FolkWorld #70 11/2019
© Walkin' T:-)M

Gruselige und ungewöhnliche Geschichten

Mit seiner neuen CD Alles tot im Bauernhimmel wendet sich der Dorstener Akkordeonist Ralf Weihrauch von der keltischen Musik ab und dem deutschen Volksliedgut hin - aber mit Synthis und Samples zwischen Reggae und Dancefloor verortbar. Für FolkWorld war dies Anlass genug, Ralfs langen Weg ins musikalische Elysion zu folgen.

Ralf Weihrauch: Alles tot im Bauernhimmel

»«So etwas hat es noch nicht gegeben!« Mit alles Alles tot im Bauernhimmel entsteht ein ganz neues Genre:


Sci-Folk!

Das todkranke Schätzchen | Der grimmig Tod | Eitle Dinge | Der Schlemmer (feat. Liederjan) | Die Schlacht bei Leipzig | Der grausame Bruder | Zum Tode betrübt | Die treue Schwester | Es soll sich der Mensch nicht mit der Liebe abgeben | Mein Sohn David | Es war einmal ein Mädchen | Der tote Freier | Tupfpolka

Ralf Weihrauch "Alles tot im Bauernhimmel", Blue Bowl, 2019



Gudrun Walther

»Hallo Bruder im Geiste 😊👍 Wir sind auf derselben Reise. Deutsche Balladen sind genauso episch, gruselig und romantisch wie ihre irischen / schottischen/ englischen Verwandten. Wir machen auch beides „Country UND Western“ um es mit den Blues Brothers zu sagen.«

(Gudrun Walther, Cara / Deitsch)


»Make Volkslied Great Again«
(Der Blog zum neuen Projekt)

Ralf Weihrauch: Musik hat in unserer Familie immer eine große Rolle gespielt. Mein Urgroßvater war Gründungsmitglied des Concertina-Vereins in Dorsten (Nicht die Wheatstone-Concertina, sondern Chemnitzer bzw. gab es da auch viele Bandoneons). Mein Großvater hat Schlagzeug gespielt und mein Vater hat Akkordeon lange Jahre Akkordeon in Tanzkapellen gespielt.

Es gab also immer Musik um mich herum. Im jungen Teenager-Alter bin ich über die Dubliners zum Folk gekommen. Ich begann damals mit dem Schlagzeug, wollte dann aber lieber Bodhran spielen. Also habe ich mir aus einem Stück Holz einen Schläger gefräst, die Floor-Drum unter den Arm geklemmt und dann losgespielt. Gesungen habe ich schon immer, und irgendwann wollte ich mich selber begleiten. Erst habe ich auf dem Klavier geklimpert, doch das Akkordeon meines Vaters bot mehr Möglichkeiten.

Was hat dich dann zum Folk hingezogen?

Ich habe immer die Einfachheit der Folkmusik geliebt. Über den Soldatensender BFBS habe ich die Show Folk-Review von Wally Whyton gehört und alles Sendungen aufgenommen. Ich fand es immer klasse, wenn er alte Fieldrecordings zum Beispiel von der Copper Family gespielt hat. Peter Bellamy fand ich großartig und Martin Carthy auch. Es hat mich meist zu den englischen Bands hingezogen.

Hauptsächlich bist du als Promoter tätig gewesen, der manch namhaften englischen Interpreten nach Deutschland gebracht hat. Was bleibt in der Erinnerung?

Ralf Weihrauch

Artist Audio Ralf Weihrauch
@ FROG


www.ralfweihrauch.de

Das großartige an der Sache war erst einmal, dass ich die Leute kennenlernte, die ich auf meinen Kassetten hatte und von denen ich irgendwie auch schon an LPs gekommen war. Peter Bellamy war der erste, der hat dann Martin Carthy meine Telefon-Nummer gegeben. Plötzlich war ich Agent meiner Vorbilder und Stars. Nur war ich fast der einzige, der wusste, dass das Stars waren. Die Tourneen waren in Ordnung, doch ich konnte es oft nicht fassen, dass ich Leuten, die jahrelang einen Folk-Club organisierten, erklären musste, wer Martin Carthy war.

