„Bunte Republik Deutschland“ – Länderschwerpunkt Deutschland. Ein Länderschwerpunkt Deutschland kann zu Kopfzerbrechen oder großer Gelassenheit führen. Denn recht machen kann man es sowieso niemandem. Die Anzahl der Bewerbungen jedenfalls hätte für mindestens zehn Festivals gereicht - ohne die Künstler, die aus Zeit - oder Finanzgründen nicht in Frage kamen.
Wir fühlten also keinen Zwang, dieses oder jenes machen zu müssen. Stattdessen eine große Freiheit, ein Mosaik zusammenzusetzen. Das ist nicht vollständig und nicht repräsentativ, es beinhaltet nicht alle möglichen Aspekte von Musik in Deutschland – und beantwortet schon gar nicht die Frage „Was ist deutsche Musik?“. Aber es wirft Schlaglichter auf einiges von dem, was bei uns in dem Musiksektor passiert, in dem sich das Rudolstadt-Festival zuhause fühlt. „Graue deutsch Mäuse, die haben wir schon genug“, hatte Udo Lindenberg in seinem Song Bunte Republik Deutschland gesungen. Graue Mäuse sind in Rudolstadt 2024 auch nicht zu erleben, dafür Musiker am Anfang ihrer Karriere und alte Heroen, regional verwurzelte Künstler, und solche mit migrantischem Hintergrund. Es gibt gestandene und bereits bekannte Gesichter, einen aktuell einzigartigen Oldie-Chor und sein Gegenstück, das neu gegründete Jugendfolkorchester, das auf dem Festival seine Premiere erleben wird.
Das Orchesterprojekt "Ein schöner Land" will die Kluft zwischen Volks- und sogenannter Kunstmusik überbrücken. Und dass Kurt Schwitters‘ Dada-Klassiker Die Ursonate erklingt, liegt daran, dass die Idee, in der Kunst den Unsinn der Welt abzubilden, heute so aktuell ist wie vor einhundert Jahren. Und es liegt auch daran, dass es im Festivalteam ein großes Faible für diese Art von Kunst gibt.
Das gilt auch für ganz alte Traditionen, denen wir nachspüren, wie das Finkenmanöver im Harz. Wir blicken bei diesem Festival in erstaunliche Parallelwelten: Die Welten von Wandervogel und Jugendbewegung bringen wir mit einer Ausstellung, einem Vortrag und der Gruppe Schwarzzelt-Folk zusammen. Unser Symposium Sketches/Skizzen aus Deutschland bietet vielen dieser Spannungsfelder ein Podium, um darüber zu sprechen. Für das von uns zusammengestellte Paket möchten wir unserem Publikum zurufen: Expect the unexpectet, erwartet das Unerwartete.
Bukahara (DEU). Wenn Bukahara mit ihrer Mischung aus Balkansound, Folk, Pop, Swing und arabischen Einflüssen loslegen, herrscht schnell Partystimmung. Kennengelernt haben sich die vier Bandmitglieder während ihres Jazz-Studiums in Köln. Als 2009 der syrisch-palästinensische Perkussionist Ahmed Eid nach einem Klassikstudium in Lübeck an den Rhein kam, war das gleichzeitig der Beginn von Bukahara. Der Sänger und Gitarrist Soufian Zoghlami hat tunesische Wurzeln und schreibt die meisten Songs für die Band. Aus der Schweiz kommt der virtuose Geiger Daniel Avi Schneider. Phänomenales Blech spielt der aus Münster stammende Jazzposaunist Max von Einem. Da die Band ständig dabei ist, ihren Sound und Ausdruck zu erweitern, stehen auf der Bühne noch einige andere Instrumente. Diese Band hat Spaß!
JAMS (DEU). JAMS ist eine der international erfolgreichsten deutschen Folkbands, mit einer mittlerweile langen Geschichte. Gegründet 1980 von Jo Meyer (Dudelsack, Drehleier, Akkordeon), Michael Zimmermann (Kontrabass) und Andy Wieczorek (letzterer bekannt auch von Gundermann & Seilschaft). In der „Folkschmiede“ Berlin/ Friedrichshain war JAMS eine der wichtigsten Ostfolkbands und nach der Wende eine der wichtigsten Ost-West-Folkbands. Es gab zahlreiche Tourneen durch Europa und die USA. Anfangs waren JAMS in vielen internationalen Folk-Stilrichtungen unterwegs, mittlerweile bestimmen niederdeutsche Texte und Lieder ihr Repertoire, auch wenn sie weiterhin unterschiedlichste Einflüsse in ihrer Musik verarbeiten. Damals wie heute spielen sie auch zum Tanz auf, mit eigenständiger, unorthodoxer Musik für Kopf, Bauch und Füße. JAMS ist eine lebendige Folk-Familie, und auch nach längeren Pausen findet diese starke Band immer wieder zueinander - und zu ihrem Publikum.
Tworna (DEU). „Deutscher Folk aufregend neu gedacht und virtuos gespielt“, so lobt der MDR die sächsische Band Tworna. TWORNA ist der slawische Name des Dorfes Quohren in dem Caterina Other und Frieder Zimmermann leben und das Trio gegründet haben. Der Name Tworna beruft sich auf Dvorane, die Göttin der Schaffenden. Durch experimentierfreudige Arrangements spannt Tworna einen Bogen von traditionellem Liedgut des 13. bis 19. Jahrhunderts hin zu zeitgenössischer Pop- und Weltmusik. Für das Debütalbum „Tworna“ erhielt das Trio im März 2021 den Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik: „Deutscher Folk zwischen Pop und Weltmusik wird hier gespielt von einem luftigen, fein interagierenden Trio. Tworna bringt alte deutsche Volks- und Tanzlieder erhaben und clever ins Hier und Heute.“ heißt es in der Begründung der Jury.
La Kejoca (DEU).Spätestens seit seinem Freiheits-Album „Libertad“ ist das Trio La Kejoca eines der Aushängeschilder guter, handgemachter Folkmusik in Deutschland. „Libertad“ (2022) wurde sogar mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. In der Jury-Begründung von Mike Kamp heißt es: „Die drei sind nämlich nicht nur begnadete Multi-Instrumentalisten, sondern auch sehr gute Vokalisten. Überdies gehen sie zurück auf ihre unterschiedlichen Wurzeln, in Bolivien, Portugal und Friesland. Intelligent, mutig, überzeugend.“ Ke – Keno Brandt, Jo – Jonas Rölleke & Ca – Carmen Bangert kennen sich seit dem Studium an der Robert-Schumann-Hochschule für Musik in Düsseldorf und formten 2016 La Kejoca. Das Trio überrascht mit jedem Stück und betört mit dreistimmigem a-cappella Gesang, der mit Gitarre, Bass, Geige, Whistle, Irish Bouzouki und Bodhràn verwoben wird. Traditionelle, oft politische, Texte verschmelzen mit eigenen, neuen Melodien. In Rudolstadt werden sie von Rolf Wagels (Bodhran) und Jörg Fröse (Multiinstrumentalist) unterstützt.
Jugendfolkorchester. Mit Dudelsäcken, Gitarren, Geigen, Akkordeons und vielem mehr bringen jetzt erstmals 40 junge Musikerinnen und Musiker zwischen 12 und 25 Jahren aus ganz Deutschland einen gewaltigen Sound auf die Bühne. Das neu gegründete Jugendfolkorchester spielt unter der Leitung von Gudrun Walther, Sabrina Palm, Jürgen Treyz und Alex Froitzheim ein Programm, das über mitreißende Tanzmelodien aus Franken bis hin zu Auswandererliedern aus der Eifel des 19. Jahrhunderts reicht. Nach einer langen Vorbereitungsphase inklusive Probencamp ist die Zeit auf dem Rudolstadt-Festival endlich reif für die Premiere mit gleich zwei Konzerten.
RUTH 2024
„Es ist ein erstaunliches und unverdientes Geschenk, dass nach den Taten der Nationalsozialisten jüdisches Leben in Deutschland wieder möglich wurde. Und bis heute ist es auch eine Gnade, dass so viele der Holocaust-Überlebenden die Kraft fanden, über die Gräuel in den Konzentrationslagern zu berichten. Gedichte und Musik heben diese Erzählungen nochmals auf eine neue Ebene, verleihen den in den Texten wiedergegebenen Erfahrungen und Traumata eine zutiefst bewegende und oft aufwühlende Emotionalität. Dabei ist es das Verdienst dieses Projekts, dass es diesen Erinnerungen und Gedichten Leben einhaucht und die darin enthaltenen Botschaften an nachkommende Generationen weiterzugeben vermag. Dies ist umso wichtiger, da in Deutschland die Geister der Vergangenheit aus der Gruft aufsteigen und sich erneut ein Antisemitismus breit zu machen beginnt. Silent Tears ist Mahnung und Hoffnung zugleich und ein beeindruckendes Zeugnis jüdischer Kultur sowie deutscher Vergangenheit und Schuld.“ (Bernhard Hanneken, Künstlerischer Leiter)
Silent Tears: Last Yiddish Tango Frauen aus Osteuropa, die den Holocaust überlebten, haben das jahrzehntelange Schweigen gebrochen. Auf dem Album "Silent Tears: The Last Yiddish Tango" erzählen sie ihre Geschichten. Sie sprechen von Folter, Verlust von Kindern und sexuellem Missbrauch. Es sind ergreifende, vertonte Gedichte, die Einblick in ihr Inneres gewähren. Gewählt haben sie dafür den Tango. In Polen entwickelte sich im Tango vor dem Zweiten Weltkrieg eine eigene Stilrichtung mit Elementen aus Klezmer- und Roma-Musik. Eingespielt wurde die Musik von dem kanadischen Kammerorchester Payadora Tango Ensemble. „Silent Tears ist Mahnung und Hoffnung zugleich und ein beeindruckendes Zeugnis jüdischer Kultur sowie deutscher Vergangenheit und Schuld.“ (Bernhard Hanneken, Künstlerischer Leiter)
Konzerte ...
Divanhana (BIH).Die Gruppe „Divanhana“ aus Bosnien gehört zu einer jungen Generation von Musikern, die sich der Jahrhunderte alten Sevdah-Musik mit frischen, neuen Sounds widmen. Diese alten, städtischen Volkslieder Bosniens, mit ihrer melancholisch-sehnsuchtsvollen Aura und durchsetzt mit musikalischen Einflüssen von Sinti und Roma, Türken und sephardischen Juden, werden noch heute in Bosnien, aber auch in anderen Regionen des Balkans gesungen. Sevdah sind Liebeslieder, in denen es auch um die Liebe zu einer Region, einer Landschaft oder Stadt geht. Abseits von Balkan Brass und Balkan Pop hat sich vor allem in Sarajevo eine prosperierende Folkszene etabliert, zu der auch die 2009 gegründete Gruppe Divanhana gehört. Sie beschreiben ihre Musik selbst als „eine fantasievolle Melange aus Jazz, Folk, moderner Klassik und Pop“.
Emilia Lajunen & Eero Grundström (FIN). „Ich kann tolle Grooves und prächtige Geigen- und Nyckelharpa-Musik versprechen“, schrieb die finnische Geigerin Emilia Lajunen in einer Einladung zu einem Konzert mit Eero Grundström bei Folkelarm in Oslo 2023. Sie hat nicht nur dort ihr Versprechen gehalten. In ihrer Musik verbindet sie die alte finnische Geigenkunst mit ihrem eigenen, unverwechselbaren Spiel. Weitere Akzente ergeben sich aus der engen Zusammenarbeit mit dem elektronischen Sound-Tüftler Eero Grundström. Mit ihm kommt die Finnin jetzt nach Rudolstadt. Für das Freitagskonzert sind sie sogar zu Dritt, mit Emilias zweiter Duopartnerin, der Geigerin Suvi Oksala.
Eric Bibb (USA). US-amerikanischer Edelblues mit Understatement: Der gebürtige New Yorker ist mit der Musik von Pete Seeger und Bob Dylan aufgewachsen, die nämlich Musikerfreunde seines Vaters waren. Im Alter von sieben Jahren begann Eric Bibb Folkgitarre zu spielen. Er lernte Klavier, Kontrabass, Gesang, aber sein Haupt- und Lieblingsinstrument blieb die Gitarre, und sein Fingerpicking ist grandios. Der heute 72jährige, der seit Jahrzehnten in Schweden lebt, entwickelte einen Musikstil aus Blues, Folk und Gospel. Oft komponiert er auch im Auftrag anderer. Seinem Taufpaten, dem Künstler und Bürgerrechtler Paul Robeson, widmete Eric im Jahr 2006, zusammen mit seinem Vater, Leon Bibb, das Album Praising Peace – A Tribute To Paul Robeson.
Iva Bittová (CZE). Iva Bittová ist ein Superchamäleon. Aus ihren tschechoslowakischen, ungarischen und Roma-Wurzeln hat die mährische Sängerin, Violinistin, Komponistin und Filmschauspielerin Musik geschaffen, die Jazz, Rock, Folk, Roma, Klassik und Avantgarde umfasst. Nach Rudolstadt kommt sie mit zwei verschiedenen Programmen. Mit ihrem Sohn Antonín Fajt spielt sie eigene Kompositionen, die von der Musik Mährens beeinflusst sind: Eine Reise von Mutter und Sohn in einen abstrakten musikalischen Raum, der mit Natur, Schweigen sowie dem Publikum verbunden ist. Beim zweiten Konzert tritt Iva mit dem slowakischen Mucha-Quartett auf, das 2003 in Bratislava gegründet wurde. Im Mittelpunkt steht dann der Komponist Leoš Janáček, der am 3. Juli seinen 170. Geburtstag gefeiert hätte. Sein Zyklus „Mährische Volkspoesie in Liedern“ wird durch einige der Slowakischen Lieder von Béla Bartók ergänzt.
Tautumeitas (LAT). 1997 gab es durch die Gruppe Grodi erstmals lettische Musik in Rudolstadt. Sängerin war Aida Rancāne. Aidas Töchter führen nun die Familientradition fort und kommen mit ihrem Ensemble Tautumeitas zum Festival. Tautumeitas bedeutet so viel wie „Frauen in Nationaltracht“ - doch Vorsicht! Seit ihrer Gründung im Jahr 2015 hat die sechsköpfige Ethno-Pop-Gruppe aus Lettland nicht nur die baltische Volksmusik-Szene erschüttert. In der lettischen Tradition verankert, überschreiten sie mit ihrem kraftvollen, zeitgenössischen Klang musikalische Grenzen. Optisch fesselnd vermischen sie alte Lieder mit modernen Beats und geben der lettischen Musiktradition neue Impulse. Frisch. Weiblich. Aufregend.
Yagody (UKR). Yagody bedeutet auf Ukrainisch „Beeren“. Gegründet im Jahr 2016 in der Stadt Lwiw in Westukraine, ist es bei dem spontan entstandenen Namen geblieben. Yagody ist aus dem Theater heraus entstanden: Zoriana Dybovska versammelte drei gleichgesinnte Frauen, um traditionelle Lieder aus ihrer Heimat und der Region zu singen. Ihre Songs sind wie Liebesbriefe, die noch nicht angekommen sind. Und ihre Bühnenshow hat eine Visualität, die ihre Wurzeln im Theater widerspiegelt. „Die Ukraine ist ein singendes Land“, sagt Zoriana Dybovska. Für jede Situation im Leben gebe es ein Lied. Die meisten der Lieder klingen melancholisch und getragen, doch bei Yagody sind sie absolut tanzbar.
Photo Credits:
(1) Rudolstadt Festival,
(2) JAMS,
(3) Bukahara,
(4) La Kejoca,
(5) Tworna,
(6) Payadora
(7) Divanhana,
(8) Yagody
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