FolkWorld #67 11/2018
© Walkin' T:-)M

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Gundermann - Der Film

T:-)M's Nachtwache

von jedem tag will ich was haben     
was ich nicht vergesse
ein lachen ein sieg eine träne
ein schlag in die fresse

Gundermann - Der Film

»Er war verwurzelt im Schlamm der Braunkohle und mit dem Kopf in den Sternen.« (Andreas Dresen)

Artist Video Drehbuch: Laila Stieler
Regie: Andreas Dresen
© Pandora Film, 2018

     www.gundermann-derfilm.de

Auch zwanzig Jahren nach seinem vorzeitigen Ableben ist der ostdeutsche Singer-Songwriter Gerhard Gundermann (1955-1998) unvergessen. Nun hat der Baggerfahrer und Liedermacher, Genosse und Rebell, Offiziersschüler und Befehlsverweigerer, Spitzel und Bespitzelter unter der Regie von Andreas Dresen die Kinoleinwand erobert.

Als 12jähriger zog Gundi mit seiner Mutter nach Hoyerswerda ins Lausitzer Braunkohlerevier. Eine prägende Erfahrung: Er fand eine aus dem Krieg stammende Pistole seines Vaters, die er Spielkameraden zeigte. Der Vater wurde daraufhin wegen illegalen Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und brach jeden Kontakt zu Gundi ab.



Andreas Leusink (Hg.), Gun- dermann - Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ... Briefe, Dokumen- te, Interviews, Erinnerungen. Ch. Links Verlag, 2018, ISBN 978-3-96289011-7, 180S, €20

Gundi studierte an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte, wurde aber exmatrikuliert, als er sich weigerte, ein Loblied auf einen General zu singen, und arbeitete fortan als Baggerfahrer im Tagebau Spreetal. Er nahm den Sozialismus ernst und setzte die sozialistischen Ideale gegen die Funktionäre ein. Er wurde vom Ministerium für Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter angeworben, wurde aber von der SED wegen unerwünschter eigener Meinung ausgeschlossen.

Diese Stasi-Mitarbeit war Teil seiner konsequenten Lebenshaltung als junger Mann und als Kommunist. Er wollte dieses System und die dahinterstehende Idee, und er war bereit dafür alles in die Waagschale zu werfen. Er war auch naiv und hatte Flausen im Kopf. (Dresen)

1978 war Gundi mit dem Singeklub Hoyerswerda zum Festival des politischen Liedes nach Ost-Berlin gefahren. Der Singeklub nannte sich in "Brigade Feuerstein" um, der sorbischen Bezeichnung für Braunkohle, mit der Gundi Mitte der 1980er-Jahre sein Kindermusical "Malvina" aufführte. Zu dieser Zeit war Musik für Gundi nur ein Transportmittel für seine Texte: Wie einer Gitarre spielen kann, ist gar nicht ausschlaggebend. Wenn wir gute Politik machen, können wir spielen wie 'ne Dorfband...

1986 hatte Gundi erste Soloauftritte als Liedermacher und gewann im folgenden Jahr den Preis bei den Chansontagen der DDR. 1988 erschien seine erste LP. In der Nach-Wende-Zeit sammelte der singende Baggerfahrer und seine "Seilschaft" eine stetig wachsende Fangemeinde um sich herum und spielte sogar im Vorprogramm von Bob Dylan und Joan Baez.

Er hätte von der Musik leben können, arbeitete aber weiterhin im Tagebau (Ich mag nicht Klinken putzen gehen. Meine Musik ist da. Wenn sie gut ist, wird sie gehört.) und führte ein extrem anstrengendes Doppel-Leben als Rockmusiker auf der Konzertbühne und Baggerfahrer im Schicht-Dienst. Mit nur 43 Jahren starb er an einer Gehirnblutung.

Zu Gundermanns 60. Geburtstag organisierte der gebürtige Geraer Regisseur Andreas Dresen zusammen mit Schauspieler Axel Prahl (Münster-Tatort) ein Gedächtnis-Konzert. Mit Prahl hatte Dresen bereits 2002 die Tragikomödie "Halbe Treppe" gedreht, dessen Soundtrack ausschließlich von der Berliner Band 17 Hippies realisiert wurde. Diese wurden auch in den Film einbezogen: vor der Imbissbude, der dem Film den Namen gegeben hat, steht zu Beginn ein Dudelsackspieler, an jedem Tag kommt ein weiterer Musiker hinzu ...