Ich war immer eine Art Vorreiter, und habe Bands gerade aus England rübergeholt, als sie dort ihre Karriere begannen. Da kamen dann oft nicht so viele Leute, wie ich erhofft hatte. 1986 gab es Oyster Band Konzerte mit zehn Leuten. Als plötzlich Celtic-Rock a la Pogues Mode wurde, kamen die Whisky Priests zu mir. Das war echt ein Klopper, denn plötzlich hatte ich eine Band, die die Hallen füllte. So kamen dann auch Bands aus dem Punk, Rock, Reggae und anderen Bereiche in meine Agentur.

Seit Anfang des Jahrtausends stehst du wieder selbst auf der Bühne. Was hat dich dazu veranlasst?

Da spielte auch der Zufall eine Rolle. Ich habe während der WM 2002 eine Geschichte (ich bin freier Journalist) über den brandneuen Irish Pub in Dorsten geschrieben, als Irland gegen Deutschland spielte. Abends trat eine Band auf und ich erzählte dem Wirt, dass ich Akkordeon spielte. Ich habe dann abends unfallfrei mit der Band gespielt und zwei Wochen später, sollte ich selber einen Abend gestalten. In vielen Irish Pubs habe ich auf dem harten Weg wieder Bühnenerfahrung gesammelt. Ein Jahr später wurde ich Mitglied bei Crashandoh, und spiele seitdem mit diesem Quartett die irischen Hits rauf und runter. Die Musik ist auf irische Stimmung angelegt und wir verzichten bewusst auf allzu komplizierte Arrangements. Es gibt ein relativ großes Publikum dafür und auch die Gagen stimmen.

Das Trio, mit dem ich „Green Break“ aufnahm, war eher schon Kunst. Da spielten wir dann vor 30-40 Leuten und 100 waren schon eine Art Stadion-Auftritt. Das Programm war speziell und lag mir sehr am Herzen, irgendwann, war es dann aber zu frustrierend, nur vor einer Handvoll Leuten zu spielen. Zwischendurch gab es auch eine 2005 CD und eine Tour mit Gary Miller von Whisky Priests. Aufgrund von unseren damaligen persönlichen Lebensumständen stand die Kollaboration aber unter keinem guten Stern.

CRASHandOH

Artist Video
www.twopints.de

Das habe ich mit Interesse vernommen, dass du im vergangenen Jahr auf der großen Reunion-Tour der Folk-Punker dabei gewesen bist. Wie kam das denn zustande?

Auch wenn das Duo mit Gary nicht fortgeführt wurde, sind wir weiter gute Freunde geblieben. Vor der Reunion Tour der Whisky Priests gab es dann bandinterne Probleme mit dem Akkordeonspieler Glen Miller. Eine Tages hatte ich dann eine Mail von Gary, der mich fragte, ob ich nicht Glenns Platz einnehmen wollte. Natürlich wollte ich. Es war eine tolle Tour und 2020 wird es ein Tour zum 35-jährigen Bestehen geben.

Mit dem aktuellen Album "Alles tot im Bauernhimmel" hast du dich aber vom Keltischem ab- und deutschen Volksliedern zugewandt. Was hat dazu den Anstoß gegeben?

Ich habe schon das Teenager ein Programm mit deutschen und plattdeutschen Liedern gehabt. Das wollte aber erst recht keiner hören. Das Interesse an deutsche Liedern habe ich aber nie verloren. Ich habe dann mal mit dem exzellenten englischen Musiker Steve Turner über die britischen Big Ballads gesprochen. Er erzählte mir, dass Francis Child in seinen Büchern oft über deutsche Varianten der britischen Balladen gesprochen hat.

Dank des Internets bin ich da sehr schnell auch fündig gefunden. Zeitglich hatte ich eine Erbschaft gemacht, und konnte meine alte Zuneigung zu elektronischen Instrumenten in die Tat umsetzen. Ich habe mir einen Mac Pro, viel Software und gute Mikros und Boxen gekauft und auch beim Analog-Digital-Wandler nicht gespart. Es hat aber auch seine Zeit gedauert, bis ich wusste, wie alles funktioniert,

Whisky Priests ft. Ralf Weihrauch

Artist Video Whisky Priests @ FROG

www.whiskypriests.com

Kein Folk wie man es früher von Liederjan oder in jüngerer Zeit von Deitsch her kennt, sondern Synthis und Samples ... Wie würdest du deine Arrangements in einfachen Worten erklären?

Die elektronischen Instrumente bieten einem Menge Möglichkeiten. Gute Samples klingen zu 99% wie die Originalinstrumente. Man kann sie aber dann mit den Hüllkurven verändern, wenn man will. Die Gitarren, Mandolinen kommen vom Computer. Auch die Uilleann Pipes sind gesamplet. Man kann bei ihnen alle Spieltechniken (Rolls, Crans etc) anwenden. Wenn man jetzt nicht unbedingt ein Solo einspielen will, dann reicht das auf jeden Fall. Wenn ich für jedes Instrument einen Musiker hätte engagieren müssen, wäre das nicht gegangen, denn ich wäre arm geworden. Die synthetisches Sounds, die aus Wellenformen zusammengesetzt und moduliert sind, sind für alles einsetzbar von der Melodie bis zum Bass und den Layersounds.

Wie muss ich mir die Herangehensweise an ein Stück konkret vorstellen?

Die Vorgehensweise war immer sehr ähnlich. Ich habe ein interessantes Lied gefunden, bei dem mir sowohl der Text auch Melodie gefallen haben. Ich habe diese Melodie in die Studiosoftware eingespielt und sie in Endlosschleife spielen lassen. Nun begann die Suche nach einem Schlagzeugrhythmus und eine Basslinie gesucht, manchmal auch anders herum. Das war bei den allermeisten Stücken so. Oft haben auch alte Reggae-Basslinien super funktioniert, wie der Bam-Bam-Riddim oder der Tempo-Riddim Wenn die Lieder ein komplexere Melodie hatten, habe ich erst die Akkorde gesucht, und daraus den Bass abgeleitet. Wenn das stand, habe ich die Sounds herausgesucht. Wie soll der Bass klingen, wie sollen die Drums klingen, was für Layersounds nehme ich. Darüber können Stunden und Tage vergehen. Bläsersätze und ähnliche Dinge kamen erst ganz zum Schluss.

Gab es denn ein konkretes Vorbild dafür?

Sam Lee

Artist Video Sam Lee @ FROG

www.samleesong.co.uk

Da muss ich auf jeden Fall Sam Lee nennen, der britische Folksongs rhythmisch und klanglich komplett neu aufgearbeitet hat. Meine erste Idee war, ich mache jetzt eine CD mit deutschen Liedern wie Sam Lee das machen würde. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht meine Art ist, Lieder zu arrangieren. Aus diesen nicht zufriedenstellenden Versuchen heraus, habe ich meinen eigenen Weg gefunden. Auch wenn meine CD überhaupt nicht wie Sam Lee klingt, war er dennoch dafür verantwortlich, dass „Alles tot im Bauernhimmel“ auf den Weg gekommen ist, denn er hat mich zu einer neuen Sichtweise inspiriert.

Es handelt sich - für mich jedenfalls - um eher unbekanntere Titel. Wie hast du die Stücke ausgewählt?

Tatsächlich habe ich nach dem Gespräch mit Steve Turner, nach den deutschen Balladen mit englischer Verwandtschaft gesucht. Ich habe ein paar gefunden, aber wenn man die Erk-Böhme-Bände, dann Pincks Verklingende Weisen und noch andere Bücher durchblättert, findet man zwangsläufig noch viel mehr. Ich habe eine Vorliebe für gruselige und ungewöhnliche Geschichten. Somit waren der „Grausame Bruder“ oder „Es war einmal ein Mädchen“ schnell heiße Kandidaten. Zudem liebe ich mittelalterliche Texte zum Thema Tod, daher war „Der grimmig Tod“ auch schnell auf der CD.

Anfangs hatte ich eine Liste von 50 Liedern. 27 davon habe ich arrangiert und einspielt und Rough Mixe davon gemacht. 16 wurden fertig gemischt, dann habe ich aber noch drei gestrichen. Die CD hat nun einen kompakteren Charakter, sowohl musikalisch als auch thematisch.

Steve Turner

Artist Video Steve Turner @ FROG

www.steve-turner.co.uk

Hast du ein Lieblingsstück?

Schwer zu sagen. Ich höre jedes Stück aus anderen Gründen besonders gerne. „Der Schlemmer“ hat den größten Wumms und vielleicht sogar Hit-Potenzial, „Eitle Dinge“ passt zu einem meiner Lieblings_Riddim, „Die Schlacht bei Leipzig hat den besten Text“. Jedes der 13 Stücke hat ein Alleinstellungsmerkmal, für das man es ganz oben in die Liste setzen kann.

Ich wundere mich schon ein wenig über den CD-Titel "Alles tot im Bauernhimmel" und kann auf den ersten Blick keinen direkten Bezug erkennen. Übersehe ich da etwas?

„Der Bauernhimmel“ ist ein Volkslied, dass ich von Liederjan gerne gehört habe. Ich habe schon gesagt, dass ich 27 Lieder bearbeitet habe. 26 haben funktioniert, der „Bauernhimmel“ war das 27. In den Liedern stirbt eine Menge Leute, daher fiel mir dieser Titel schnell ein. Als der „Bauernhimmel“ gestrichen war, hat mir der CD-Titel immer noch gut gefallen. Das Cover von Helen Temperley passt auch super dazu.

Es ist natürlich schön, so eine CD zu haben; noch schöner wäre es aber, wenn man das Ganze auf die Bühne bringen könnte. Besteht da Hoffnung?

Ich hoffe, dass es genügend Interesse gibt, die CD auf die Bühne zu bringen - sowohl für Club-Konzerte als auch für Festivals. Ich habe das Konzept schon mit einem Schwager, Tobias Rotsch, der an diversen Hochschulen unter anderem über elektronische Musik doziert, besprochen. Er ist freut sich darauf die elektronische Musik auf die Bühne zu bringen. Es wird eine Band mit vier Musikern und viel Midi und PCs auf der Bühne. Mein Akkordeon ist midifiziert, sodass alle live spielen und singen werden.

Classic English and Scottish Ballads
»The Child Ballads«

Die Show wird großartig werden, mit weniger gebe ich mich auch nicht zufrieden. Über das Zielpublikum mache ich mir seit den ersten Aufnahmen der CD Gedanken, oder besser gesagt: keine Gedanken! So eine Musik hat es noch nicht gegeben, also wird sich die Zielgruppe noch erschließen. Die erste Anfrage für ein Interview kam von einem Gothic-Magazin, Folk-Magazine haben angefragt und auch meine Test-Hörer hatten unterschiedliche Hörgewohnheiten. Also gibt es ein Publikum.

Ich drücke beide Daumen ... Nach dem Spiel ist vor dem Spiel heißt es bekanntlich, was dürfen wir in nächster Zeit noch von dir erwarten?

Im kommenden Jahr folgt die Whisky Priests Tour zum 35-jährigen Bestehen. Da startet so langsam die Planung für die Tour und auch für Festival-Auftritte. Die Crashandoh-Auftritte sind auch immer sehr schöne Angelegenheiten. Zudem habe ich in den letzten Jahren gelernt, dass immer etwas kommt, mit dem man nicht gerechnet hat. Im nächsten Jahr soll mein Golf-Handicap auch wieder unter 20 gehen.

Das ist fast schon ein schönes Schlusswort. Oder magst du noch etwas hinzufügen?!

Ich habe mit dem Projekt angefangen, weil ich es machen wollte. Weiter habe ich damals gar nicht gedacht. Ich bin natürlich Künstler und ehrgeizig genug, das Projekt der Öffentlichkeit vorzustellen, und natürlich will jeder Musiker mit einem neuen Projekt die ganze Welt beglücken und erobern. Das ist ein tolles Ziel! Wenn das nicht klappt, habe ich zumindest meine eigene Lieblings-CD aller Zeiten herausgebracht.



Photo Credits: (1)-(2) Ralf Weihrauch, (4) CRASHandOH, (5) Whisky Priests, (7) Steve Turner, (8) "Classic English and Scottish Ballads from Smithsonian Folkways (from The Francis James Child Collection)", (unknown/website); (3) Gudrun Walther (Deitsch), (6) Sam Lee (by Walkin' Tom).


FolkWorld Homepage German Content English Content Editorial & Commentary News & Gossip Letters to the Editors CD & DVD Reviews Book Reviews Folk for Kidz Folk & Roots Online Guide - Archives & External Links Search FolkWorld About Contact Privacy Policy


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Homepage
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld