FolkWorld Ausgabe 35 02/2008; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M


T:-)M's Nachtwache
Fasia Hansen, Rainald Grebe, Andy Irvine

Carl Spitzweg ,Der arme Poet', www.spitzweg.de Unsere Lieder können nicht hinter geschlossenen Vorhängen, hinter verriegelten Türen bestehen, schrieb Nazim Hikmet. Unsere Lieder müssen hinaus auf die Straßen der Vorstädte gehen. Dieses Zitat des türkischen Dichters könnte ein Leitmotiv für das Leben der Sängerin und Liedermachern Fasia Jansen gewesen sein. Es gilt eingeschränkt auch für einen modernen Volkssänger wie Rainald Grebe, ganz sicher aber für den irischen Singer-Songwriter Andy Irvine.

Fasia Jansen (1929-97) war das Kind einer Hamburgerin und des Generalkonsuls von Liberia, Momolu Massaquoi. Selbiger, seine Mutter war Königin des Vai-Volkes, war 1922 nach Hamburg gekommen und somit der erste Repräsentant eines unabhängigen afrikanischen Staates in Europa.

Als nicht-arisches Kind war Fasia unübersehbar und eine ständige Provokation:

Marina Achenbach, FASIA - Geliebte Rebellin

Marina Achenbach, FASIA - Geliebte Rebellin. Asso Verlag, Oberhausen, 2004, ISBN 3-921541-94-8, 304 S, €29,80.

Hans J. Massaquoi, Neger, Neger, Schornsteinfeger! - Meine Kindheit in Deutschland. Knaur TB, ISBN 3-426-61854-0, 512 S, €9,95.

Was Elli von nun an passierte, war eine Hölle. Der Stiefvater verbot ihr das Haus. Die Vermieter lehnten sie mit dem Kind ab, manche Ehemänner und Söhne der Vermieterinnen hielten sie für Freiwild. Auf den Straßen pöbelten Passanten. Durch diese gemeine Welt hat sie ihre Tochter unbeschadet gebracht.

Das Problem wurde nicht geringer, als die Nazis die Macht übernahmen. (Als Fasia schon nicht mehr lebte, erschien das Buch und die Verflimung "Neger, Neger, Schornsteinfeger" von Hans-Jürgen Massaquoi, dem Sohn des ältesten Sohnes von Momulu, der ein ähnliches Schicksal hatte und ebenfalls in Hamburg das Dritte Reich durchstand.)

Unten im Haus am Elbdeich, der ersten Wohnung, die meine Mutter mit mir gefunden hatte, war das Lokal "Anglerheim". Der dicke Gastwirt Wright war ein mürrischer Man. Mich konnte er nicht leiden und ärgerte sich darüber, dass er mit einem Negermädchen in einem Haus wohnen musste. Eines Tages hat sich Oma Bujacz mit einem Knüppel hinter der Haustür im Treppenhaus versteckt, und als er wieder einmal mit seinem Stock auf mich losging und brüllte: Mach dat du nach Honolulu kommst!, da kriegte er von meiner Oma eine Abreibung. Gastwirt Wright, der sich sonst nur mühsam auf dem Stock vorwärts bewegte, was den Umsatz erhöhte, konnte plötzlich laufen. Von da an herrschte Ruhe im Haus.

1940 wurde Fasia ins Gesundheitsamt bestellt, wo man ihr eine Spritze verabreichte. Wenige Tage später wurde sie schwer krank, einer zweiten Aufforderung des Gesundheitsamtes folgte sie nicht. Wollte man sie sterilisieren? Die Familie hat immer vermutet, dass diese Injektion die chronische Herzkrankheit Fasias ausgelöst habe.

