FolkWorld Ausgabe 41 03/2010
Label:
Eigenverlag; 14 Tracks; 44:07 min; 2009
Die Versuche das Grauen von Einst zu schildern und die Erinnerung wach zu halten, um den
später geborenen Generationen die Verantwortung zu vermitteln, die sie hat, eine
Wiederholung zu verhindern, reißen aber glücklicherweise nicht ab. Der Faschismus war
ungeheuerlich. Das bleibt ein Fakt, auch für uns, die wir ihn nicht erleben mussten. Punkt.
Carl Nelkin, irischer Kantor der jüdischen Gemeinde Dublins hat mit seiner zweiten
Sammlung jüdischer Lieder sein Augenmerk auf die Verfolgung und den Widerstand der
Juden in Osteuropa gelegt. "The little trees are weeping" legt Lieder neu auf, die vor allem in
den Ghettos in Polen und den baltischen Ländern der damaligen Sowjetunion gesungen und
gespielt wurden. Lieder, die Hoffnung ausdrücken angesichts des täglichen Grauens und der
Angst vor der nächsten Razzia oder dem Abtransport in die Lager. Schlaflieder,
Hochzeitslieder, Lieder der Partisanen folgen einander und zeigen die Sehnsucht nach einem
normalen Leben in der Unmöglichkeit.
Die Musik ist dabei weniger schwermütig, als man zunächst annehmen möchte, wenn man
die CD in der Hand hält. Weiße Wolken an einem blauen Himmel, der hinter Stacheldraht zu
sehen ist. Ein weiße Taube mit einem gelben Judenstern im Schnabel. So das Cover.
Die weiche Stimme Nelkins zwingt zum Zuhören und die Lieder bleiben nicht auf dem Weg
zum Kopf im intellektuellen Viertel stecken, sondern wandern weiter hinab bis ins Herz.
Das unterscheidet die CD von den "Niemals Vergessen-Agitations- CD's" manch
gutmeinender Bedenkenträger.
Bedauerlicherweise bleibt solche Musik nur kleinen Hörergruppen vorbehalten, die ohnehin
bereit sind, sich dem Thema Holocaust, Widerstand und Faschismus auf eine Weise zu
öffnen, die nicht ausschließlich in mit Hollywoodbeaus besetzen Kinofilmen stattfindet.
www.irishjewishmusic.com
Karsten Rube
Label:
ARC Music;
17 Tracks; 65:29 min; 2009
www.arcmusic.co.uk
Karsten Rube
Label:
Eigenverlag; 14 Tracks; 41:01 min; 2007
Wenn nicht gerade hörspielhafte Geräuschkulissen als Intermezzo die Songs pausieren
lässt, dann bekommt man ein paar kleine Geschichten erzählt, die stilistisch an die
einfacheren Momente von Ben Folds erinnern, wie "Fools Gold" und "The River Where She
Sleeps". Eine CD, die einem am Ende etwas verstört zurück lässt. Denn zwischen
Countrysongs, kleinen Barpiano-Balladen und Geräuscheschnipseln ist es am Ende
unmöglich herauszuhören, was Adam Hill mit seiner CD eigentlich bezweckt.
www.misteradamhill.com
Karsten Rube
Label:
GECO Tonwaren; 14 Tracks 55:32 min; 2006
Die Wiener Blaskapelle Mnozilbrass lässt sich stilistisch nur bei der Wahl ihrer Instrumente
festlegen. Ansonsten kennen sie keine Musik, die sich nicht auch mit sieben
Blasinstrumenten spielen ließe.
"What are you doing for the rest of your life" ist nur eine von einem guten halben Duzend
CD's der Freunde wohl tönenden Blechs auf denen sie munter alte Volkslieder mit Jazz und
Klassik vermengen oder mal den Rummelplatz mit einer Samba vertauschen. Selbst tot
geglaubten schmachtenden Popsongs blasen sie neues Leben ein, wie sie mit Carol Kings
"You've got a friend" beweisen, Selbst wenn sie zuweilen gar zu schräg tröten finden sich in
der temporären Kakophonie gewitzte Arrangements, musikalische Seitensprünge und Zitate,
die erkennen lassen, was für brillante Musiker sich zu dieser Bläserbande zusammengerauft
haben.
Beim Rap würde man in diesem Zusammenhang von einem ziemlich fetten Sound sprechen.
Diese Formulierung kann man für Mnozil Brass recht unbefangen übernehmen. Fetter
Sound, coole Arrangements. Einfach geile Blasmusik.
www.mnozilbrass.at
Karsten Rube
Label:
Milagrito records; 13 Tracks; 60:27 min; 2008
Flinkfingrig zupft sich Crookston durch elf feine kleine Balladen, mal dezent begleitet von
einem Akkordeon, einer Fiddle, der in Westernnähe unvermeidlichen Slidegitarre und dem
Banjo. Seine Kompositionen sind gelungene amerikanische Überlandstimmungsbilder, die er
in der Zeit schuf, in der er von Seattle an der Westküste in den Staat New York, nahe der
Großen Seen umsiedelte. Die CD entwickelt ein eigenes Tempo, das sich an der getragenen
Supertramp-Version und seinem Song "John Jones" festmachen lässt und das sich mit
immer mehr jazzigen Einfällen steigert. Im "Red Rooster" findet es seinen vorläufigen
Höhepunkt bevor die CD dann doch mal für zwei Lieder in die Lagerfeuerromantik abgleitet.
Crookstons Album ist kurzweilig und wandelt auf den Fußspuren der amerikanischen
Folksängertradition ohne deren abgetragene Schuhe zu benutzen. Mit seiner Verneigung vor
Dan Fogelberg, dessen Song "Wandering Shepherd" Crookston sehr ehrenvoll intoniert, hat
er mir eine zusätzliche Freude gemacht.
www.joecrookston.com
Karsten Rube
Label:
K & Z Records; 9 Tracks; 42:35 min; 2005
Label:
K & Z Records; 15 Tracks; 75:01 min; 2008
Nachdem Hank Woji mit seinem 2005 Debütalbum "Medallion" noch ein bisschen
orientierungslos zwischen den Musikstilen herum irrte, legte er 2008 mit "American Dream"
ein pures Americana-Album vor, das ihm prompt eine Nominierung des Texas-Music-Awards
als Singer/Songwriter of the Year einbrachte. Da Album kommt rasant und gut gelaunt rüber
bedient sich großzügig bei RockandRoll, Bluegrass, Blues, Gospel und Country. "American
Dream" trötet sich rotzig durch verschiedenen Mundharmonica-Solis, setzt mit Bodhran und
Violine nach Irland über, vergisst jedoch nicht soziale und politische Anliegen. "Because We
Spent Our Money A War" ist so ein Song, aber auch "Living' On the Edge" und "Deportee"
zeichnen die deutlich erkennbaren Schatten, die das grelle Licht des amerikanischen
Traumes werfen.
"American Dream" ist ein engagiertes und geradliniges Bekenntnis Hank Wojis zu seinem
Land und zu den Veränderungen, die es nötig hat und ist ganz nebenbei musikalisch alles
andere als beliebig.
www.hankwoji.com
Karsten Rube
Label:
Winged Horse Records; 11 Tracks; 34:20 min; 2007
Firefall, ein Duo aus Colorado macht sich ebenfalls auf den Weg ihren Helden zu folgen und
sind dabei in ihren Bemühungen so zu klingen, wie die Beatles so perfekt, dass man sich
beim Hören der CD unwillkürlich fragt, warum man nicht gleich das Original eingelegt hat. Sie
sind so hervorragende Kopisten, dass man schreien möchte. Spätestens bei "Here comes
the Sun" greift man zwanghaft zur Fernbedienung.
Die musikalische Leistung ist dabei durchaus zu würdigen. Großartige Musiker, die ihr
Handwerk verstehen. Doch leider fehlt in ihrem Tun jede persönliche Note.
Ob das wohl eine Ehre für Helden ist, wenn deren Jünger genauso klingen, wie das Original?
www.firefall.com
Karsten Rube
Label:
Eigenverlag; 10 Tracks, 40:36 min; 2008
www.jeneehalstead.com
Karsten Rube
Label:
Laika-Records;
11 Tracks; 59:01 min; 2009
Die Ruhe, die einem der nördliche Himmel über dem Meer zu geben vermag wird auf der CD
"Fjord Skies" sehr schön eingefangen. Die drei Jazzmusiker Meyer, Wind und Klöpfel treffen
hier auf die schwedische Folksängerin Gunnel Mauritzson, sowie auf die norwegische
Sängerin Unni Lovlid. Gemeinsam verträumen sie einen schöne Stunde mit Gitarre,
Flügelhorn, Cello, Akkordeon und den liebevoll schmeichelnden nordischen Frauenstimmen.
Das tun sie so gekonnt, dass einem selbst im Sommer ganz weihnachtlich ums Herz wird.
Eigentlich eine CD die weit über die dunkle Jahreszeit hinausragen will, einem aber doch
immer wieder zu späten Abendzeiten erreicht und zu Momenten, die nach
hochgeschlagenem Strickjackenkragen riechen. "Fjord Skies" lärmt nicht hitzig durch den
Tag, begleitet jedoch wärmend durch die Nacht. Was einem besonders beim Hören des
letzten Liedes "Lasting Love" deutlich aufgeht.
www.laika-records.com
Karsten Rube
Label:
Alameda Production; 12 Tracks; 43:29 min; 2008
"Así nada más" ist Michios dritte Solo-CD. Er beschränkt sich nicht darauf, den bekannten
Pfaden der Flamencomusik zu folgen, sondern sucht Neuland, Variationen, Spielformen. Und
so klingt der Flamenco Michios nicht immer sortenrein, was erfrischend ist. Er bindet
klassische Elemente ein oder lässt die Saiten einer Mandoline in einem Tempo anschlagen,
dass man geneigt ist eine russische Balalaika hinein zu deuten. Nach dem sehr schönen
Lied "Date vuelta" in dem Alicia Carrasco mit betörender Wehmut heiser haucht, leitet er in
"Paco ni canpai" mit jazzigen Tönen eine kurze unerwartete musikalische Wende ein. Zum
Ende der CD hin widmet er sich wieder der stilistisch reineren Form des Flamencos.
Eine Flamenco-CD, der ein hervorragender Spagat zwischen Traditionalismus und
Grenzlosigkeit gelingt.
www.michio.de
Karsten Rube
Label:
Easy Recordings; 17 Tracks; 55:34 min; 2009
Mit dem nun schon Jahrzehnte währenden Einfall musikalisch sehr aufgeräumter
osteuropäischer Kulturschaffender ist die autonome Szene voll gestopft von tanz- und
spielwütigen vornehmlich links drehender Gute-Laune-Musikern, denen es nicht heftig genug
aus den Boxen hämmern kann.
Yuriy Gruzin, musikalischer Kopf der Russendisko, ist es zu verdanken, dass mit der CD
"Emigranski Raggamuffin" der unter dem unmissverständlichen Namen Rotfront
firmierenden Kapelle ein recht authentisch klingender Soundtrack zum linken Lebensgefühl
der Hauptstadt zustande kam.
Laut und selbstbewusst krawallt sich die Band durch 17 nicht besonders abwechslungsreiche
aber in jedem Fall lebensfrohe Songs. Deutsch, Russisch, Türkisch mischt sich in den
Liedern ebenso wahllos wie selbstverständlich, wie es auch auf der Straße der Fall ist.
Die Kernaussage dieses Lebensgefühls wie auch der Musik findet sich nirgendwo deutlicher
als in der Textzeile "...Berlin ist keine Stadt, sondern ein Heimatland." Mit diesem Satz im
Gepäck sieht jede kostspielige Senats initiierte Berliner Imagekampagne dagegen
uninspiriert und lieblos aus.
www.rotfront.com
Karsten Rube
Label:
TerraMar Musica; 11 Tracks; 43:27 min; 2009
Dies erzeugt eine Stimmung, die sich in der Musik der Kapverdianer ausdrückt. Maria de
Barros gibt mit dem Album "Morabeza" einen wunderbaren Eindruck der Musikalität der
Inselbewohner wieder. Verträumt, melancholisch aber von freundlich Sentimentalität sind die
Mornas, die sie singt, von ausgelassener Fröhlichkeit die Afropop-Tanznummern. Von leiser
Sehnsucht beseelt die Lieder, die deutlich brasilianischen Einflüssen unterliegen. Fast ein
bisschen klischeebehaftet klingt die CD, denn irgendwie mogeln sich beim Hören immer
wieder Bilder von Sandstränden, Feuerstellen mit Barbeque und romantischen
Sonnenuntergänge ins Gemüt.
Die CD "Morabeza" birgt die entspannteste Musik dieses Archipels seit Jahren und erinnert
an Simentera und Boy Gé Mendes.
www.mariadebarros.com
Karsten Rube
Label:
Jaro-Medien;
12 Tracks; 51:42 min; 2009
Man erlebt eine türkische Hochzeit in Trabzon und wird anschließend mit einem lasischen
Abschiedslied in eine traurige Stimmung gezogen. Ein anderes Lied erzählt von der
Verteidigung des heimatlichen Kartoffelackers im gebirgigen Georgien. Eine Hymne auf
Odessa und ein Lied über die Verlorenheit, die ein Schwarzmeerprovinzler in New York
erleben musste, lassen die Stimmung großer Städte am Meer nachempfinden.
The Shin hat im Projekt "Black Sea Fire" zwölf Schwarzmeerperlen gesammelt, die es zu
entdecken lohnt.
www.theshin-music.com
Karsten Rube
Label:
Eigenverlag; 13 Tracks; 47:17 min; 2008
Kalio Gayo ist eine niederländische Kapelle, die sich der osteuropäischen Musik
verschrieben hat, russische Gipsymusik, Balkanklänge, Tanzmusik zu Festlichkeiten
aufführt. Dass sie nicht aus Osteuropa stammen mag man ihnen ansehen, hören lässt sich
der Unterschied kaum, es sei denn man ist mit den slawischen Sprachen so vertraut, wie es
Muttersprachler sind. Und das sind Kalio Gayo sicher nicht, denn allzu oft klingt ihr
slawischer Sprachschatz nach Urlaub in Fantasien. Was der Fröhlichkeit der Lieder keinen
Abbruch tut.
Mit Akkordeon, Banjo, Geige und Gitarre spielen sie sich quer durchs slawische Leben und
lassen frohgelaunt Geschichten von streitsüchtigen Nachbarn, braven Vögeln und
Heimkünften nach langer Abwesenheit erklingen. Ob man das nun wörtlich versteht oder sich
nur einbildet, spielt dabei keine Rolle. Die Hauptbotschaft lautet ohnehin: "Seit fröhlich und
tanzt".
www.kaliogayo.nl
Karsten Rube
Label:
Farol Musica; 19 Tracks; 73:03 + 52:54 min; 2008
Madredeus haben in den inzwischen 23 Jahren ihres Bestehens zahlreiche Platten
veröffentlicht. Das sich dabei ihre stilistische Bandbreite über die Jahre nicht sonderlich
auffächerte, tat der Popularität der Band keinen Abbruch.
Nun ließ sich eine Stagnation in der musikalischen Entwicklung der Band nicht überhören.
Die Sängerin Teresa Salgueiro mit ihrer glockenhellen, schönen aber modulationsarmen
Stimme war jahrelang das Aushängeschild von Madredeus. Sie begriff als erste, dass sich
etwas ändern musste und verließ 2007 die Band, um sich anderen Projekten zu widmen. Für
Madredeus hätte dies ein guter Augenblick sein können, sich musikalisch zu erneuern, sich
ein wenig frisch zu machen. Die Erwartungen an das erste Album ohne Teresa Salgueiro
waren hoch und wurden mit Erscheinen von "Metafonia" enttäuscht. Trotz Austausch der
Stimmen, Experimenten mit Harfe und E-Gitarre und einem ganz vorsichtigem, zögerlichen
Öffnen zu Rhythmen aus den portugiesisch sprachigen Überseeländern bleibt die Musik auf
"Metafonia" lahm und schwerfällig. Die neuen Stimmen, als Erfrischung im Klangbild
gepriesen, werden wohl bewusst genauso wenig gefordert, wie die von Teresa Salgueiro in
der Vergangenheit. An einigen Stellen auf der zweiten CD hört man das deutlich. Gerade in
der Neueinspielung von "O Paraiso" zeigt sich, das die Band hörbar an Kraft verloren haben.
So schleppen sich Madredeus über zwei Stunden lang durch den CD- Player in der Hoffnung
den Hörer in Trance zu versetzen. "Bleiben Sie entspannt" würde ein bekannter Sender für
seicht-klassische Musik säuseln. Doch 12 Minuten "O Eclipse" als kompositorisch arme und
abwechslungsfreie Dauerschleife oder 18 Minuten "O Mar" entspannen nur den, der dabei
entschläft.
"Metafonia" übersetzt sich aus dem Portugiesischen als "Umlaut" oder Lautänderung.
Vielleicht hätte Madredeus das Album doch besser "Uníssono" (Gleichklang) nennen sollen.
Schade. Wirklich Schade.
www.madredeus.com
Karsten Rube
Label:
EMI; 11 Tracks; 37:59 min; 2009
Siehe auch das Luz-Casal- Interview in dieser Ausgabe |
Label:
Smithsonian Folkways;
9 Tracks; 60:29 min; 2008
www.folkways.si.edu
Karsten Rube
Label:
Eastblok Music;
16 Tracks; 68:17 min; 2009
Eastblok-Music veröffentlicht nun einen Sampler mit 16 zum Teil ordentlich lauten Beispielen
polnischer Gegenwartsmusik. Darunter finden sich bekannte Größen der Folkmusic wie die
Warshaw Village Band und die Trebune-Tutki, die vor Jahren mit den Twinkle Brothers eine
gelungene Fusion aus Dub, Reggae und Beskidenfolk auftischten, an die man sich erst
gewöhnen musste, dann aber sogar beim Folkfest in Rudolstadt 2002 für Furore sorgte.
Die urbane Raagamuffin-Szene Warschaus unterscheidet sich nicht so sehr von der jungen
Musikszene Berlins. Vavamuffin klingt ähnlich wie Culcha Candela oder Rotfront. Zwischen
den polnischen Mesajah und Habakuk und den Berliner Lokalmatadoren von Seeed liegen
auch nicht so viele Welten.
Diese schöne Mischung zeigt, wie ähnlich sich die Musikszene Deutschlands und Polens und
damit auch das allgemeine Lebensgefühl in vielen Ebenen der beiden Nachbarn ist.
www.eastblokmusic.com
Karsten Rube
Label:
Zama Recordings; 13 Tracks; 63:59 min; 2010
Da ist die Violine von Irina Brunn - deren Klang einer Geige in einem Salonorchester
entspricht, dick bestrichen mit der Patina vergangener Zeit. Judith Herrmanns Finger
wandeln beinahe tänzerisch über die Tasten ihres Klaviers. Das Akkordeon von Vassily Dück
tritt besonders an den melancholischsten Stellen hervor und nimmt einem schier die Luft
zum Atmen. Wer wissen will, was ich damit meine höre sich doch mal die Interpretation von
"Cinema Paradiso" auf der CD an. Der schwere Teppich, auf denen sich dieses musikalische
Bauwerk stellt ist der Kontrabass von Gregor Praml.
Als Gastmusiker haben sie das Glück auf Franco de Gemini zu bauen, dem Musiker, der
einst in "Once upon a time in the West" die Mundharmonika spielte.
Mit einer hinreißenden Leidenschaft stürzen sie sich auf so bekannte Stücke wie "Amarcord"
"The Godfather" dem ewigen Tränendrücker "Cinema Paradiso" und natürlich "Das Leben ist
schön" jenem Film von Roberto Benigni, der auf herzzerreißende und komische Weise den
Versuch des Überlebens im KZ darstellt und 1999 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde.
Man kann sich beim Hören der CD "Il Cinema: Il Paradiso!" als Filmliebhaber jede einzelne
Sekunde fallen lassen, beim Klang dieser wunderschönen Interpretationen Filmszene um
Filmszene im Kopf abspulen und dabei träumen, verzückt grinsen oder verschämt ein paar
Tränen zerdrücken.
www.milocotango.de
Karsten Rube
Label:
Glitterhouse;
11 Tracks, 42:40 min; 2010
Tamikrest besteht aus sieben jungen Musikern knapp über Zwanzig. "Adagh" ist ihr
Debütalbum und es kann sich hören lassen. Ihre Themen sind ähnlich, wie die anderer
Touareg-Bands, aber das ist nur logisch, denn sie haben die selben Probleme. So geben
sich Tamikrest recht rebellisch. Die anhaltenden Unruhen im Nordosten Malis, die vor allem
ihren Grund in der Ausgrenzung der Touareg durch die Regierung finden, aber auch mit
Problemen zwischen den einzelnen im Land vertretenen Volksgruppen zu tun haben, sind
wichtige Themen der Lieder der jungen Gruppe. Daneben findet sich ihr musikalisches
Anliegen aber vor allem in der Liebe zur Wüste, die für sie nicht lebensfeindlich ist, sondern
Heimat. Die langsamen verspielten Gitarrenstücke und der leicht taumelnde Gesang zaubern
eine faszinierende Stimmung hervor und lassen den Hörer in einem beruhigenden
tranceähnlichen Zustand zurück.
www.myspace.com/tamikrest
Karsten Rube
Label:
Winter & Winter;
Nr. 910 157-2; 20 Tracks; 61:28 min; 2009
Carlos Moscardini kann sich auf minimale Bedingungen beschränken, reduziert auf seine
Gitarre und zwei Mikrofonen die seine Musik aufnehmen. Keine übertriebenen und doch
einengende technische Spielereien, sondern das unverbaute musikalische Erleben. Das
Ergebnis ist ein großartiges Album.
www.winterandwinter.com
Karsten Rube
Label:
Blue Note; 11 Tracks; 41:17 min; 2009
Ganz anders zeigt sich die in Marokko aufgewachsene Musikerin Hindi Zahra. Ihr
spannendes Debütalbum "Hand Made" präsentiert sie in einer Art Global- Smart-Pop-Laune,
die an Feist und Madeleine Peyroux erinnert, dabei eine Genre übergreifende laszive
Gefälligkeit entwickelt, wie sie bestenfalls noch Manu Chao bekannt ist. Da Hindi Zahra sich
bereits eine ganze Weile in London aufhält, sind die Pariser Einflüsse zwischen Banlieue und
Berbes bei ihrer Musik nur wage am Rand zu erkennen. Stattdessen bedient sie sich afro-
amerikanischer Elemente, zwischen Jazz, HipHop und Soul und hat auch sonst keine
Berührungsängste, was das Mischen von musikalischen Stilen betrifft.
"Beautiful Tango" eröffnet dieses Album der dezenten Schwingungen mit einem schaukligen
schweren Rhythmus irgendwo zwischen Reggae und Blues. "Oursoul", ein Lied in der
Berbersprache klingt verkratzt wie ein Garagenblues aus den Vierzigern. "Kiss and Thrill"
besitzt die treibenden Gitarren des Desert-Rocks gewürzt mit souligem Gesang. Und "Imik Si
Mik" erinnert an Gipsy-Swing-Nummern eines Django Reinhardt.
Hindi Zahra ist mit ihren Berberwurzeln, der Lust am Geschichten erzählen und dem Gespür
für eingängige Rhythmen Weltmusikerin, Liedermacherin und Popsternchen in einem. Für
ein Debütalbum ist "Handmade" ein erstaunlich ausgereiftes Produkt.
www.hindi-zahra.com
Karsten Rube
Label:
Kirkelig Kulturverksted Oslo;
10 Tracks; 55:13 min; 2009
Es ergibt sich eine eigenwillige Stimmung, getragen von den leidenschaftlichen
Liebesliedern, die erklingen und den Hörer warm umfangen. Hin und her gerissen, zwischen
der westlichen Soulstimme McClains und der weichen Stimme Mahsa Vahdats, die die Weite
Asiens in sich trägt, wandeln die Lieder zwischen den Welten und lassen alles Starre,
Bodenbindende weit hinter sich. "Scent of Reunion" ist Poesie auf höchstem Niveau.
www.kkv.no
Karsten Rube
Label:
Smilin' Castle Records; 13 Tracks; 56:47 min + DVD; 2009
www.delcastillomusic.com
Karsten Rube
Label:
Miranda do Douro; 12 Tracks; 51:14 min; 2009
www.lengalenga.net
Karsten Rube
Label:
Trikont;
20 Tracks; 70:41 min; 2010
Susie Reinhardt sagt, dass sie weitläufig mit Django verwandt ist. Irgendwo über die
Vaterseite, der aus der Volksgruppe der Sinti stammte. Da verlieren sich die
Gemeinsamkeiten oberflächlich. Doch seelenverwandt sind sie allemal. So ließ sie sich
inspirieren vom entfernt verwandten und widmete ihm eine Compilation. Zwanzig Song
versammelte sie unter dem Geist Django Reinhardts, eingespielt von allerhand Musikern die
aus den verschiedensten musikalischen Ecken und Zeiten stammen. So findet sich eine
swingende Aufnahme des Quintette du Hot Club de France aus dem Jahre 1938. Eine
Aufnahme die etwas staubig wirkt, bei aller flinken Spielweise aber den Staub nicht liegen
lässt, sondern kräftig aufwirbelt. Gipsy.cz wiederum zeigt sehr eindrucksvoll, dass sich die
Musik Reinhardts genauso gut ins 21. Jahrhunderts transportieren lässt. Ihr HipHop ist nicht
gerade mager bestückt mit drastischen Ausdrücken, die Django vermutlich noch kaum
gekannt, geschweige denn benutzt hat. Dabei gleiten sie jedoch immer wieder in den
simplem Takt der Zigeunerkapellen ab wie man sie in Budapester Touristenkneipen erleben
muss. Auf der CD wirkt es eigentümlicher Weise nicht aufdringlich.
Das Titi Winterstein Quintett darf natürlich nicht fehlen. Winterstein ist einer der wichtigsten
musikalischen Erben Reinhardts. Dieser Beitrag zur Compilation ist einer der Höhepunkte
der CD.
Ein sehr vielschichtiges und würdiges Sammelsurium im Reinhardtschen Geist, das auch
nach einer Stunde nicht langweilig wird.
www.trikont.de
Karsten Rube
Label:
Phonector; 11 Tracks; 40:00 min; 2009
www.snorreschwarz.de
Karsten Rube
Label:
GMS; 14 Tracks; 53:05 min; 2009
Da man dabei weder dem Musiker, noch denen gerecht wird, die etwas über die Musik
erfahren wollen, müssen es manchmal mehr Worte sein, als nach dem Anhören der Musik
nötig wären.
Otto Groote kultiviert seit Jahren das norddeutsche Liedgut, singt auf Plattdeutsch Lieder, die
nach melancholischer, aber freundlicher Erinnerung klingen, versöhnlich und voller Wärme.
"De anner Steens an d' Heven" ist Musik nördlicher Meeresanrainer, eine Melange aus
amerikanischem Songwritermaterial, Liedern, die zwischen keltischem Klassikern und
Shantischunklern hin und her gerissen sind und manchmal unverkennbar skandinavische
Züge aufweisen. Die beste Musik für Meeresrauschen und Rollkragenpullover.
Groote zitiert sentimentales Seemansgarn, wie Brels "Amsterdam" so schön, wie Brel es nur
selten vermochte. Nicht so energisch, nicht so verloren, doch nachdenklich und mit mildem,
versöhnlichen Klang. Goethes "König von Thule" in der musikalischen Form Carl Friedrich
Zelters besitzt ins Plattdeutsche übersetzt eine beschwörend spätmittelalterliche Klangfarbe.
Richard Thompsons "Waltzing for Dreamers" gehört zu den schönsten Interpretationen, die
die CD aufweist.
Doch bei aller bewundernswerter Bearbeitung der Texte und Musiken anderer Künstler
erweisen sich die eigenen Lieder Grootes als die zweifellos eindringlichsten Momente auf
dieser Platte. "Ik stah van feern" ist ein wunderschönes Liebeslied, das man auch dann noch
versteht, wenn einem alles Plattdeutsche wie Swahilli erscheint. Die wenigen Worte und die
schwelgerische Musik sprechen für sich.
