zu all den vorgenannten Musikanten füge man noch Ralf Gehler (Dudelsack, Schlüsselfiedel) und Merit Zloch (Böhmische Hakenharfe) hinzu und wir erhalten Malbrook, die große Überraschung des vergangenen Jahres. Wolfgang Meyering hat mit diesem Projekt ganz unterschiedliche Geschmäcker begeistert und durch die Bank positive Kritiken geerntet (-> FW#26, FW#28).

Die mittelalterlichen Balladen aus Ostfriesland und die hypnotischen Veitstänze aus nordischer Tradition zeugen von den Gemeinsamkeiten zwischen Norddeutschland und Südskandinavien; einen regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch hat es ja nicht nur zur Hansezeit gegeben. Wolfgang Meyering und Malbrook experimentieren aber mit allen möglichen Genres und schwingen so zwischen skandinavischer Strenge und mediterraner Leichtigkeit. Wem noch der Beweis gefehlt haben mag, dass auch in Deutschland exzellente und innovative Folk- und Weltmusik gemacht wird, hier wird er endlich geliefert.

Venner Folkfrühling 2004, www.folkfruehling.de, www.venne.deVenner Folkfrühling 2004, www.folkfruehling.de, www.venne.deVenner Folkfrühling 2004, www.folkfruehling.de, www.venne.de
Venner Folkfrühling 2004, v.l.n.r.: Colum Sands, Dieter Wasilke, Allan Taylor, Cara, Dancing Maids.

Das Publikum ist aufmerksam und begeisterungsfähig. Zumindest stimmt das für die vordere Hälfte, die hintere ist eher an Tratsch und Bier interessiert. Aber für die Nordische Nacht im besonderen wie für den Venner Folkfrühling im allgemeinen gilt ja übertragen der Werbespruch der lokalen Biermarke: Barre Bräu - Das Herz erfreu!


Festival-Homepage: www.folkfruehling.de

CD-Rezension Venne 2002 (-> FW#26)

Malbrook auf den Seiten von Westpark Music und Ralf Gehler.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 09/2004

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