FolkWorld Ausgabe 39 07/2009

FolkWorld CD Kritiken

Deolinda "Canção ao lado"
Label:
World Connection; 2008; 14 Tracks; 45:42 min
Lissabon ist mehr, als eine restaurierte Altstadt mit dem Charme einer verblassten Kolonialzeit. Wer sich Zeit nimmt und über den Teil hinaus schreitet den Reiseführer empfehlen, erlebt Neubauviertel, vor deren Fenstern die Flaggen des einfachen Einwohners der portugiesischen Hauptstadt wehen - Wäschestücke auf Wäscheleinen. Und darüber blickt ein Gesicht auf die Straße, beobachtet und denkt sich sein Teil. Alltag in Lissabon. Der Alltag im Blick einer Fensterguckerin aus der Wohnung nebenan, das war es, was den Lissabonner Musiker Pedro da Silva Martins inspirierte etwas andere Songs zu schreiben, als die sentimentalen Fados, die man aus der Stadt am Tejo erwartet. Allseits bekannt ist, das der Portugiese seine Sentimentalität, die Saudade und damit den Fado bierernst nimmt. Darüber kann er stundenlang Gewichtiges deklamieren. Den Fadokult mit einem Anflug von Spott zu begegnen kann schon mal den sonst zurückhaltenden und friedfertigen Portugiesen aufbrausen lassen. Als Nichtportugiese sollte man das tunlichst vermeiden. Den Landsleuten und vor allem den Musikern ist jedoch seit längerem klar, dass man den heiligen Kühen auch gewöhnliches Heu vorsetzen muss. Und mit dem von da Silva Martins initiiertem Projekt Deolinda weist man den heiligen Kühen des traditionellen Fados respektvoll den Weg von der Straße. "Canção ao lado" - Lieder von nebenan heißt das Album, mit dem Blick aus dem Fenster der Vorstadt auf die Irrungen und Wirrungen, die alltäglichen Lächerlichkeiten und Eigenarten der Landsleute von Deolinda - der Person, die aus dem Fenster schaut. Dabei ist Deolinda komplett fiktiv, eine Erfindung von da Silva Martins. Die Sängerin Ana Bacalhau übernimmt die Rolle der dreisten Fensterguckerin, die selbst nie vor die Tür geht und ihr Leben mit Sekundärerfahrungen nährt. Dabei steht selbst der Name der Sängerin noch im Verdacht erfunden zu sein, denn Bacalhau, der Stockfisch ist eines der portugiesischen Nationalgerichte. Deolinda singt sich durch den Alltag, mit Witz und einer gehörigen Portion Anmaßung. Sie verhöhnt den Macho mit dem eingezogenen Bauch und den Hang zur Revolution, der in jedem Portugiesen steckt. Allerdings tief genug versteckt, dass nicht ein gutes Essen oder ein Fußballspiel erstmal Vorrang hat. Und überhaupt - das mit der Revolution, warum etwas wiederholen, was im ersten Anlauf perfekt geklappt hat. Deolinda arbeitet nicht nur mit satirischen Texten sondern auch mit musikalischen Stilzitaten. So klingt die Sängerin mal kräftig wie Dulce Pontes, um dann in die Verträumtheit von Madredeus zu wechseln. Trotzdem Deolinda behauptet nie Fado singen zu wollen, bringt sie es auf ein beherztes und langgezogenes "Tristeza", wie man es sonst eher von der Fadoikone Mariza gebrüllt bekommt. Ein Lied heißt "O fado não e mau" ("Fado ist nichts Schlechtes"). Für den eingefleischten Fadokünstler sollte das eine Aussage am Rand der Blasphemie sein. Da Deolinda ein aufmüpfiges Frauenzimmer zu sein scheint, sollte man etwas Protest erwarten. Doch erfreulicherweise besitzt der Portugiese genügend Humor und Selbstironie, um Deolinda zu mögen und der Debüt-CD binnen kurzem Platinstatus zu verleihen. Deolinda ist ein freundlich-kecker Streich und dabei eine musikalische Offenbarung.
www.deolinda.com.pt
Karsten Rube


Blick Bassy "Léman"
Label:
World Connection; 2008; 15 Tracks; 48:43 min
Im Innern Kameruns, wo Blick Bassy aufwuchs, werden die täglichen Arbeiten mit Gesang und Musik begleitet. Früh lernte Bassy den Umgang mit dem passenden Rhythmus zum passenden Gefühl. Später, in der Hauptstadt Yaunde, begegnet er der Klangwelt der Moderne, wie Marvin Gaye und Gilberto Gil. Folgerichtig verschmilzt die traditionelle Musik seiner Heimat mit der Popmusik. Jazz, Bossa Nova, afrikanischen Melodien, ein Mixtur, die nicht nur in seiner Heimatstadt für Furore sorgt, sondern mit der er und seineBand Macase zeitig internationale Weltmusikpreise einheimst, darunter die begehrte KORA als beste afrikanische Formation 2003. Ein Jahr darauf produzierte er ein erfolgreiches Hip-Hop- Album - in Kameruner Dialekten. 2008 entschließt sich Blick Bassy sein Solodebüüt zu geben. In Paris spielt er "Léman", eine entspannte und leichte CD, die sich wieder mehr den Musikstilen seiner Heimat widmet.So arrangiert er die unterschiedliche Musikformen geschickt zwischen modernem Radiosound, Jazz und Tradition. Dabei verbinden sich die Klänge der Kora harmonisch mit denen der E-Gitarre und das Studioschlagzeug mit den erdigen Klängen westafrikanischer Percussion. Lieder von Hochzeitsritualen lassen eine Ahnung von ausgelassener Tanzfreude im Herzen Afrikas aufkommen und die Gleichmäßigkeit in den Gesängen der Fischer, die er interpretiert besitzen die schwermütige tiefe Ruhe, wie sie von der Kapverdischen Morna bekannt ist. "Léman", das ist schönster Afrosoul, mit warmer Stimme vorgetragen und so erfrischend und wohltuend, wie barfuß über feuchten Sand zu laufen.
www.myspace.com/blickbassy2
Karsten Rube