Andreas Dresen hat Gundi nicht persönlich kennengelernt ...

Poesiealbum 338 Gerhard Gundermann Die Lyrikreihe Poesiealbum wurde bereits in den 1960er-Jahren begründet und vor 10 Jahren mit 6 neuen Heften pro Jahr und überarbeiteten Neuauflagen vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst fortgesetzt. Aus quasi aktuellem Anlass wurde nun auch ein repräsentativer Querschnitt Gundermannscher Liedtexte ausgewählt - Verse von den späten 1970ern bis in die Mitte der 1990er - von "Fliegender Fisch" (für Silly) bis "Ich mache meinen Frieden". Natürlich wird jeder etwas finden, was vermeintlich nicht ausgelassen werden darf - mir persönlich fehlt z.B. ein Klassiker wie "Gras" -, aber das ist natürlich letztendlich eine unfruchtbare Diskussion. Viel wichtiger ist die berechtigte Frage, warum mich hier nur Gundermann interessiert? Der Rockpoet findet sich, gleichsam geadelt, im Verlagsprogramm Seite an Seite mit Theodor Fontane (Poesiealbum #44), Heinrich von Kleist (#296), Günter Grass (#302), Karl Valentin (#322), Bob Dylan (#189), Seamus Heaney (#283), u.v.a. auch weniger bekannte Autoren.
Poesiealbum 338 Gerhard Gundermann. Märkischer Verlag Wilhelmshorst, 2018, ISBN 978-3-943-708-38-7, 30 S, €5,-

Ich war auf seinen Konzerten, das erste Mal 1988 [...] Es war, ehrlich gesagt, nicht gut. Weil er und die Band nicht richtig zueinander fanden [...] Man sah: Dieser Gundermann ist ein interessanter Typ mit tollen Songs, aber er ist mit dem falschen Paket unterwegs. [...] Als er 1992 mit der Seilschaft zu spielen begann, bin ich regelmäßig zu den Auftritten gegangen [...]

... interessierte sich aber schon früh für die schillernde und widersprüchliche Figur Gundermann, obwohl zunächst die Zeit noch nicht reif dafür war ...

Beim Publikum haben [die DDR-Filme in der ersten Hälfte der neunziger Jahre ] überhaupt nicht funktioniert. Die Leute im Osten hatten damals anderes im Kopf, als sich mit der DDR und der Wende zu befassen - sie wollten alles das doch hinter sich lassen, sie waren vollauf damit beschäftigt, in die neue Lebenswelt zu finden. Im Westen wiederum sagten sich die Leute, das hat nichts mit uns zu tun. Das müssen wir uns nicht angucken. Darum habe ich mir [...] gesagt, ich komme an dieser Stelle nicht weiter. Es ist offensichtlich nicht die Zeit für differenzierte Betrachtungen, und nur die interessieren mich, also lasse ich die Finger von dem ganzen Thema [...] Ich orientierte mich in Richtung Sozialdrama [...]

Alexander Scheer
Den Typen spiele ich Dir mit allem was ich habe, freut sich der Ost-Berliner Schauspieler Alexander Scheer. Einschließlich seiner Stimme. Er hat nicht nur einschlägige Filmerfahrung, spielte zudem in mehreren Bands und gründete als Vorbereitung für die Rolle des Keith Richards in "Das Wilde Leben" eine Rockband, die einen Sommer lang Konzerte spielte. Für den Film hat Scheer 15 Gundi-Songs neu eingesungen, 6 Titel solo auf der Akustik-Gitarre. Für die restlichen Stücke hat Regisseur Andreas Dresen ganz bewusst nicht die Seilschaft einbezogen, sondern die Band von Gisbert zu Knyphausen bemüht:

Das sind tolle Musiker in der Seilschaft. Aber es ging uns darum, die Songs der neunziger Jahre auch für das Jahr 2018 zu erschließen. Es war damals ein anderer Sound, aus dem wollten wir die Musik ein bisschen rausholen. Wir wollten nahe dran sein und gleichzeitig weit weg. Also die Interpretation nicht stark verändern und trotzdem modernisieren, verschlanken. Und da kam es uns sehr zupass, dass Gisbert, mit dem ich befreundet bin, uns seine alten Musiker vermittelte. Sie sind ja alle aus dem Westen und lernten Gundermanns Repertoire erst kennen. Sie konnten viel leichter eine eigene Sicht darauf entwickeln, als es diejenigen gekonnt hätten, die schon so lange damit vertraut sind. (Dresen)


Die waren jedenfalls begeistert:

Gundermann ist einfach unaufdringlich, hat was zu sagen und macht aber nicht auf dicke Hose. Mich hat begeistert, dass die Anmutung sanft ist, mit Nachdruck und Tiefe. Und, dass er sich nicht selbst geil findet. Das hört man! (Sebastian Deufel, Schlagzeug/Klavier)


Die Titel wurden live im Studio eingespielt und mit einer zweiten elektrischen Gitarre wurde die rockige Note erhöht. Die folkigen Elemente wie Akkordeon, Tin-Whistle oder Dudelsack wurden hingegen ausgemerzt. Dennoch bleiben Scheer & Co. ganz nah an Gundi dran. Einzig der Gundi-Klassiker "Gras" hat eine erheblichere Bearbeitung erfahren: Die Strophen hat es schon zu Feuerstein-Zeiten gegeben; die jetzige Melodie entstand 1988 zusammen mit Mario Ferraro (später Seilschaft, heute Polkaholix); Rockband Silly kreierte 1991 das charakteristische Intro-Motiv. Im Film gibt es das Stück als Solo-Akustik-Nummer, auf dem Soundtrack (die dazugehörige Szene im Film wurde nachträglich gestrichen) ist "Gras" zu einer Latino-Flamenco-Nummer mutiert.

immer wieder wächst das gras
wild und hoch und grün
bis die sensen ohne hass
ihre kreise ziehn

Artist Video Titelliste: Ich mache meinen Frieden / Lancelots Zwischenbilanz I / Gras / Vater / Soll sein / Brigitta / Brunhilde / Linda / Weisstunoch / Hier bin ich geboren / Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug / Und musst du weinen / Keine Zeit mehr / Männer und Frauen / Hochzeitslied

Alexander Scheer und Band "Gundermann - Die Musik zum Film", BuschFunk, 2018

Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Handlungsbedarf!

Laila Stieler und ich fingen an, über Gundermann zu reden, auf langen Spaziergängen. Und dann wurde die Sache für uns akut. DAS LEBEN DER ANDEREN kam in die Kinos. Wir merkten, wir überlassen die Deutungshoheit über das, was wir erlebt hatten, denjenigen, die es nicht erlebt hatten. [...] Die Leute sagen, so ist es gewesen. Und das kann ich nun wirklich nicht bestätigen. Wir, Laila und ich, haben uns dann gesagt, aber was ärgern wir uns hier still und heimlich? Das ist nicht schlau. Das führt zu nichts. So lange wir uns selbst weigern, unsere Geschichten zu erzählen, dürfen wir uns nicht beschweren, wenn andere es tun. Versuchen wir es also nochmal!

Es sollte aber nicht nur irgendein Stasi-Film werden.

Es ist natürlich ein Film über wunderbare Musik und Lyrik, genauso einer über Gundermann und Conny, also über die Liebe. Und über Gundermann und seinen dauernden Kampf, auf der Arbeit gegen Missstände anzugehen. Das ist doch auch wieder typisch für gar nicht so wenige in der DDR gewesen, das kenne ich von mir selbst: Ich habe mich nie als Oppositioneller gefühlt. Ich wäre auch nie in den Westen gegangen, obwohl ich Gelegenheit dazu gehabt hätte. Nö, habe ich gesagt, ich will die Dinge hier verändern. Ich habe die DDR nicht kritisiert, weil ich sie abschaffen, sondern weil ich sie besser machen, sozusagen vom Kopf auf die Füße stellen wollte.

Laila Stieler hatte schon 2006 mit dem Drehbuch begonnen, es hieß oft: Kennt keiner, guckt keiner! Im August diesen Jahres lief "Gundermann" nun endlich in den deutschen Kinos an. Der Film zeigt ausgewählte Episoden aus dem Leben Gundis, gespielt von Alexander Scheer ("Sonnenallee"), zentral das Bekanntwerden seiner Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. In Rückblenden wird erzählt, wie er sich als überzeugter Kommunist am DDR-Staat rieb, wie er mit seiner Frau Conny zusammenfand wie er Inspirationen für seine Lieder gewinnt, während er mit dem überlebensgroßen Schaufelbagger Braunkohle abbaut.

Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse … gibt Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Films. Zu Interviews mit Dresen, Stieler und Scheer gibt es Ausschnitte aus dem Drehbuch. Der Film bietet aber nur den Anlass, sich im Detail mit der Vater-Sohn-Beziehung, der Stasi-Zusammenarbeit, der Brigade Feuerstein u.v.m. zu befassen.

Gerhard Gundermann

Hondsdraf - Meijer zingt Gundermann
Artist Video Gundermann
@ FROG


www.gundi.de

Es mag ein Zufall sein, dass mich - als Wessi - Gundis Werk schon recht früh und zu seinen Lebzeiten angesprochen hat. Die langanhaltende Wirkung bis heute - und vielleicht auch Renaissance - zeigt jedoch, dass die universalen Belange das spezifisch Ostdeutsche überwinden kann.

Das beste Beispiel für mich ist denn auch der Niederländer Johan Meijer, der sich schon des öfteren des Liedguts von Gundi angenommen hat. Auf seiner aktuellen CD singt er zum Beispiel das "Traurige Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug", und vor genau 10 Jahren hat er unter dem Titel "Hondsdraf" (der niederländischen Bezeichnung für die Pflanze, die bei uns als Gundermann bekannt ist) sogar ein ganzes Album ins Niederländische übertragen.[38]

Meijer war in diesem Juni der Initiator eines Projekts, bei dem Liedermacher aus ganz Europa Gundi-Songs in ihre Landessprache übersetzen sollten. Als Ergebnis soll noch eine Broschüre veröffentlicht werden; wir sind gespannt.

So möchte ich denn nun mit einem meiner persönlichen Lieblingstexte enden:

ich mache meinen Frieden mit dir du großer gott
ich nehm was du mir bieten kannst leben oder tod
ich will mich nicht mehr drängeln und will mich nicht verpissen
und wer mich angeschissen hat will ich auch nicht mehr wissen
so fülle meinen becher ich trink ihn bis zur neige
nun gib mir schon mein kreuz - oder eine geige

ich mache meinen frieden mit dir du kleine mücke
du kannst mich ruhig pieken ich werd dich nicht zerdrücken
du kannst mich ruhig stechen ich werde dich nicht schlagen
du mußt mir nur versprechen es deinen kumpels nicht zu sagen
nun hau schon deinen spund rein und laß uns einen heben
ich fülle auf mit rotwein so könn' wir beide leben


1928 kam der Leipziger Theodor Trampler als Arbeitsemmigrant nach New York. In den 15 Monaten seines Aufenthalts schrieb er fast 200 Briefe an Familie und Freunde zuhause. Außerdem fotografierte der Buchbinder und verkaufte die Bilder an deutsche Einwanderer in den USA und Zeitungen in Deutschland. 90 Jahre später wandelte Ulrich Balß, bekannt als Chef von Jaro Medien, auf den Spuren seines Großvaters. Das Resultat ist eine Kombination aus Bildband, Zeitgeschichte, Biographie - und Musik, dem Band liegt eine CD mit Einspielungen von New Yorker Musikern bei.

Dies ist "Past & Present" Nummer 2 nach dem gelungenen, der Fado-Musik wegen auch für FolkWorld-Leser interessanten Fotoband über Lissabon.[60]

Theodor Trampler & Ulrich Balß, NEW YORK - Past & Present. Jaro Medien GmbH, 2018, ISBN 978-3-9813-5093-7, 160 S, €30,- (inkl. CD)

Nach dem Erfolg des ersten Weihnachtsliederbuches "Gitarrespielen zur Weihnachtszeit" folgt nun eine Fortsetzung mit Weihnachtsliedern für Fortgeschrittene. Der erste Teil enthält dreizehn Duette (auch mit anderen Instrumentalbesetzungen denkbar); elf dieser Stücke erscheinen im zweiten Teil als Solobearbeitungen. Schwierigkeitsgrad mittelschwer bis fortgeschritten; eine grundlegende Ausbildung im Akkord- und Solospiel sollte vorhanden sein.

Thomas Hübner & Tilman Steitz, Mit der Gitarre durch die Weihnachtszeit für Fortgeschrittene: 24 Weihnachtslieder-Bearbeitungen für Gitarre - Duette und Solos. Acoustic Music FP8183, 2018, 32 S, €14,90



Photo Credits: (1)-(2) Gundermann - Der Film, (3ff) Book/CD Covers, (6) Gerhard Gundermann (from website/author/publishers).


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