Das am Ende des Albums leise erwachende "Iesmeerwellen" ist musikalische Erholung von
höchster Qualität. Ein knapp vierminütiger Nordseestrandurlaub, der ein ganzes Jahr
Alltagsstress wie Schnee bei Tauwetter vom Dach rutschen lässt.
www.otto-groote.de
Karsten Rube
Label:
Westpark Musik;
2009; 22 Tracks; 74:46 min
Värttinä waren über viele Jahre hinweg das populärste Aushängeschild der nordeuropäischen Folk- und Weltmusik. Auf Festivals rund um die Welt ließen sie zertanzte Rasenflächen zurück und bei zahlreichen Konzerten sangen Frauen wie Männer die Texte mit, selbst wenn sie kein Wort Finnisch verstanden. Die CD "25" lässt das alles noch einmal frisch werden. Eine schöne Erinnerung an Zeiten ausgelassenem Live-Folk-Enthusiasmus, als Weltpop eine erfolgreiche Alternative zum Mainstream darzustellen schien.
Aber 25 Jahre liefen auch an Värttinä nicht ohne Blessuren vorbei. Zahlreiche Veränderungen in der Band modifizierten das Klangbild. In den späten Jahren leider nicht nur zum Besseren. Die letzte reguläre CD "Miero" aus dem Jahr 2006 gehört schon zum experimentellen Folk.
Die vorliegende CD "25" erschien bereits 2007 und wurde von Westpark, dem führenden Label für nordeuropäische Musik 2009 herausgegeben. Auf der Website der Band bleiben aktuelle Nachrichten spärlich gesät und vermelden meist nur, dass wieder ein Musiker die Band verlassen hat. Auch Konzertankündigungen enden bisher im Jahr 2009.
Die Musiker und Sängerinnen sind mittlerweile gesetzteren Alters und in einigen Fällen auch familiär gebunden. Da bleibt das Bandleben ein wenig auf der Strecke. Ob von Värttinä noch mal etwas Neues erscheinen und wie es dann klingen wird, das zeigt die Zeit. In jedem Fall bleibt "25" ein runder und gelungener Rückblick, den man sich unbefangen und voller Freude immer wieder anhören kann.
www.varttina.com
Karsten Rube
Label:
Manuel Normal Records/Broken Silence; CD 13123;
2010; 18 Tracks; 54:13 min
Wer verstehen will, was da aus seinem Mundart beherrschten Texten auf der Musik balanciert, der sollte zunächst auf die Rückseite der Plattenhülle schauen und den Hinweis "Warnung! Deutliche Sprache!" beherzigen.
Manuel Normal blickt sich um, betrachtet seine Umwelt und legt los. Er benötigt gar keine poetische Ader, um in blumigen Worten die Dummheit der Welt zu umschreiben, die ihn offensichtlich umgibt, er geht den direkten Weg, den der direkten Beleidigung.
In "YesUs" betrachtet der den Obama-Rausch äußerst skeptisch. Er fragt sich, ob "Yes you can" wunderschön ist oder sich dahinter die selbe verlogene demokratisch getarnte Diktatur verbirgt, wie bei seinen Vorgängern.
"Marionetten" ist ein echter Aufwiegelsong, ein Lied, das zum eigenen Denken und Tun auffordert. "Schnei endlich die bandl durch" singt er und hofft auf selbstständig wachsende Barrikaden. In "Linz" erscheint die Kulturhauptstadt 2009 nicht sonderlich liebenswert. "Soiche Leit" ist heavy Austro-Rock, laut und direkt, Mainstream kompatibel und damit der hörbarste Titel, damit jedoch auch der unpassendste auf der CD.
Und dann gibt es da noch "Rosenkraunz". In ploppig gefälligen Synthierhythmus verpackt zelebriert Manuel Normal in diesem Lied seine Idee, durch unappetitliche Foltermethoden Leute ,die seinem Weltbild zuwider laufen auf Linie zu bringen. Hier ist Manuel Normal geschmacklos und vom Geist der von ihm Verachteten keinen Furz weit entfernt.
"Hirn und Arsch lüften hat noch keinem geschadet" bemerkt der Pressetext zur CD. Das mag richtig sein. Aber gemäß dem Satz der nicht verloren gehenden Energie, bleibt die ganze schlechte Luft am Hörer hängen.
Widersprüchlich in sich dürfte die CD in jedem Fall polarisieren. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass sie verstört. Was im Interesse des Künstlers sein dürfte.
www.manuelnormal.at
Karsten Rube
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010
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