Arménio de Melo/José Maria Nobrega "Fado Instrumental"
Label:
Sunset-France; 1992/2009; 11 Tracks; 46:50 min
Der Fado, die Musik aus dem Innern der portugiesischen Seele erfreut sich gegenwärtig vielfältiger Interpretationen und Variationen. Auf den Bühnen der Welt wird er kaum mehr gesungen, sondern performt und in den Touristenlokalen Lissabons wird er unsanft in die Hörgefälligkeiten zahlender Reisender gepresst. Die CD "Fado Instrumental", die der französische Musikverlag Sunset-France unter dem Nostalgie-Label Air-Mail-Music vertreibt, greift zurück auf eine Form des Fados, wie er vor der weltweiten Vermarktung durch künstlerisch wertvolle Interpretationen á la Mariza oder Misia stattfand.Hier findet sich kein zeitgemäß interpretierter Philharmonie-Fado, sondern der Fado des Moments. Der Fado des unmittelbaren Empfindens wurde da von Air Mail Music ausgegraben, unaufgerüscht, beinahe etwas belanglos und gewöhnlich, aber frei von Überinterpretation und schnulziger Verkunstung. So war er wohl gemeint, der Fado, als sentimentales Lied aus dem Herzen, als Seelenstriptease, ohne Angst vor Peinlichkeit.
www.airmail-music.com
Karsten Rube


Yara Linss & Band "Yara Linss & Band"
Label:
Upsolute Music Records; 2007; 10 Tracks; 41:13 min
Vocaljazz mit brasilianischen Klangfarben erfährt, wer sich die erste CD der Sängerin Yara Linss anhört. Yara Linns ist Tochter einer Brasilianerin und eines Deutschen. Aufgewachsen in Deutschland ließ sich das brasilianische Lebensgefühl doch nicht für lange verborgen halten. Alle Versuche ihre hohe Stimme in klassische Korsetts zu schnüren schlugen fehl, bis sie sich an die Musik wagte, die ihre Mutter im Plattenschrank hortete. Da wurde es klar, dass der brasilianische Teil in ihr sein Recht forderte. Von der Klassik wechselte sie zum Jazz und fand bald die Musiker, die zu ihrer Musikauffassung passten. Mit denen wagte sie sich schließlich ins Studio. Das erste Album von Yara Linss und Band ist geprägt von zurückhaltend improvisiertem Jazz. Dabei knallen mal hart angeschlagene Gitarrensaiten auf eine federleichte Stimme, mal tropft zartes Saitenzupfen auf fast unangenehm hohes Gekiekse. Gelegentlich hört man einen Hauch Swing heraus, der schnell wieder im Improvisationspiel untertaucht. Dabei ist der brasilianische Anteil in den portugiesisch gesungenen Liedern deutlich bis verhalten spürbar. Hier klingt die Musik von Yara Linss flügelleicht. Bei den englisch gesungenen Songs wird es bedauerlicherweise deutlich schwerfälliger. Die Interpretation von "Love me tender" hätte sie sich für mein Empfinden ganz schenken können. Doch mit "Alfonsina y el mar" am Ende der CD hat sie mich wieder versöhnt.
www.yaralinss.de
Karsten Rube


Al Jawala "Asphalt Pirate Radio"
Label: Jawa-Records; 2009; 16 Tracks; 56:05 min
Balkanbeats im Clubgewand, das scheint nichts umwerfend Innovatives mehr zu sein, seit Bregovich oder DJ Shantel ihre Musik in die Discotheken gebracht haben. Dancefloor mit Balkanhintergrund, wer gezielt danach sucht, wird nicht nur in den großen Städten des Kontinents schnell fündig. "Al Jawala" gehören bereits seit fast zehn Jahren zu den angesagten Bands die die Parketts zahlreicher Dancefloors in sanierungsreifen Zustand spielten. Als reine Liveband ließen sie sich lange Zeit, bevor sie sich ins Studio wagten. "Asphalt Pirate Radio" ist nun ihr erstes Studioalbum und es besitzt die selbe Spielfreude, die man ihnen Live ansieht. Der Sound ist satt, erdig, rotzfrech arrangiert. Die verschiedenen Stilistiken des Balkanbeat, bei denen man heute kaum noch durchsieht, wechseln schnell, die CD hat ein mörderisches Tempo und wer seine Beine stillhalten kann, der hat bestimmt ein körperliche Unpässlichkeit als Begründung dafür. Dabei klingt der jazzig orientierte Sound, der neben den deutlichen Beats stark auf Bläser setzt nach sehr weit östlicher Balkan. Fast schon darüber hinaus. Das geht soweit, dass ich mich an einen Türkeibesuch erinnert fühle und die Musik von "Asphalt Pirate Radio" nicht in den Allerweltsbalkansound eines Bukowina-Clubs einordnen möchte, sondern eher den Begriff Janitscharen-Disco geben möchte. "Asphalt Pirate Radio" ist keine Tanzplatte wie tausend andere, sondern bester Karneval der Kulturen im CD-Format.
www.jawala.de
Karsten Rube


Stockholm Lisboa Project "Diagonal"
Label:
Westpark Musik; 2009; 14 Tracks; 48:22 min
Die Freude, die eigene Scholle zu verlassen und an fernen Ufern zu wandeln, erweitert das kollektive Bewusstsein der Welt. Doch so wichtig es ist, eigene Grenzen zu überwinden, um mit anderen Kulturen zu tanzen, so verwirrend ist es zuweilen. Ein Hauch bewusst herbeigeführter Schizophrenie umweht die Musik des Stockholm Lisboa Projects. Das Quartett kommt zur Hälfte aus Portugal, zur anderen Hälfte aus Skandinavien. Die Wurzeln sind also zu je fünfzig Prozent südeuropäisch sonnig und frost-trotzend nordisch. So verbinden sie die traditionelle Musik des portugiesischen Nordens oder auch des Fados Coimbras mit der fröhlichen Polska einer skandinavischen Mittsommernachtsfeier oder eines anfänglich langsam vorgetragenen schwedischen Beerdigungsliedes. Es entsteht eine harmonische und freundliche Verbindung, die nicht zuletzt deshalb gelingt, weil beiden Kulturen eine gewisse Schwermut innewohnt. Im Kopf mag das, was die Ohren so unbefangen passieren lassen, ein wenig kratzen. Die eigenen Hörgewohnheiten sind manchmal stur, eigensinnig und verstockt. Doch es liegt nicht an den Verbindungen, die wir neu knüpfen, die uns hindern weiter voranzukommen, sondern an den alten Verbindungen, an denen wir uns festklammern. "Diagonal" vom Stockholm Lisboa Project ist ungewöhnlich und unerwartet schön, weil sie mit bekannten Farben neue Bilder malt.
www.stockholmlisboa.com
Karsten Rube


Chango Spasiuk "Pynandí - Los Descalzos"
Label:
World Village/Kapa-Productions; 2008; 15 Tracks; 52:49 min
Chango Spasiuk ist ein gutes Beispiel für die positiven Seiten der Globalisierung. Als Nachfahre ukrainischer Einwanderer wuchs er im Nordosten Argentiniens in der Region Misiones auf, wo die Bevölkerung vorwiegend aus Indios, spanischen Missionaren und osteuropäischen Immigranten besteht. Spasiuk, seit seinem zwölften Lebensjahr mit dem Akkordeon vertraut, verarbeitet auf "Pynard - Los Delcalzos" Melodien und Eindrücke einer Kindheit in der Barfuß gehen (Los Descalzos - Die Barfüßigen) nicht als Synonym für Armut gesehen wird, sondern in der Erinnerung für Unbeschwertheit steht. Das Album besitzt eine angenehme Melancholie, die deutliche osteuropäische Elemente aufweist, aber andererseits auch keinen Zweifel an ihrer lateinamerikanischen Authentizität lässt. Dies zu hören erinnert an den Moment des Wiedererkennens, wenn man in das vertraute Gesicht eines Menschen blickt und man plötzlich die ebenfalls vertrauten Züge dessen Großeltern entdeckt. Ohne Zweifel ist Chango Spasiuks CD "Pynandi - Los Descalzos" ein Album, das man viel und gern hören möchte.
www.changospasiuk.com.ar
Karsten Rube


Martin Steiner "A otro lado de la promeso"
Label:
Brambus Records; 2009; 14 Tracks; 52:53 min
Martin Steiner ist ein Freund des Liedes. Anderer Leute Musik begutachtet und bewertet er. Sei es als Rezensent des führenden gedruckten Fachmagazins für Folk und Weltmusik, dem "Folker" oder auch als Juror der Liederbestenliste. Eher still für sich singt und komponiert der gelernte Dolmetscher mit Hang zur lateinamerikanischen Musik. Doch manchmal muss es ans Licht und an die Ohren. So veröffentlichte Martin Steiner Anfang des Jahres seine CD "Al orto lado de la promeso", eine kleine unaufregende, aber angenehm klimpernde Sammlung mit weitgehend selbsterdachter Liedern, die mal im Americana-Stil, mal im Stil lateinamerikanischer Gitarreros mit Hang zur Betroffenheits- und Gegenwartslyrik musiziert werden. Keine CD, die Bäume entwurzelt oder revolutionäre Tornardos in Gang setzt, aber immerhin einen sanften Hauch von Welt wehen lässt.
www.brambus.com
Karsten Rube


Ramana Vieira "Lágrimas De Rainha"
Label: Pacific Coast; 2009; 12 Tracks; 53:27 min
Irgendwer bezeichnete Ramana Vieira als "The New Voice of Portuguese World Music." Wenn das der Fall ist, dann lob ich mir die alten Stimmen und überlasse diese neue Stimme sich selbst. Ramana Vieira hat zwar portugiesische Wurzeln, wuchs aber in Californien auf. Das allein ist kein Hindernis schön auf seine Herkunft zu achten und diese musikalisch herauszustreichen. Tatsächlich sind die Lieder auf der CD "Lágrimas de Rainha" nicht von Geburt aus schlimm. Die Kompositionen sind immer dann halbwegs stimmig, wenn sie nicht von ihr selbst stammen. Die Arrangements weisen gelegentlich sogar Harmonie auf, sind aber hauptsächlich bräsig und von prüdem Gelalle. Die Backgroundgesänge könnte man noch wohlwollend überhören. Was ein wirklich den Hals schwellen lässt ist die hochgelobte Stimme von Ramana Vieira. Das ist wohl das, was man in Amerikas Westen unter einer europäischen Salonmusikstimme versteht. Ich würde es eher als überkandideltes Kunstgesäusel verstehen. "Hurz" würde Hape Kerkeling singen. Ihre Truckradio kompatible Huldigung an Amália Rodriguez sollte man sich nur anhören müssen, wenn einem Gewalt droht. "My Country Portugal" ist ebenso schmierig, wie anbiedernd. Das geht nicht mal als Soundtrack zum Reiseveranstalter durch. "This is my Fado" ist von dieser CD das letzte, was man hören möchte, bevor einem das Herz versagt. Ramana Vieiras ""Lágrimas de Rainha" ist so ziemlich das schlechteste, was ich an weltmusikalischem Dosenfutter bisher hören musste. Es ist nicht nur schlecht gemacht, sondern auch schlecht gemeint. Wer seinen Hörern Exotik vermitteln möchte, wie das offensichtlich ihr Ansinnen war, sollte nicht lieblos auf Ananas aus der Dose zurückgreifen.
www.ramanavieira.net
Karsten Rube


Diego Jascalevich Trio "Fala Charango"
Label:
Peregrina Music; 2009; 14 Tracks; 60:10 min
Der Name des lateinamerikanischen Zupfinstrumentes Charango ist in Europa lange nicht so bekannt, wie dessen Klang. Bolivien hat es zum Nationalinstrument erklärt, zahlreiche Andenmusiker tragen es mit sich herum, wenn sie in den Straßen der europäischen Touristenmetropolen ABBA-Hits ins Andenformat jodeln. Anders, als die Andengauckler, die sich mit vorgetäuschter Folklore den Lebensunterhalt erbetteln müssen, ist Diego Jascalevich ein Meister dieses Instrumentes. Seit 30 Jahren spielt er dieses ursprünglich aus dem Panzer eines Gürteltiers hergestellte Instrument, dessen Klangfülle sich zwischen dem ätherischen Klimpern einer Harfe und dem zitronengelben Klampfen der Mandoline hin und her bewegt. Jascalevich stammt aus dem Norden Argentiniens. Die musikalischen Einflüsse der Ureinwohner seiner Heimatregion, aber auch die Einflüsse, die durch Jahrhunderte der Kolonisierung die spanische Musik vor allem das spanische Barock mitbrachte beeinflussen ihn maßgeblich. Auf der vorliegenden CD "Fala Charango" jedoch bricht er aus den traditionellen Charango-Repertoire aus und interpretiert die Musik des brasilianischen Nordostens. Die Choro-Musik, erst in den 1950 Jahren wiederentdeckt, gehört zu den schönsten Musikstilen Brasiliens. Ein stetiger Balanceakt zwischen Melancholie und Fröhlichkeit zeichnet diese Musik aus und Jascalevich weiß diese Balance zu halten. In Heitor Villa Lobos "Tren caipira" wirkt zu dem die Flötistin Sandra Bauer mit. Jascalevich Charango bekommt dadurch eine weitere Note hoffnungsvoller Melancholie hinzugefügt. "Fala Charango" ist so ein Album, das eine Stimmung positiver Schwermut vermittelt, der man sich schnell hingibt und der man sich einfach nicht entziehen will.
www.diegojasca.de
Karsten Rube


Der Singende Tresen "Kein Teil von Etwas"
Label:
Raumer Records; 2009; 26 Tracks; 77:39 min
Ich saß in wärmender südlicher Sonne, ein freundliches Getränk in der Hand. Im Ohr krakelte "Der singende Tresen". Ich hörte die CD "Kein Teil von Etwas" ein erstes Mal. Das Getränk begann fade zu schmecken, die traumhafte Landschaft wurde öde. Ich hörte die CD ein zweites Mal und meine Herzdame fragte, was los sei. Ich hatte auf einmal richtig schlechte Laune. Sollte ich die CD ein weiteres mal hören? Lange, nicht enden wollende siebenundsiebzig Minuten? Das musikalische Gemisch aus Weillscher Schieflage, kratzenden Klezmerimprovisationen und Liedermachergeplinker verbunden mit der Lyrik diskutierfreudig, aber zuhörunfähig zurechtgetrunkener Bessermenschen, es wirkte auf mich wie ein Vogonengedicht. Da ist Manja Präkels Stimme - bar jeder weiblichen Note und so drohungsschwanger, wie die einer pensionsnahen Grundschullehrerin. Da ist das punkig unharmonische Gereime und Textaufgesage im Stile einer wertlastigen Veranstaltung vor Aulapublikum. Da deklamieren sie die Botschaften von der geistigen Verwahrlosung des Menschen, der Dämlichkeit des Restverstandes der Wesen, mit denen sie ihre Zeit teilen müssen, die allgegenwärtigen Kränkungen, die Gesellschaft, die sich selbst im Weg steht, das mutwillig Bösartige, das einen lähmt. All dieses fast schon klischeehaft typische hoffnungs- und zukunftsscheue Geheule städtischer Bohemians zwischen alternativem Essen, Projektorientierung und missglücktem Entzug, es bleibt, was es schon immer war, der pure Narzissmus. Bedauerlicherweise verschüttete ich meinen Pastis über dem "Singenden Tresen". Schade ums Getränk.
www.dersingendetresen.de
Karsten Rube


Karen Mal "The Space Between"
Label: Waterbug Records; 2007; 12 Tracks; 42:02 min
Die CD "The Space Between" der Amerikanerin Karen Mal ist seicht und leise. Mit sanfter Stimme trägt die Songwriterin ihre Geschichten vor, sentimentale Erinnerungen an Kindheit, Reflektionen einer vergleichsweise unkomplizierten Gegenwart, sanfte Liebeslieder. Sie beschwört eine wünschenswerte aber häufig unerreichbare Harmlosigkeit des Lebens. Eine Einstellung, die sie liebenswert macht, diese Freundlichkeit, mit der sie ohne Pathos ihre Songs vorträgt. Sie besitzt die Stimme einer Geschichtenerzählerin. Man will ihr einfach zuhören, selbst, wenn es nicht immer spannend ist, was sie erzählt. Aber es ist spannend, wie sie erzählt. In Austin/Texas zu Hause tritt sie seit Beginn des Jahrzehnts auf den Folkfestivals der Region auf. Sie gewann ein paar Folkpreise und ließ sich mit Gitarre und Mandoline selbst in Amerikas Bluegrass-Zentrum, in Nashville feiern. "The Space Between" ist die dritte Solo-CD von Karen Mal. Die charmante 40-jährige singt übrigens nicht nur gut, sondern sieht auch auf sympathische Weise gut aus. Sie war übrigens das einzige ansehliche Model im "Naked Folk Calender 2007", in dem sich Jahr für Jahr zottlige nur mit einem Banjo, einem Akkordeon oder einer Gitarre bekleidete Folkmusikerfür einen guten Zweck ablichten lassen.
www.karenmal.com
Karsten Rube


I Musicanti di Gregori Caimi  "...assuma assuma..."
Label: RRRCD; 2005; 10 Tracks; 36:07 min
Die Musikanten um Gregori Caimi spielen seit 2002 zusammen. "...assumma, assumma..." ist bereits das dritte Album der sizilianischen Kapelle. Aus traditionellen Musiken, Poparrangements, Jazzanklängen und tanzbarem Italoschlager formen sie ein unterhaltsames halbes Stündchen, das nach modernem Sizilien klingt. Dabei experimentieren sie mit einer Vielzahl unterschiedlichster Instrumente herum, die sie hervorragend beherrschen. Ihre größeren Momente hat die CD für mich, wenn Debora Messina mit ihrer leicht heiseren Stimme eine getragene Melodie ergänzt. Passt wunderbar in den Sommer und auf jedes Folkfest.
www.imusicanti.com
Karsten Rube


Ulas Hazar "Virtuoso"
Label:
Acoustic Music Records; 2009; 10 Tracks; 26:44 min
Treffender konnte es Ulas Hazar nicht bezeichnen, sein kurzes, aber verblüffendes Album "Virtuoso". Der in der Osttürkei aufgewachsene Ulas Hazar spielt die Saz, ein in der traditionellen türkischen Musik recht bedeutendes Instrument. Doch Hazar schreitet weit hinaus und beschränkt sich nicht auf das herunter Spielen von Volksgut. Beeinflusst von der Flamencokunst eines Paco de Lucia spielt er sein kompliziertes Saiteninstrument mit der virtuosen Leichtigkeit eines Paganini. Der Vergelich zwingt sich auf, wenn man ihn beim Spiel beobachtet. Nicht von ungefähr hat Hazar das "Caprice 16" von Nicola Paganini von der Violine auf die Saz übertragen und spielt es mit einer Geschwindigkeit, die atemberaubend ist. Ulas Hazar kümmert sich nicht um Genregrenzen. Dadurch entzieht sich dieses Album auch jedem Einsortierungsversuch. Der Flamenco steht bei ihm neben dem Jazz, die Klassik gleichberechtigt neben türkischer Tradition. Hervorragend ist sein musikalisches Duell mit dem Flamencogitarristen Rafael Cortes, witzig die Interpretation von Mozarts "Alla Turca". Brillant sein Umgang mit der Chick Corea Komposition "Spain". Ein durchweg imposantes einzigartiges Album. Der einzige Vergleich findet sich noch in seinem großen Vorbild Paco de Lucia. Ulas Hazar "Virtuoso" besitzt nur einen Mangel. Es ist mit knappen 27 Minuten viel zu kurz.
www.ulashazar.com
Karsten Rube


Bojitos "Dance off your shoes"
Label:
burnrecords; 2009; 14 Tracks; 61:53 min
Ein junge hoffnungsfrohe Kapelle mit der Vorliebe für Ska und Reggae veröffentlichte jüngst ihr erstes Album. Bojitos heißen die Jungs aus Dachau und sie grooven richtig gut los. Guter Reggae kommt ja nun schon seit längerem aus Deutschland, doch wenn bisher die Nordländer und Berlin ihre Bands ins Rennen schickten, so können sich Culcha Candela oder die Ohrboten mal langsam was Warmes anziehen, denn Bojitos schicken frischen Wind aus dem Süden herauf. Publikumslieblinge sind die Bojitos im Süden bereits. Und so wie sich die CD "Dance off your shoes" anhört, kann man in der nächsten Zeit einiges an tanzbaren Ohrwürmern von den Jungs erwarten.
www.bojitos.com
Karsten Rube


Old Jerusalem "Two Birds Blessing"
Label:
Rastilho Records; 11 Tracks; 55:15 min; 2009
Unter dem Namen Old Jerusalem veröffentlicht eine Gruppe portugiesischer Folkmusicenthusiasten seit 2001 mehrere Platten, die nun gar nicht nach Portugal klingen, sondern nach leicht angekifften Folk der Neunziger. Old Jerusalem legt nun 2009 ein weiteres Album vor. “Two Birds Blessing” heißt es und es ist ein solides Folkalbum geworden, das nicht über die Grenzen bekannter Klangmuster hinausschreitet, sondern brauchbaren Durchschnittsfolk liefert, wie er aus zahlreichen amerikanischen Folkradiostationen tropft. Das ist gediegener Ohrenschmalz, der angenehm romantisch säuselt. “Two Birds Blessing” ist eine CD, die die letzten Stunden vor dem Sonnenaufgang dämmrig begleitet. Zu schön, um einzuschlafen, zu beliebig, um richtig wach zu bleiben.
www.myspace.com/oldj
Karsten Rube


Georg Breinschmid & Friends "Wien bleibt Krk"
Label:
Zappel Music; ZM0009; 2008; Spielzeit: 74:50
Die CD beginnt konventionell, man denkt, es geht weiter mit: „Herr Nachbar, Herr Nachbar, was macht denn ihre Frau?“ (der offizielle Titel des Stückes ist wohl „Wien bleibt Wien“). Aber sofort wechselt die Musik von Dur nach Moll und in einen krummen 7/16-Takt mit einer allerdings schönen chromatischen Grundmelodie. Das Akkordeon spielt in der bulgarischen Spielweise mit Sechzehntel-Trillern. Plötzlich erklingt doch noch „Herr Nachbar“, aber in Moll und im Hintergrund.
Der Anfang der „Stammersdorfer Ausdruckstänze“ (ein wunderschöner Walzer mit zwei schmalzigen Geigen) versetzt einen in eines der Heurigen-Lokale in Stammersdorf, einem beschaulichen Vorort von Wien mit kleinen bunten Häuschen und dahinter liegenden Weingärten. Warum aber plötzliche unangenehme Geräusche auf der Geige eine Hommage an irgendjemanden sein sollen, ist mir nicht klar. Es klingt eher wie Frust.
Es folgt ein schneller Walzer im Stil eines Tango-Vals, zweistimmiger Gesang in typischem Wiener Klang mit Phantasiesprache im Wiener Dialekt, ein wohl bewusst in schlechtem Englisch gesungenes Lied mit Jazztrompete, ein die russische Weite ausdrückendes melancholisches Akkordeonstück über Mussorgsky, ein weiteres Balkanstück und weitere Lieder.
Es handelt sich fast durchgehend um Eigenkompositionen, und da der Komponist selbst von sich sagt, dass er „schräge“ Töne mag, ist die CD sehr experimentierfreudig und eher etwas für Leute, die gerne mal etwas Neues ausprobieren wollen.
www.georgbreinschmid.com
Christian Zastrow


nu "3"
Label: Eigenverlag; 2008
„nu“ ist im Jiddischen ein kleines Wort mit einer Vielzahl an Bedeutungen. Unter anderem bezeichnet es eine Klezmerband aus Bonn und Berlin. „nu“ heißt auch (wie ihre Vorgänger „nu“ und „nu 2“) die mittlerweile dritte CD des Duos (an der Seite der CD steht der vollständige Titel „nu 3“). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass man das Wort „nu“ von oben und von unten lesen kann. Auch das Booklet ist von beiden Seiten aus zu lesen (eine Richtung deutsch und eine englisch).
Die CD präsentiert eine Mischung aus jiddischen Liedern und Instrumentalstücken, die live im Konzert aufgenommen wurden. In den weitgehend unbekannten Liedern geht es um Einsamkeit, Verfolgung, Hoffnung und Vergänglichkeit. Gesungen werden sie auf sehr einfühlsame Weise hauptsächlich von „Herrn Brinkmann“ (Georg Brinkmann). Er spielt auch die Klarinette und verbindet dabei Virtuosität mit einem angenehm weichen Klang.
Bei den Instrumentalstücken ist der Stil der jiddischen Tanzrhythmen wie Sirba, Freylekhs, Hanga, Hora, Khusidl usw. sehr gut getroffen. Dies liegt sicher nicht zuletzt an der Akkordeon-Begleitung durch „Frau Lampe“ (Franka Lampa), die in der Klezmermusik kein unbeschriebenes Blatt ist. Sie begann ihre musikalische Karriere 1989 mit Balkanmusik, wurde dann 1993 Schülerin von Alan Bern („Brave Old World“) und ist u. a. bekannt von der Band „Klezmers Techter“.
Dass die Musiker sich intensiv mit dem Thema „Klezmermusik“ auseinandergesetzt haben, zeigt auch die sehr empfehlenswerte Einführung auf ihrer Internetseite
www.nu-klezmer.de, die sich besonders mit der Bedeutung der Klezmermusik in Deutschland heute beschäftigt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Band auch Tanzworkshops veranstaltet. Sie sind gut aufeinander eingespielt, durch kleine Verzögerungen und Beschleunigungen entsteht Energie. Am Ende der Sirba (Nr. 18) ein kleiner musikalischer Scherz und ein nachdenkliches Ende (Nr. 20). Insgesamt eine gelungene Mischung aus Liedern, ruhigen und lebhafteren Stücken.
www.nu-klezmer.de
Christian Zastrow


Di Naye Kapelye "Traktorist"
Label:
Oriente; RIEN CD 69; 2008
Ein interessantes Thema, das sich die Gruppe vorgenommen hat: ein Liebeslied an die Arbeit und den Traktor in den Mittelpunkt einer CD zu stellen. Dabei herausgekommen ist eine abwechslungsreiche Sammlung an vergessenen, unvergessenen und neuen Stücken mit exotischen Instrumenten wie die etwas blechern klingende „Strohgeige“ (eine Geige, die anstelle eines Resonanzkörpers mit einem Schalltrichter versehen ist, benannt nach ihrem Erfinder Johannes Matthias Augustus Stroh, der sie 1899 in London entwickelte, und die in der rumänischen Volksmusik gebräuchlich ist). Entsprechend mutet die Musik manchmal etwas arachaisch an.
Die CD beginnt kraftvoll mit Beckentrommel, es folgen ruhigere Lieder mit Cimbalom und Geige. Am besten gefällt mir das chassidische Lehrgedicht (Musar), gesungen im Wechsel vom Gastmusiker Michael Alpert und dem damals dreizehnjährigen Sohn des Sängers und Geigers der Band mit einem eingängigen typisch chassidischen Refrain. Das Beiheft enthält schöne (zum Teil zweiseitige) Fotos der Band.
www.dinayekapelye.com
Christian Zastrow


Helmut Eisel & JEM "Clarinet Colours"
Label: Neuklang; NCD4030; 2008
Bei „Helmut Eisel & JEM“ handelt es sich um ein Trio aus Klarinette, Gitarre und Kontrabass, das seit 1989 „innovative konzertante Klezmermusik“ spielt. Etwas konkreter ist unten auf der CD-Titelseite von „Jazz & Klezmer“ die Rede. Das beschreibt den Inhalt der CD recht gut. Die Klarinette hat einen sehr weichen Klang, spielt mal kurze Töne (staccato), mal lange Töne (legato) – mit dem bekannten Seufzen und Lachen. Zwischendurch gibt es auch mal längere Passagen, wo ausprobiert wird, was das Instrument noch an merkwürdigen Tönen hervorbringen kann. Die kunstvolle Gitarrenbegleitung hat stellenweise Verwandschaft zum Flamenco, auch der Bass erhält ein Solo, und sogar Jazzgesang wird eingesetzt.
Auf dem Album verarbeiten Helmut Eisel und seine Bandkollegen ihre Beziehungen und Erlebnisse aus Konzerten, Workshops und Tourneen. Man findet wenig bekannte Melodien und Rhythmen der Klezmermusik (obwohl Begriffe „Freilach“ und Nigun“ verwendet werden), dafür aber häufig Phrasen in der typischen Klezmer-Tonart („freygish“). Es handelt sich eben nicht um die x-te Einspielung der üblichen Klezmer-Standards, sondern um die Wiedergabe persönlicher Erlebnisse in einer teilweise auch sehr persönlichen Ausdrucksform. Insgesamt eine ruhige und besinnliche CD.
www.helmut-eisel.de
Christian Zastrow


Titlá "Laasn"
Label: Eigenverlag; 2008
Nach Betrachtung des Bandfotos auf dem Booklet halte ich Titlá für eine Band aus Norwegen und „Laasn“ für ein norwegisches Wort – hmmm, muss wohl an der Mütze liegen. Aber das Booklet klärt mich (kleingedruckt auf der vorletzten Seite)auf: „Laasn (puschtrarisch): Spuren, Rillen (Spurrillen)“.
Langsam beginne ich nun auch, das Design der CD zu verstehen. Aber was ist „Puschtrarisch“? Und Lieder „in Vintschger Mundart“? Hier stoßen meine Kenntnisse in Geographie (und Mundarten) wieder an ihre Grenzen. Da in dem CD-Beiheft öfters der (mir noch gerade vertraute) geographische Begriff „Tirol“ auftaucht, beschließe ich, jemanden zu fragen, der aus dem österreichischen Tirol stammt. Der verweist mich wiederum auf Südtirol. Die (gedruckten) Texte waren für ihn gerade noch verständlich – was sollen wir Norddeutschen sagen? Zum Glück wissen wir bereits, was das letzte Lied „Dass e mai Liebschta pisch“ bedeutet …
Allerdings ist Musik eine Sprache, die auch ohne Worte verständlich ist, und so erschließt sich der Inhalt der CD ganz von selbst. Es sind viele traditionelle Stücke aus Tirol, einige aus der eigenen Feder, und einige aus der großen weiten Welt – sogar aus Norddeutschland (s. o.), und auch eine schöne belgische Mazurka ist dabei. Viele schöne Melodien und kritische Texte – weit weg von der Oberflächlichkeit der Volksmusik aus dem Fernsehen. Selbst die Terzen wirken nicht trivial, sondern eher melancholisch.
Dieser Klang hat auch damit zu tun, dass oft die ruhigeren Instrumente (Geige und Flöte) die Führung haben. Bei einigen Stücken wird auch ein Dudelsack als Hauptinstrument eingesetzt. Als Begleitung findet man oft Akkordeon und Gitarre, als Bassinstrument Kontrabass oder Tuba. Alpenmusik von der feinen Sorte – manchmal nachdenklich und immer angenehm zu hören.
www.titla.net
Christian Zastrow


La Talvera "Per plan las dançar (vol. 1)"
Label: Cordae/La Talvera; 2009
Okzitanische Tänze aus den Regionen Albigeois, Quercy und Rouergue – das macht mich neugierig, zumindest punktuell meine schlechten Geographiekenntnisse zu verbessern. Dabei stellt sich heraus, dass „Okzitanien“ eine Landschaft im Südwesten Frankreichs ist, die nach der dort gesprochenen Sprache „Okzitanisch“ (langue d'oc) benannt ist. Hierbei handelt es sich um eine romanische Sprache, die außer im südlichen Drittel Frankreichs auch noch in Randgebieten Italiens (piemontesische Alpen) und im spanischen Katalonien gesprochen wird. Der Name ist abgeleitet von „òc“, dem okzitanischen Wort für „ja“, in Abgrenzung vom altfranzösischen Wort „oïl“ für „ja“, welches weiter nördlich verwendet wurde und im Mittel- und Neufranzösischen zu „oui“ wurde.
Die Sprachauswahl zwischen Okzitanisch und Französisch wird sicher den meisten hierzulande nicht weiterhelfen. Aber es ist interessant, mal okzitanisch gesprochen zu hören – Gemeinsamkeiten zu anderen romanischen Sprachen sind durchaus zu erkennen. Schließlich entscheide ich mich dann aber doch für das konventionellere Französisch. Wahrscheinich würde bei einer Übersetzung in das Englische oder Deutsche das ganze Flair verlorengehen, zumal es sich offensichtlich nicht um eine Synchronisation handelt, sondern beide Texte mit den Originalsprechern aufgenommen wurden. Aber vielleicht könnte man noch englische Untertitel hinzufügen, oder jemand schreibt für den deutschen Markt eine Übersetzung, die als „Beipackzettel“ beigefügt wird …
Die Tanzerklärungen sind allerdings auch ohne Worte zu verstehen, da (nach einer kurzen Einführung in den jeweiligen Tanz) alles vorgeführt wird: zunächst die Schritte und Figuren einzeln vor dunklem Hintergrund, so dass man die Bewegungen gut erkennen kann, und dann im Zusammenhang getanzt von einer Gruppe im Ambiente eines Innenhofes (wahrscheinlich im Rahmen eines Tanz-Workshops) oder Konzertes. Allerdings ist die Synchronisierung manchmal nicht ganz genau, was beim Lernen zunächst etwas verwirrend sein kann. Aus dem Zusammenhang wird die richtige Betonung jedoch schnell klar. Alle Tänze werden mit Begeisterung lebendig zu Live-Musik getanzt, dazwischen werden kurz einige stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen eingeblendet. Die Begeisterung überträgt sich.
Während Tänze z. B. aus der Bretagne bei uns schon sehr verbreitet sind und es viele Spezialisten auf dem Gebiet gibt, bietet diese DVD eine gute Möglichkeit, Tänze aus einer weniger bekannten Tanzregion des heutigen Frankreichs kennenzulernen (vielleicht auch eine gute Idee für einen Wochenendlehrgang der LAG Tanz?) Die Tänze verdienen es jedenfalls allemal, getanzt zu werden (z. B. die Damenhebung bei „Lo filoset“). Zum Nachtanzen könnte man noch eine CD mit den reinen Musikeinspielungen beifügen. Warum der Branle allerdings wieder einen anderen Grundschritt hat als Thoinot Arbeau 1588 (für Nordfrankreich?) beschreibt, muss mir mal ein Tanzhistoriker erklären.
www.talvera.org
Christian Zastrow


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2009

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