Fasia Jansen war eine basche Deern. Der Stiefvater kaufte ihr ein Schifferklavier. Nach dem Krieg zog sie mit einem Agit-Prop-Chor über die Straßen und Plätze von Hamburg. Mit einer Volkstanzgruppe ging sie schwarz über die grüne Grenze der DDR zu den Weltjugendspielen in Ost-Berlin.
Dieter Süverkrüp & Fasia Jansen
Nach Aldermaston zogen sie -
Dort hatten die Strategen
Sich ein Versuchslabor gebaut
Für nuklearen Regen.
Zur Seit des Juden ging der Christ
Mit einem Kommunisten.
Es war vielleicht das erste Mal,
Dass sie einander grüßten.
Am zweiten Tag erklang ein Lied,
Ein Lied vom Lebenlieben.
Ein Dichter hatte es erdacht,
Ein Komponist geschrieben.
Sie lernten es im Weiterziehn,
Der eine von dem andern.
Sie ließen seine Melodien
Von Mund zu Munde wandern.
Und in der zwölften Sechserreih,
Da lernte ein Chorist
Von einem greisen Physiker,
Was Strontium neunzig ist.
Und alle lernten sie im Gehn
Und fassbar wurde jedem:
Wenn Lebende sich nicht verstehn,
Wer kann als Asche reden?

Icon Sound @ jpc

www.fasia.de
1952 wurde Oberhausen im Ruhrgebiet ihr Lebensmittelpunkt. Der Liedermacher und Dichter
Gerd Semmer entdeckte, dass sie eine wunderbare Stimme hatte. Wie Dieter Süverkrüp sich erinnert:

Eine dunkle, wunderbare Stimme, elastisch und wandlungsfähig. Und die deutschen Wörter verloren, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, ihr gewohntes steifes und kantiges Benehmen, von dem man immer gemeint hatte, es sei ihnen grundsätzlich angeboren.

Es war die Zeit, als die Liedermacher auftauchten. Die Gitarre wurde das Instrument der Ostermärsche. Und die Sprache dieser populären Musik war nicht mehr Englisch, sondern Deutsch. 1964 zog es Fasia zu den Festivals auf die Burg Waldeck (-> FW#32). Sie sang Wolf Biermanns Ballade vom Briefträger William L. Moore, weil Biermann kein Visum für die Ausreise erhielt. Man urteilte: Sie hat Dynamit in der Kehle. Endlich singt in Deutschland jemand davon, was so viele lange schon bewegt. Fasia Jansen schreit es heraus.

Friedens-, Gewerkschafts- und Frauenbewegung war das Dreieck, in dem sich Fasia bewegte. Fasia sang gegen Adenauers neue Wehrmacht und gegen atomare Bewaffnung, gegen Notstandsgesetze und die Schließung von Krupp in Rheinhessen. 1969 demonstrierte sie mit der Gitarre in der Hand und einem Lied auf den Lippen gegen die NPD in Recklinghausen. Die Kundgebung wird von der Polizei auseinandergeprügelt und Fasia erhält eine Vorladung wegen Volksverhetzung.

Fasia sagte einmal: Wir müssen unsere Geschichte selber schreiben, die schreiben nicht über uns. Sie wollte ihre Autobiografie schreiben, sie notierte Geschichten und hielt Gespräche auf Tonbändern fest. Doch dazu kam es nicht mehr.

Marina Achenbach und ihre Ko-Autoren folgen in FASIA - Geliebte Rebellin den Aufzeichnungen der Sängerin und Liedermachern. Offen und ehrlich. Sie betreiben keine Kaffeesatzleserei jenseits der Fakten.

Insbesondere ab der zweiten Hälfte ist das Buch und Fasias Lebensgeschichte keine Biografie im eigentlich Sinne mehr. (Schade, hier hätte ich manchmal gerne mehr gewusst.) Stattdessen wird es ergänzt durch die Erinnerungen und Gedanken der Wegbegleiter, darunter bekannte Namen wie Franz-Josef Degenhardt (-> FW#23), Hannes Wader (-> FW#32) und Frank Baier (-> FW#27, FW#32). Somit wird es ein Erinnerungsbuch, eine Collage, nicht nur über Fasias Leben, sondern gleichzeitig auch über ein Jahrhundert deutscher Geschichte.

Auf der beiliegenden CD ist Fasias Stimme auf 22 Liedern zu hören. Darunter Eisler/Brechts "Solidaritätslied" und "Die Moorsoldaten" (-> FW#25), Victor Jaras "Venceremos" (-> FW#27) und "Sacco und Vanzetti", Billie Holidays "Strange Fruit" und der Gerd Semmers "Weltuntergangsblues", im Original besser bekannt als der "St. James Infirmary Blues".

Ellen Diederich, Direktorin des Internationalen FrauenFriedens Archiv Fasia Jansen e.V., in welchem seit fast 30 Jahren Bücher, Zeitungen und audio-visuelle Medien gesammelt werden, zieht das Fazit:

Das war die Zeit, in der die Menschen der Friedensbewegung die Lieder noch nicht verloren hatten. Heute gibt es in der Friedensbewegung, der Bewegung gegen die Globalisierung, kaum Lieder. Ach Fasia, wo sind deine Sängerkolleginnen? Es gibt kaum ein Lied zu den neuen Kriegen, kein Lied zu Palästina, gegen den Krieg im Irak, so wie es Lieder gegen den Vietnam-Krieg und zu Chile gegeben hat. Viele ehemalige MitstreiterInnen haben sich dazu noch total gewandelt. Sie haben den neuen Kriegen im Kosovo, in Afghanistan zugestimmt. Vor allem auch die Grünen, die nicht wieder zu erkennen sind. Antje Vollmer sagte nach der Abstimmung zu Afghanistan im Bundestag: Mein Ja war eigentlich ein Nein! Besser kann man die Entwicklung der Grünen in einem Satz nicht charakterisieren.

Rainald Grebe, Das grüne Herz Deutschlands

Rainald Grebe, Das grüne Herz Deutschlands - Mein Gesangbuch. Fischer, Frankfurt/Main, 2007, ISBN 978-3-596-17536-9, 240 S, €9,95.

1961 rief auch die SPD noch zum Ostermarsch auf. Nach den Parteitagsbeschlüssen von Bad Godesberg wurde Mitgliedern mit dem Ausschluss gedroht, falls sie mitmachten. Dazu passt doch wunderbar Rainald Grebes kleines Couplet:

Ich liebe die Unterschiede. Juhu!
Ja, schön, ach, schön, dass es die noch gibt.
Die CDU ist nur für die Wirtschaft.
Die SPD ist nur für den kleinen Mann.
CDU: Wirtschaft.
SPD: kleiner Mann.
Ich werd das jetzt so lange wiederholen,
bis man die endlich wieder unterscheiden kann.

Das direkt Politische ist jedoch eher eine Ausnahme in den Texten von Rainald Grebe. Der gelernte Puppenspieler und ehemalige Schauspieler arbeitet seit einigen Jahren als Komiker und Sänger. Seit 2006 ist er mit der "Kapelle der Versöhnung" und dem Programm "Volksmusik" unterwegs. Sein Steckenpferd ist der der Wahnsinn des Alltags (oder umgekehrt: der Alltag des Wahnsinns).

Von seinen Reisen hat für diejenigen, die nicht wissen, was sie am Lagerfeuer oder am künstlichen Kamin zwitschern sollen, Lieder mitgebracht. Es war eine Deutschlandreise nicht "Hoch auf dem gelben Wagen", sondern im Raucherabteil eines ICE, die Leute schreien in ihre NokiaHandys, dass sie 30 Minuten Verspätung haben und dass Zugfahrn das letzte ist. Grebes Das grüne Herz Deutschlands - Mein Gesangbuch versammelt Texte, die komischer als der Comedy-Quatsch sind und wahrhaftiger als die Weinerlichkeit Grönemeyers. Die Reise beginnt in Neufünfland, endet aber nicht notwendigerweise dort.

Es gibt Länder, wo was los ist.
Es gibt Länder, wo richtig was los ist.
Und es gibt: Brandenburg.
In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt.
Was soll man auch machen mit 17,18 in Brandenburg?
Kein Wunder, dass so viele von hier weggehn, aus Brandenburg.
Da stehn drei Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln in Brandenburg.

Annaberg-Buchholz

Grebes Stärke sind die kleinen Beobachtungen. Es gelingen immer wieder Zeilen wie: Die Werbefuzzis machen Rucola zum Trendsalat.
Rainald Grebe, TFF.Rudolstadt 2007

www.rainaldgrebe.de

Icon Sound Bengt, Castingallee, Pia.

Icon Movie @ rainaldgrebe.de

Rainald Grebe @ FolkWorld: FW#34
Wenn Unkraut aus dem Ausland kommt, hat's Glück gehabt.
Oder nahe dran am Mobbing: Sie hieß Dörte Becker und so sah sie auch aus. Dörte, du bist der Ausweg aus der Spaßgesellschaft.

