FolkWorld #62 03/2017
© Amnesty International Deutschland

Urgent Action: Mehdi Rajabian

Der Musiker Mehdi Rajabian musste am 4. Dezember wieder ins Evin-Gefängnis in Teheran zurückkehren. Man hatte ihm zuvor eine Haftentlassung aus medizinischen Gründen gewährt, weil er sich nach einem Hungerstreik in einem sehr schlechten Zustand befand. Sein Bruder, der Filmemacher Hossein Rajabian, befindet sich weiter im Hungerstreik. Amnesty International betrachtet beide als gewaltlose politische Gefangene.

Mehdi Rajabian

Die Setar (persisch سه تار, DMG setār, auch sehtār/seh-tār) ist eine Langhalslaute, die überwiegend in der persischen und der tadschikischen Musik gespielt wird. Der Name bedeutet „Dreisaiter“, die moderne Version besitzt aber durch oktavierende Verdoppelung der Bass-Saite vier Saiten. Der gewölbte, birnenförmige Korpus ist mit einer Länge von ca. 20 cm und einer Breite von 15 cm relativ klein im Vergleich zu anderen Lauten. Die Gesamtlänge beträgt 87 cm, die Mensur 68 cm. Der Korpus ist aus einem Stück Holz (meist vom Maulbeerbaum) geschnitzt oder aus mehreren Spänen wie bei einer Laute zusammengesetzt, der Hals ist angesetzt. Die setar ist recht leicht gebaut, viele Instrumente wiegen nur 350-400 Gramm. Statt eines Schalllochs hat die Setar nur einige kleine Löcher in der Decke. Der Klang ist deshalb im Vergleich zu anderen Lauten leise. Die Bünde, etwa 25, sind aus Darm und um den Hals gebunden. Neben allen Halbtönen sind auch einige (nicht alle) „Vierteltöne“ vorhanden. Von den vier Saiten sind die erste (tiefste) und dritte (ursprünglich zweite) aus Messing, die anderen beiden aus Stahl. Die zweite Saite (als oktavierende Verdoppelung der tiefsten Saite) wurde erst im 19. Jahrhundert (durch Darvish Khan und/oder Moschtagh Alischah hinzugefügt. Die Stimmung ist meistens c-c'-g-c' (in der Praxis auch einen bis drei Halbtöne tiefer, sie kann aber je nach dem gespielten Modus variieren. Das Instrument wird traditionell mit der Fingerkuppe oder auch mit dem langen Nagel (ersatzweise mit einem Fingerpick des rechten Zeigefingers gespielt. Diese Spielweise unterscheidet das Instrument von ähnlichen Langhalslauten wie der – härter klingenden – tar. Der Stil ist durch ein Tremolo für längere Notenwerte und zahlreiche Verzierungen geprägt. Die setār wird wie die tār in der klassischen Musik Persiens gespielt. Wegen ihres leichten Baus und zarten Klangs ist sie vor allem ein Instrument für die Kammermusik. Sie wird zur Gesangsbegleitung und in kleinen Ensembles eingesetzt. Sie war früher mit der Musik der Gelehrten und Sufis (islamische Mystiker) verbunden. Die gespielte Musik stammt meist aus dem Repertoire des Radif. Ähnliche Langhalslauten, etwa die dotar und dombra, sind auch in anderen Ländern Zentralasiens in Gebrauch. Die indische sitar unterscheidet sich von ihrer Bauform und Spielweise erheblich von der setār. [de.wikipedia.org/wiki/Setar]

Setar

Der Musiker Mehdi Rajabian wurde am 4. Dezember gezwungen, wieder ins Evin-Gefängnis zurückzukehren, obwohl er sich weiter in einer sehr schlechten körperlichen und geistigen Verfassung befindet. Am 27. November hatte man ihm eine Haftentlassung aus medizinischen Gründen gewährt. Danach verbrachte er die meiste Zeit im Bu-Ali-Krankenhaus in seiner Heimatstadt Sari in der Provinz Mazandaran nördlich von Teheran. Er leidet an zahlreichen gesundheitlichen Problemen, welche die Einnahme von Medikamenten und eine fachärztliche Betreuung erforderlich machen. Vor seiner Inhaftierung wurde eine Kernspintomographie bei Mehdi Rajabian durchgeführt. Ein Neurologe sagte ihm daraufhin, dass er vermutlich unter Multipler Sklerose leide und eine weitere medizinische Versorgung, einschließlich diagnostischer Untersuchungen, benötige. Während der ersten beiden Monate seiner Inhaftierung wurden ihm die Medikamente verweigert, die er laut seinem Arzt benötigt, um das Auftreten von Symptomen der Multiplen Sklerose hinauszuzögern. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge haben sich die Inhaftierung und die fehlende medizinische Versorgung in gravierendem Maße negativ auf die psychische Verfassung von Mehdi Rajabian ausgewirkt. Er befindet sich in einem sehr schlechten Zustand.

Vor seiner vorübergehenden Haftentlassung waren Mehdi Rajabian und sein Bruder Hossein am 28. Oktober gegen ihre anhaltende Inhaftierung in den Hungerstreik getreten. Im September hatten die gewaltlosen politischen Gefangenen schon einmal mit einem Hungerstreik gegen die Weigerung der Staatsanwaltschaft, einer Freilassung aus medizinischen Gründen zuzustimmen, und gegen die Entscheidung der Behörden, die Brüder in verschiedenen Trakten des Gefängnisses unterzubringen, protestiert. Hossein Rajabian soll sich weiterhin im Hungerstreik befinden.

Im April 2015 wurden Mehdi Rajabian und Hossein Rajabian nach einem grob unfairen Verfahren vor einem Revolutionsgericht zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Sie waren im Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Arbeit unter anderem wegen "Beleidigung islamischer Heiligkeiten" und "illegaler audiovisueller Tätigkeiten" angeklagt worden. Ein Rechtsmittelgericht entschied später, dass sie drei Jahre der sechsjährigen Haftstrafe verbüßen müssen. Das Gericht setzte die restliche Haftstrafe für fünf Jahre zur Bewährung aus, vorbehaltlich ihres "guten Benehmens". Die Brüder haben am 4. Juni 2016 ihre Haftstrafen angetreten.

Hintergrundinformationen

No Land's Song

»Iranische Protestsongs:
No Land's Song« (FW#59)

Mehdi Rajabian und Hossein Rajabian befinden sich in einem schlechten Gesundheitszustand. Am 10. September 2016 erlitt Mehdi Rajabian einen Anfall und wurde in das Gefängniskrankenhaus gebracht. Nach Beginn seines zweiten Hungerstreiks hat er zweimal Blut gespuckt. Beim ersten Mal, am 2. November, trug ihn ein Mithäftling aus seiner Zelle in die Krankenstation des Evin-Gefängnisses. Laut Mehdi Rajabian behandelte der Gefängnisarzt ihn sehr schlecht, vor allem, nachdem der Musiker seine Fragen nicht beantworten konnte und die Verabreichung intravenöser Flüssigkeiten abgelehnt hatte. Es kam zu einer Auseinandersetzung, im Verlaufe derer Mehdi Rajabian eigenen Angaben zufolge von dem Arzt in die Magengegend geschlagen wurde. Hossein Rajabian litt bereits vor seiner Inhaftierung an Nierenproblemen und hat seitdem starke fieberähnliche Symptome entwickelt. Einige Stunden nach Beginn seines Hungerstreiks am 8. September 2016 brachte man ihn für eine Blutuntersuchung in das Gefängniskrankenhaus. Eine Untersuchung ergab eine hohe Konzentration weißer Blutkörperchen. Daraufhin brachte man Hossein Rajabian an Händen und Füßen gefesselt in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses. Dort wurde er jedoch nicht angemessen medizinisch versorgt, bevor man ihn ins Gefängnis zurückbrachte.

In einem offenen Brief vom 26. Oktober gaben die Brüder an, ihren letzten Hungerstreik beendet zu haben, nachdem die Behörden ihnen zugesagt hatten, dass beide im selben Trakt untergebracht und angemessene medizinische Versorgung erhalten würden. Sie erklärten in dem Brief jedoch, dass sich ihre Haftbedingungen seitdem weiter verschlechtert hätten. Die Brüder schrieben zudem einen Appellbrief, in dem es hieß: "Wir fordern alle Künstler_innen weltweit dazu auf, diese Menschenrechtsverletzungen auf eine Weise zu verurteilen, die Künstler_innen würdig ist. Vergesst uns nicht in dieser erdrückenden Zeit."

Mehdi Rajabian und Hossein Rajabian wurden am 5. Oktober 2013 von Angehörigen der Revolutionsgarden während der Arbeit in ihrem Büro in der nordiranischen Stadt Sari in der Provinz Mazandaran festgenommen. Dabei setzten die Sicherheitskräfte Elektroschockpistolen ein und verbanden ihnen die Augen. Während der folgenden 18 Tage wurden sie an einem unbekannten Ort festgehalten. In dieser Zeit sollen sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden sein, unter anderem durch Elektroschocks. Dann wurden sie in den der Revolutionsgarde unterstellten Trakt 2A des Teheraner Evin-Gefängnisses verlegt und dort zwei Monate lang in Einzelhaft festgehalten. Unter Androhung lebenslanger Haft zwang man sie bei Verhören offensichtlich zu "Geständnissen", die auf Video aufgezeichnet wurden. Im Dezember 2013 wurden die Brüder gegen Kaution freigelassen. Nach ihrem Verfahren, das am 26. April 2015 stattgefunden hat, erging gegen beide eine fünfjährige Haftstrafe wegen der "Beleidigung islamischer Heiligkeiten", eine einjährige Strafe wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" sowie eine Geldstrafe von je 200 Mio. Rial (rund 6.000 Euro) wegen "Ausübung illegaler audiovisueller Tätigkeiten". Sowohl während des ursprünglichen Gerichtsverfahrens als auch während des Rechtsmittelverfahrens hatten sie dem Vorsitzenden Richter gesagt, dass ihre "Geständnisse" unter Folter und anderen Misshandlungen während ihrer Haft ohne Kontakt zur Außenwelt erzwungen worden waren. Der Richter bei der Rechtsmittelanhörung vor dem Teheraner Berufungsgericht warnte sie davor, ihre Foltervorwürfe zu äußern, und drohte ihnen mit härteren Strafen, sollten sie dies tun. Sie hatten weder bei ihrer Festnahme noch während der Inhaftierung, dem Prozess oder dem Rechtsmittelverfahren Zugang zu einem Rechtsbeistand.

Mehdi Rajabian ist der Gründer der iranischen Webseite Barg Music, einer Plattform für nicht lizenzierte Musik, die seit 2009 besteht. Im Iran erhält nur von der offiziellen Zensurbehörde geprüfte Musik eine Lizenz. Musiker_innen ohne Lizenz sind gezwungen, in den Untergrund zu gehen. Barg Music kümmerte sich um den Vertrieb persischer Musik von iranischen Sänger_innen, die im Ausland leben und in ihren Texten und Botschaften auch politische Themen oder gesellschaftliche Tabus ansprechen. Mehdi Rajabian war gerade bei der Aufzeichnung der Geschichte eines iranischen Musikinstruments, der Sitar, als er festgenommen wurde. Bei der Festnahme durchsuchten die Angehörigen der Revolutionsgarde sein Studio und konfiszierten seine Aufnahmen und anderes zu seinem Projekt gehörendes Material. Mehdi Rajabian wurde beschuldigt, weiblichen Gesang sowie Gesang von Sänger_innen der "antiislamischen Revolution" verbreitet zu haben. Die iranischen Behörden erlauben weiblichen Gesang nur unter Auflagen; so ist es Frauen beispielsweise verboten, allein vor Männern zu singen. Konservativen Geistlichen zufolge können weibliche Stimmen unmoralische sinnliche Gelüste hervorrufen. Im Februar 2015 sagte der konservative Großajatollah Hassan Nouri Hamedani: "Wir werden alle Filme, Bücher und Musikstücke stoppen, die antiislamisch und antirevolutionär sind (…). Weiblicher Gesang lässt sich durch keine Handlung normalisieren, und wir werden ihn stoppen." Hossein Rajabian wurde festgenommen, nachdem er seinen ersten Langfilm namens "The Upside Down Triangle" über das Recht iranischer Frauen auf Scheidung gedreht hatte. Die Revolutionsgarde konfiszierte das gesamte Filmmaterial. Der Film durfte bisher nicht gezeigt werden. Mehdi Rajabian und Hossein Rajabian wurden wegen ihrer künstlerischen Arbeit angeklagt. Dazu zählt auch der Langfilm von Hossein Rajabian über das Recht iranischer Frauen auf Scheidung sowie die Verteilung unlizenzierter Musik von Sänger_innen außerhalb des Landes durch Mehdi Rajabian.

amnesty international

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Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Urgent Action UA-041/2016-6 vom 06. Dezember 2016 der Menschenrechtsorganisation amnesty international entnommen (www.amnesty.de/urgent-action).


Photo Credits: (1) Mehdi Rajabian, (2 »No Land's Song«, (3) Setar (4)-(5) amnesty international (logo) (unknown/website).


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