Einzig "Massenkompatibel" ist textlich und musikalisch ein großer Entwurf, ein Hit, ...

Ich will doch für alle sein. Für alle Leute.
Ich bin das Beste aus den 70ern, 80ern, 90ern.
Ich bin das Beste von heute.
Ich bin ein schönes Groschenheft. Jeder hat mich gelesen.
Ich bin ein billiges Kassengestell für eine Milljarde Chinesen.
Ich bin massenkompatibel, massenkompatibel ...

Kabrettist Jess Jochimsen liefert die passende Bebilderung. Wer hätte gedacht, dass es in Deutschland solch desolate Orte gibt (na ja, ich schon), aber solch wunderschöne Fotos von öden Orten: Grobes Wohnen, das Parkhaus Vaterland, die Konrad-Adenauer-Döner-Bude oder das Restaurant Romantica im Schatten der Großbaustelle.

Andy Irvine, Aiming for the Heart

Andy Irvine, Aiming for the Heart - Irish Song Affairs. Heupferd, Dreieich, 2007, ISBN 978-3-923445-05-9, 105 S, €16.

Im Jahre 1968 begann die Reise des irischen Musikers Andy Irvine. Gerade erst war das erste und einzige Album seiner Band Sweeney’s Men (-> FW#31) erschienen. Andy Irvine war einer der Pioniere der irischen Bouzouki, ohne die moderne Irish Music gar nicht denkbar wäre. Aber er trampte zunächst einmal ziellos von Dublin aus Richtung Osteuropa. Als er wiederkam, wurde Musikgeschichte geschrieben.

Andy Irvine ist der singer-songwriter's singer-songwriter (um mal das geflügelte Wort vom musician’s musician zu variieren). "Never Tire of the Road" lautet der Titel einer seiner Songs und das ist durchaus wörtlich nehmen. Man kennt ihn, auf den Bühnen kleiner und größerer Clubs, in Konzerthäusern und auf Festivals. Ob Solo, im Duo oder als Teil von Planxty (-> FW#27, FW#30), Patrick Street (-> FW#24) oder Mozaik (-> FW#30, FW#31, FW#34).

Im deutschen Heupferd-Verlag ist eine revidierte Neuausgabe von Andys Songbuch Aiming for the Heart - Irish Song Affairs erschienen.
Andy Irvine
www.andyirvine.com

Icon Sound Girl I Left Behind, Gladiators, Moreton Bay

Andy Irvine @ FolkWorld:
FW#5, #11, #23, #24, #27, #30, #30
Zweisprachig in Deutsch und Englisch, mit Texten, Noten, Akkorden, Kommentaren, Illustrationen von Eamonn O’Doherty, einem Vorwort von Paul Brady und diskographischen Angaben.

Bekannte Lieder, die Andy Irvine schrieb: "West Coast of Clare", "Rainy Sundays", "Baneasa's Green Glade" und "My Heart's Tonight in Ireland". Traditionelle irsche Lieder, die er sich zu eigen gemacht hat: "Arthur MacBride", "Bonny Woodhall", "You Rambling Boys of Pleasure" und "Thousands are Sailing". Das Instrumentalstück "Smeceno Horo", das er aus Bulgarien mitgebracht hat; "Blood and Gold", die adaptierte englische Fassung eines rumänischen Liedes von Jane Cassidy mit einer Melodie von Andy.

Beenden wir unsere Reise mit einem seiner Lieder, als er im Wald von Baneasa und von sonntäglicher Straßenmusik vor dem Bukarester Zoo lebte.

In Baneasa's green forest out under the trees
We'd lie on our backs we'd live at our ease
We'd wake in the morning at the first shafts of day
And watch the shy deer as they scampered away
We'd rise from our warm beds as the sun it got higher
And cook up our breakfast on a sweet scented fire
We'd sit in our glade till the heat of the day
Walk down to the zoo to sing and to play

T:-)M's Nachtwache FW#34
Englische Titel

Well the money rolled in and the people looked on
When the hat was quite full we'd up and be gone
In Dimbovitsas tavern we spent money free
Abd drank to our friends whereever they may be



Zurück zum FolkWorld-Inhalt
Zur englischen FolkWorld

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 02/2008

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external websites.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld