T:-)M's Nachtwache

Schpil, Klezmer, schpil! - Wünscht sich Walkin' T:-)M

Carl Spitzweg ,Der arme Poet', www.spitzweg.de Erhebe ich mich einmal von meiner Ruhestätte (das soll gelegentlich vorkommen) und erwandere die Gassen meiner Heimatgemeinde, stoße ich früher oder später auf den Klesmerstraße und Klesmerplatz, eine Klesmerplastik und eine Klesmerstube, einen Musikverein "Die Klesmer" und ein alljährliches Klesmerfestival. Nein, ich rede nicht von irgendeinem Schtetl in Galizien; es hat auch nichts damit zu tun, dass meine Ahnen aus der Bukowina stammen. Aber als um 1800 das Weberhandwerk durch englische Konkurrenz seinen Niedergang erlebte und mit Spinnen und Weben das tägliche Einkommen nicht mehr gesichert werden konnte, zogen die Leineweber Salzgitters als sogenannte Klesmer-Musikanten durch die Welt, bis nach Amerika und Australien. Ja, wer hatte da nur a yiddishe mame?

Eine Frage, die Klarinettist Joel Rubin (Ex-Brave Old World) und Musikwissenschaftlerin Rita Ottens (www.rubin-ottens.com) beantworten:

"Das heutige Revival ist aber keineswegs der erste Kontakt zwischen Deutschen und Klesmer-Musik: Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich Kapellen christlicher Musiker in niedersächsischen Orten wie Salzgitter, Lewe und Leibenburg, die sich als ,Klesmorim' bezeichneten. Es wird angenommen, daß sie diese Bezeichnung wie auch den eigentlichen Beruf und die ersten Instrumente von böhmischen Musikern in Niedersachsen oder in Böhmen übernahmen. Allerdings ist nicht belegt, ob es sich bei diesen Musikern um wirkliche ,Klesmorim' handelte. Ebenso wenig vermögen auch Titel und Inhalte der Stücke in den handschriftlichen Notenbüchern der ,Klesmorim' aus Salzgitter keine Hinweise auf irgendeine wie auch immer geartete Verwandtschaft mit jüdischen Ursprüngen aufzuzeigen."

Rubins und Ottens ausführlichst recherchierte Klezmer-Musik führt den Leser von der funktionalen Einbettung in das jüdische Ritual bis zur ästhetisierten und kommerzialisierten Form. www.baerenreiter.comDie bunte, schräge, anarchische Musik aus jiddischen, Jazz- und Rock-Elementen, die der World Music-Markt heute als "Klezmer" für die sinnsuchende Gesellschaft bereitstellt, ist die traditionelle Hochzeits- und Festmusik des osteuropäischen Judentums. Aus den geordneten Musikformen der hochmittelalterlichen deutsch-jüdischen Musiktradition entwickelt sich in Wechselwirkung mit den improvisatorischen Formen Melodien ost/südosteuropäischer Kulturen der spezifische Stil der Klezmorim: Eine lamentierende Melodie und ein lebhafter Tanz, Klage und Jubelschrei. Die Kompositionen sind meist einfach, werden jedoch mittels Ornamentierung, Phrasierung und Artikulation kunstvoll verziert. Die traumatischen Massaker des Kosakenführers Chmielnicki (1648/49) mögen ihre tiefe Spur in der Musik als "Krechzn" (Stöhnen) hinterlassen haben.

Familiennamen wie Fiedler, Geiger oder Bass zeugen von der Vorliebe für Saiteninstrumente. Im Laufe des 19. Jhds. erobert sich die Klarinette (dem Nürnberger Instrumentenbauer Johann Christoph Denner um 1690 zugeschrieben) ihre Führungsrolle. Dazu gesellen sich die metallischen Klänge der Trompeten, Posaunen und Althörner, Vorboten von Krieg und Revolution des kommenden 20. Jahrhunderts. In den Augen ihrer christlichen Nachbarn sind die Klezmorim jedoch nur gemeine Spielleute und kahle Bierfiedler. Es trifft sie sogar eine frühe Form der "Ausländersteuer":

"Ebenso wie die extrem hohe Besteuerung ausländischer Musiker insbesondere für die kleinen und mittleren Künstler Gastspiele im heutigen Deutschland zu einem Zuschußgeschäft gemacht hat, von dem die inländischen Künstler profitieren, waren die Lejtsim [Hanswurst] verpflichtet, ihre ohnehin mageren Einkünfte mit dem Schutzherrn oder mit den zugelassenen christlichen Musikanten zu teilen."

Von Antisemitismus und Pogromen zur Auswanderung getrieben, insbesonders in die Vereinigten Staaten, wird New York zur jiddischen Metropole und zur größten jüdischen Stadt der Welt. Die Klarinette von David Tarras zerfällt bei der Desinfizierung in Ellis Island in ihre Einzelteile: Forget your past, your customs, and your ideals. Do not take a moment's rest. Run. Do. Klezmer entwickelt sich vom Mysterium zur Party. Naftule Brandwein spielt für die Huren und Gangster der Lower East Side. Er tritt in einem "Onkel-Sam-Anzug" auf (rot, weiß und blau mit Neonlichtern) und kommt bei einem Kurzschluss fast um. Gleichzeitig verkleidet sich Joseph Cherniavskys "Yiddish American Jazz Band" als Chassidim [Fromme] mit falschen Schläfenlocken und Bart, aber auch als Kosaken - den ehemaligen Verfolgern! Gespielt wird für alles und jeden:

"Der smarte Willie Epstein erinnert sich an eine Zigeuner-Totenwache. Es war in einem Keller in Coney Island, vor dem biertrinkende Angehörige saßen. In einer Ecke des winzigen Raumes befand sich der reich dekorierte Sarg eines Zigeunerkönigs, bedeckt mit Diamanten, neben ihm die beiden Frauen des Verstorbenen, eine davon mit einem Säugling an der Brust. Willie und sein Bruder Chi spielten James Thorntons Schlager ,When You Were Sweet Sixteen' und ,I Can't Give You Anything But Love, Baby', und die Frau mit dem Kind und die Ältere tanzten vor dem Sarg."
Der American Way of Life fordert jedoch seinen Tribut. Die Kinder und Enkel der Einwander empfinden die Melodien als unzeitgemäß. Marty Levitt erinnert sich:
"Mein Vater brachte mir bei, der perfekte Klezmer zu sein. Ich mußte jede Woche einen neuen Bulgar lernen, sonst bekam ich nichts zu essen. Nachdem ich um die 2000 Bulgars kannte, wollte keiner sie mehr hören. Und als die Leute begannen wegzusterben, fingen sie an, die Band zu reduzieren. Es waren dann vier Pieces (Instrumente), drei Pieces. Und dann ein Jahr ruft die Präsidentin [der Uschatner Ladies Auxiliary] mich an und sagt, ,bitte, schick uns einen Mann, einen Akkordeonisten. Nur ich und die Sekretärin sind noch am Leben' ..."

Aussenseiter unter Aussenseitern nennt Joshua Horowitz (Budowitz, Rubin & Horowitz) das Akkordeon. Der durch Schellackaufnahmen bekannte Grigori Matusewitch scheint einer der ersten Akkordeonisten in der jüdischer Musik gewesen zu sein. Noch in Minsk handelt er einem tatarischen Straßenmusikanten für eine Flasche Wodka eine Concertina ab. Die damaligen Unzulänglichkeiten der Instrumente kommen dem Verzieren der Melodien entgegen. Der begrenzte Luftvorrat dämpft die Notenvorschläge automatisch so ab, wie sie idealerweise klingen sollten. Wenig karriereförderlich jedoch wirkt sich Matusewitchs Abneigung gegen das Radio aus. Er will dort nicht auftreten, weil Leute Rundfunk hören, während sie auf der Toilette sitzen. In Israel etabliert sich das Akkordeon dann als Instrument der Kibbutzbewegung und nimmt im Klezmer-Revival eine wichtige Rolle ein.

www.schott-music.com "Die Erfindung des Akkordeons im Jahr 1829 in Wien markierte einen historischen Einschnitt. Das Akkordeon läutete ein neues demokratisches Zeitalter der Musikgeschichte ein, weil es erstmals jedermann erlaubte, aktiv am Musikleben teilzunehmen. Die beiden komplementären Eigenschaften des Instruments (Akkordkopplung mit den dazu passenden Tonleitern) machten die Ziehharmonika zu einem geschlossenen Spielwerk, das mit minimalen Mitteln einen maximalen Effekt garantierte. Als Prototyp einer Ein-Mann-Kapelle konnte die Ziehharmonika problemlos ein komplettes Volksmusikensemble ersetzen und war auch in der Lautstärke jedem herkömmlichen Saiteninstrument überlegen. Die Erfindung des Akkordeons war die Geburtsstunde der populären Musik."
Sagt Christoph Wagner, Autor von Das Akkordeon oder die Erfindung der populären Musik. Die chinesische Mundorgel Sheng ist schon auf vorgeschichtlichen Piktogrammen abgebildet, in Europa wird die Tonerzeugung durch eine freischwingende Zunge erst um 1770 bekannt. 1829 wird das Akkordeon von Cyrill Demian in Wien erfunden (nur wenige Jahre nach der Mundharmonika am selben Ort, und, wen wundert es, Christoph Wagner hat auch darüber ein Buch geschrieben). Schon 1840 hieß es in Leipzig, es sei das Instrument mit welchem die liebe Jugend häufig auf offener Straße sich zu amüsieren pflegt. Obwohl es der Gegenstimmen viele gab gegen die die eisige böse Zugluft aus den Bälgen der Harmonikas:
"Da wo das Akkordeon den Dudelsack ersetzt, triumphiert das Tohuwabohu über die alten Tänze." - "Diese Instrumente geben unseren heimischen Zusammenkünften, die einst voll sanfter Intimität waren, den Charakter eines Radauspektakels." - "Tod diesen Kästen aus dem Ausland, die vielleicht gut genug sind, um Bären zum Tanzen zu bringen, aber absolut unwürdig, die Beine unserer charmanten Mädchen tanzen zu lassen." - "Verjagen wir aus unseren Bergen das grässliche und banale Akkordeon, diese sich einschmeichelnde Prostituierte!"
G.B. Shaw fordert: Der Besitz von Concertinas sollte ähnlich hart bestraft werden wie der von Dynamit. Hobbymusiker, die üben wollen, sollten, solange sie kein Prüfungsdiplom vorlegen können, in einem Umkreis von vier Meilen aus dem Ortskern verbannt werden. Erfolglos. Die Quetschkommode trat den Siegeszug an:
"Der böhmische Bandleader und Konzertinaspieler Hans Wilfahrt, der 1893 in New Ulm zur Welt gekommen war, einer deutsch-böhmischen Siedlung in Minnesota, die wegen ihres hohen Anteils an Musikern auch ,Oompah Town' genannt wurde, erlangte in den 1920er-Jahren mit seinem Whoopee John Wilfahrt's Concertina Orchestra größere Bedeutung. Ihr ,famous oompah beat', der sich aus schweren Blechblasmelodien und Marschrhythmen von Schlagzeug und Konzertina zusammensetzte, gewann immer mehr Freunde, wozu sicher auch die ausgelassene Bühnenshow in Lederhosen und Tirolerhut beitrug. In ihrer über 30-jährigen Karriere nahm die Gruppe mehr als 150 Schellackplatten auf, darunter drei Millionenhits. Nur während des 2. Weltkriegs litt die Popularität ein wenig, als die deutschstämmigen Musiker der Illoyalität verdächtigt wurden. Die allgemeine Hysterie kulminierte in Gerüchten, wonach der Schlagzeuger der Gruppe beim Auftritt Morsezeichen über amerikanische Truppenbewegungen an im Auditorium tanzende Nazi-Spione trommeln würde, was so glaubhaft klang, dass einige Kneipenbesitzer die Schallplatten der Band aus den Musikautomaten nahmen."
1929 will
Hugo Herrmann das Akkordeon aus der Sackgasse der tötenden Langeweile von Kitsch und Schund befreien und die improvisatorische wilde Spielart in geordnete Bahnen lenken. Er komponiert die erste konzertante Komposition für chromatisches Akkordeon (und ein Arrangement des Horst-Wessel-Liedes). Heutzutage kommt man am Knopf- oder Tasten-Akkordeon, an Melodeon oder Konzertina nicht mehr vorbei, sei es in Jazz & Pop und natürlich allen Arten der Folk- und Roots-Musik, ob in England (Karen Tweed, Andy Cutting, John Jones, Chris Sherburn), Schottland (Phil Cunningham, Sandy Brechin, Simon Thoumire), Irland (Joe Burke, Aidan Coffey, Sharon Shannon, Dermot Byrne), Spanien (Kepa Junkera), Finnland (Kimmo Pohjonen, Maria Kalaniemi), Deutschland (Wenzel, Stefan Hiss, Johannes Mayr) oder Österreich (Anton Ernst und Walter Soyko, Hubert von Goisern), um nur einige zu nennen.
"Das Paradoxe war, dass die Ziehharmonika als ehemaliger Innovator und Traditionszertrümmerer nun zum Symbol der Tradition verklärt wurde. Sie wurde zum Gegenbild einer entmenschlichten Moderne, in der Computer, Sampler und Soundmaschinen die Musik bestimmen."

Für jedes Klima geeignet werben die deutschen Quetschen-Hersteller. Als der Forschungsreisende Heinrich Barth, eine Harmonika im Gepäck, um 1850 am Niger angelangt, muss er feststellen, dass diese zivilisatorische Errungenschaft ihm zuvorgekommen ist. Die Concertina ist bis heute das wichtigste Folkinstrument der Buren. Tanzfeste mit Konzertinabegleitung sind die einzige Abwechslung der schwarzen Arbeiter in den Slums der Gold- und Diamantenminen. Die Missionare setzen das Akkordeon beim Gottesdienst ein: Wir führten das Instrument auf unseren Zeltreisen ins weite Stammesgebiet mit uns, um durch allerlei schöne Weisen die braunen Heiden herbeizulocken ...:

"Mit ABC und Fibel zog das deutsche Lied auch ein.
Und statt der Tamtamtam-Musik erschallt die Wacht am Rhein.
Das ist der Pädagogik-Sieg im fernen Afrika?
Jetzt steht der stumpfe Negerbub den Denkern geistig nah."

sangen die Apologeten des deutschen Kolonialismus Ende des 19. Jhds. Während Eltern ihre Kinder in "Schutztruppen-Uniformen" stecken, versuchen sich selbige mit Branntwein, Krupp und Mausergewehr an der Ermordung ganzer Völker. Die Ermordung des Kaiserlich Deutschen Gesandten Clemens von Ketteler in Peking 1900 löst Wilhelms II. berüchtigte "Hunnenrede" aus: Pardon wird nicht gegeben, Gefangenen werden nicht gemacht! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagen wird, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen. Die deutschen Besatzungstruppen (wir sind Berlina und ziehn nach China) erweisen sich als gehorsame Untertanen. Bezeichnenderweise befindet sich Kettelers Denkmal im Münsteraner Schlossgarten, selbiges ist Sitz der Universität, die immer noch nach Wilhelm II. benannt ist und (auch bezeichenderweise) am "Hindenburgplatz" gelegen ist.

"Als wir Anfang der 80er Jahre mit den Vorarbeiten zu unserem ,Militärliederbuch' begannen, war die welthistorische Lage noch eine völlig andere. Der ,Eiserne Vorhang' teilte die Welt noch in zwei sich anscheinend unerbittlich verfeindet gegenüberstehende Teile und in Deutschland wurden erbitterte Diskussionen wegen der geplanten und später durchgeführten Nachrüstung US-amerikanischer Pershing-Raketen und Cruise Missiles geführt. Äußerer Anlaß für unser Projekt waren dabei dann nicht zuletzt die Bemühungen verschiedener Politiker und Parteien, in unserer Gesellschaft ,Traditionspflege' für die Bundeswehr zu betreiben und wieder in aller Öffentlichkeit Feierliche Gelöbnisse von Soldaten mit Großem Zapfenstreich durchführen zu lassen." (Uli Otto)
Willkommen im 21. Jahrhundert! Öffentliche Gelöbnisse sind mittlerweile alltäglich geworden, Militäretat und Rüstungsexporte erfreuen sich bester Zuwächse, Krieg gilt wieder als normales Mittel der Aussenpolitik und der "Bürger in Uniform" ist jedes Wochenende zugeballert im Zug zu beobachten. www.nmz.de/conbrio/ Manchmal singt er. Wenn es kein aktueller Schlager oder ein zeitloses Sex- und Sauflied ist, erklingt immer noch das "Panzerlied" (1933) oder ein anderes der NS-Lieder, die im 1991 von der Bundeswehr herausgegebenen Liederbuch "Kameraden singt!" zu finden sind. Die Melodie entstammt einem antisemitischen Kampflied: Parole, sie bleibet: Die Juden hinaus! Immerhin heißt es heute nicht mehr Was nutzet unser Leben für unsres Reiches Wehr, für's Hakenkreuz zu sterben ist unsere höchste Ehr. Denn:
"In der Truppe dürfen Lieder nicht gesungen werden,die Eroberungsgedanken zum Ausdruck bringen sowie geeignet sind, das nationale Gefühl der Verbündeten zu verletzen, den Krieg durch gefühlsbetonte Äußerungen zu verherrlichen und/oder ein überhebliches Pathos zu pflegen." (www.bundeswehr.de)
Schön das. Ich hatt' einen Kameraden, nach dem populären Lied von Ludwig Uhland (1809, Melodie: "Ein schwarzbraunes Mädchen hat ein'n Feldjäger lieb", vom 3/4-Takt in einen Marsch umgeschrieben), demonstriert an 455 Liedbeispielen mit umfangreiche Erläuterungen, beginnend im Jahre 1740 (Regierungsantritt Maria Theresias und Friedrichs II.), dass Lieder nicht nur Spiegel der Zeit und historische Quelle sind, sondern immer wieder auch zu Motiven, Impulsen für die Aktion: für soziales und politisches Handeln werden. Kampfgesänge, in denen Krieg und Soldatentum verherrlicht werden, entfachen Gemeinschaftsgefühl, Durchhaltewillen und Kampfbegeisterung: Sollt' ich einem Bauern dienen, Und mein Brod mit Schweiss verdienen? (1836)

"Der Bismarck hat's g'spunna, der Moltke hat's g'richt,
Das wird für d' Franzos'n a z'widerne G'schicht.
Und so an Araber, an schwarz'n wenn i sieg,
Den nimm i als G'schlaf'n mit hoam nach'm Krieg.
Da sauf i Champagninga, friss Trüff'ln g'rad g'nua,
Die französisch'n Mad'ln miass tanz'n dazua." (1870)

Hasstiraden wie die postpubertile Lyrik von Wein, Liebe, Schwert und deutscher Eiche des Freischärlers Theodor Körner (nach dem Bundeswehrkasernen benannt sind):

"Was Völkerrecht? Was sich der Nacht verpfändet ist reife Höllensaat!
Denkt unsres Schwurs, denkt der verratnen Bruder und sauft euch satt in Blut!
Lasst nicht des Mitleids feige Stimme siegen, stoßt' ohn' Erbarmen drein!
Ha, welche Lust, wenn an dem Lanzenknopfe ein Schurkenherz zerbebt,
Und das Gehirn aus dem zerspaltnen Kopfe am blutgen Schwerte klebt!
Gott ist mit uns! Wir türmen dir die Hügel ihrer Leichen zur Pyramide auf." (um 1813)

Soldatenlied, Soldatenleid! Nicht nur dass die Zivilbevölkerung in den Revolutions- und Volkskriegen durch Einquartierung, Besatzung, Plünderung, Vergewaltigung und Ermordung betroffen ist, diejenigen, die in die Hände der Werber fallen und ihre Haut zu Markte zu tragen haben, erleben Kasernen-Drill, Misshandlungen, Desertion, Spießrutenlaufen, Hinrichtungen, Ungeziefer, Krankheiten, Hunger, Trennung von Familie und Freunden, sexuelle Enthaltsamkeit, Brutalität, Invalidität und Tod. Kurz gesagt: Ein Hundeleben!

"Mit jammervollen Blicken und tausend Sorgen schwer
Geh ich an meinen Krücken die weite Welt umher!
Ich war ein tapfrer Krieger und manchem Soldaten lieb,
Ein auserwählter Sieger: Jetzt aber - Invalid.
Mir drohten oft Geschütze den fürchterlichen Tod,
Bald trank ich aus der Pfütze, bald aß ich Schimmelbrot.
Ich rat' euch's, Brüder alle, folgt nicht der Trommel Ton
Und dem Trompetenschalle, sonst kommt ihr in meinen Lohn!" (19. Jhd.)

Lieder vermögen historische Quelle bis ins kleinste Detail zu sein, z.b. das 56-strophige "Der Siebziger Kriag" (1870/71). Georg Hegensteiner beschreibt den Aufmarsch der bayrischen Soldaten in den Frankreichfeldzug, den Kriegsalltag (das Essn is a oft wenig, wern i recht nachidenk, und dös schwahr Dragn dazua, Elend hast gnua), Gefechte (und dö schwarzn Türkn was dö Wildn sand, müassn uns gschiecha haben, weils gloffa hand), die Gefangennahme Napoleons (Gelt Kaiser, jetz bist gstellt, ist a da Karrn aufgeschnellt und da Gaul a umgfain, zwirra Franzosn Schnain). Hegensteiner bedauert die französischen Bauern (dö französischn Bauern, hamd a oft so gschaugt, dene hat dös verflucht Requariern nöd recht taugt). Er zeigt Verständnis für die sich ständig erhöhenden Preise der Kriegsprostituierten (d' Matrazen gehen zgrund, wennst a mal allwei so forttuast a Stund), kann jedoch auch voll Schadenfreude sein, wenn er über das Ohr gehauen wird (dö wern a moi schaugn in dreiviertel Jahr, wird öa doch nix mehr taugn). Aber bei Hegensteiner geht die Liebe durch den Magen: Mir is dös Liebste da Lebensmittl Wagn.

Schon damals wandte man dieselben Methoden wie heute an, um den Militärapparat zu finanzieren: "Rauchen für den Frieden"!

"In unserm Reich gibt's oft 'ne Steuer.
Wo anders ist's oft bill'ger, wie bekannt.
Grad' unser Vaterland ist etwas teuer,
Daher der Name: Teures Vaterland.
Auch die Zigarr'n will man jetzt noch verteuern,
Da steck' ich keinen Stengel mehr in Brand,
Dann spar' ich Geld. Wodurch? Durch neue Steuern.
Das dank' ich Dir, mein teures Vaterland." (ca. 1906)

Das ein oder andere Lied ist von Zupfgeigenhansel, Liederjan und Konsorten bekannt. Einige Balladen sind auf Alben zu finden, die im Laufe der Zeit rezensiert worden sind: "Die große Hungersnot" (ein Lied aus dem 30jährigen Krieg, wenn ich mich nicht irre), "Folgt nicht der Trommel Ton" (um 1800), "Das Blutgericht" und das "Badische Wiegenlied" (1840er), "Der Räuber-Hauptmann von Köpenick" (1906). Auf der beiliegenden Doppel-CD sind 36 Lieder von der Passepartout GmbH eingespielt worden. Bei einigen nicht-überlieferten Melodien griff man auf norwegische, irische und schottische Weisen zurück: "'s ist alles voller Falschheit" (1813/14) hat die Melodie von "The Bonny Light Horseman" verpasst bekommen, einer irischen Klage über den Verlust des Geliebten in der Schlacht von Waterloo (siehe z.B. die Aufnahme von Lynch the Box). Aus den "Lakes of Pontchartrain" (z.B. Full Moon Ensemble)), ein Liebeslied vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Bürgerkrieges, wird "Ich zog zum fernen Afrika", aus "Bonny Woodhall" (Niamh Parsons) "Nun hütet euch, ihr Fürsten" über den 1848 in Wien füsilierten Frankfurter Paulskirchenabgeordneten Rober t Blum, aus "Mo Nighean Donn Bhoidheach" (Mary Jane Lamond) "Steh ich in finstrer Mitternacht" (1848, siehe auch Leipziger Folksession Band).

Die Sammlung endet 1914, damit werden uns NS-Liedgut und dessen Tradierung in die Bundeswehr erspart. Wenn es an dem Mammutwerk, vergleichbar in seiner Bedeutung mit Wolfgang Steinitzs "Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters", etwas zu meckern gibt, dann nur ein nicht-vorhandenes alphabetisches Liedverzeichnis. Und bei dem Preis wird es leider wohl nur für Bibliotheken und Enthusiasten erschwinglich sein.

Soldaten kommen viel herum. Und mit ihnen ihre Lieder und Melodien. Als die Napoleonischen Armeen 1812 Lubavitch passieren, begrüßen die Chassidim Napoleon als ihren Befreier: Einer der wenigen Diktatoren, deren sich die Juden ohne Zorn erinnern. (Abba Eban) Der Rebbe stellt fest, einer der französischen Märsche besäße einen nitzotz shel k'dusho (Funken Heiligkeit) und bittet die Gläubigen die Melodie an Yom Kippur (Versöhnungstag) zu singen. Bis heute kann man "Napoleons Marsch" in Lubavitcher Synagogen hören. Und das bringt uns zum Anfang unserer Betrachtungen.

Es ist die 68er-Generation, die die alten Schellack-Platten der emigrierten jiddischen Musiker auf verstaubten Dachböden wiederentdeckt. The Klezmorim eroberten mit ihren Blechblasinstrumenten und schnellen Tempi die Musikwelt im Sturm und trafen mit ihrem Auftreten als unbekümmerte, wilde jüdische Straßenmusikanten direkt ins Herz des Zeitgeistes. Dem Klezmer-Revival und der gegenwärtigen Klezmer-Szene vermögen Ottens und Rubin allerdings nicht viel abgewinnen:

"So wurden vornehmlich diejenigen Melodien und Schlager von der Revival-Szene aufgegriffen und erneut zu Hits gemacht, die einst auf der Nahtstelle zwischen der Alten und Neuen Welt als Unterhaltungskultur der jiddischsprachigen Unterschichten der Lower East Side entstanden waren. Die durch die Repertoirewahl und Spielweisen wegfallende ,Umetikeit' [Traurigkeit], das Lamentierende, und der Verlust von Verzierungen, Improvisationen und unregelmäßigen Rhythmen, die die Klezmer-Musik des Vorkriegs-Europas einst auszeichneten, drücken eine Distanz zur Alten Welt aus, die sich vielfach durch die künstlich emotionalisierte Vortragsweise und witzig-verniedlichende Präsentation noch verstärkt. Wird die Musik aber nur fröhlich, entgleitet sie zur schrillen Zirkus-Musik, zum Comic, und verliert mit dem Lamentierenden, Klezmerischen auch ihre jüdische Substanz."
In Deutschland werde die Musik der ehemaligen Untermenschen von den Enkeln des Herrenvolks gespielt und sei eine Art Ersatzkultur für die durch die Nazidiktatur beschmutzte eigene Musik.
"Dazu ausersehen, das jüdische Vakuum in Europa auszufüllen, das die Shoah hinterlassen hat, beginnt sie als Symbol für das Judentum eine Rolle in der populären Kultur zu spielen, wobei ihr ein verdächtiges Übermaß an Wohlwollen und Bewahrungsbekundungen seitens des Publikums und der Medien zuteil wird - was könnte einer Musik Schlimmeres passieren!" "Klezmer- und jiddische Musik [haben] in Deutschland durch Verklärung, Nostalgie, Apolitisierung und schablonisierte musikalische Elemente eine ähnliche Funktion wie die Heimatmusik erhalten. Die Kostümierung als chassidischer Talmudschüler erinnert an die stilisierte Tracht der Wildecker Herzbuben."
Ein Versuch, jüdische Musiktraditionen in allen ihren Formen näherzubringen (mit Hintergrundinformationen und ausführliche Erläuterungen, (Kurz)Biograpien, Notenbeispielen und Hörbeispielen auf einer beiliegender CD), ist Ottens und Rubins Jüdische Musiktraditionen. Musikpraxis in der Schule. Das Credo: Es gibt keine jüdische Musik, sondern vielmehr zahllose, sehr verschiedenartige Musiktraditionen mit regionalen Ausprägungen auf verschiedenen Kontinenten. Diese können den jeweiligen jüdischen Gemeinschaften zugeordnet werden, die nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 70 unserer Zeit in der Diaspora entstanden: liturgischer Gesang, religiöse und säkulare Volkslieder von Berlin bis Jemen, osteuropäische Instrumentalmusik (Klezmer), US-Popularformen wie jiddische Operette und Vaudeville, Ghetto- und Widerstandslieder, zionistische Lieder, moderne israelische Popmusik.
www.bosse-verlag.de "Die Texte in der orthodoxen Popmusik [bestehen] aus Zitaten aus den heiligen Schriften, daneben entstehen aber auch neue Liedertexte in Jiddisch oder Englisch. Meist wird darin ein religiöses Ereignis oder ein Prinzip beschrieben. Nirgendwo ist von romantischer oder gar sexueller Liebe, viel jedoch von der Liebe zum Höchsten oder von der innigen Verbindung zu den Vorvätern Abraham, Isaac und Jacob die Rede. Orthodoxe Juden schöpfen aus ihrer Kultur und borgen von ihrer nichtjüdischen Umgebung, sofern es ihrer religiösen Auffassung entgegenkommt. Schon im Jahre 1970 gehörte eine Version des Schlagers ,Delilah' des walisischen Sexidols Tom Jones zum Repertoire auch der frommen Männer. Eines der interessantesten Beispiele der Aneignung von nicht-jüdischen Melodien in den letzten Jahrzehnten bleibt jedoch die Umwandlung der Disco-Nummer ,Dschingis Khan' von Ralf Siegel. Mitte der achtziger Jahre schrieb Mordechai Ben David dann einen jüdischen Text zur Melodie. Zu dem Lied ,Jidden' wurde ein orthodoxer Tanz choreographiert, dessen Schritte von einem Disco-Tanz übernommen wurden. Dieser wiederum gehörte ursprünglich zu dem Disco-Hit ,Making It'."
Was es nicht gibt: Kein Helmut Kohl, der fröhlich zur jiddische Partisanenhymne "Sog ni kejnmol, as du gejst dem letztn weg" (1944, Wilnaer Ghetto) in die Hände klatscht - eine Melodie, bei der sich Juden erheben, um der Opfer der Schoah zu gedenken. Kein Giora Feidman, der anläßlich der 50. Gedenkfeier der Befreiung von Auschwitz Musik von Richard Wagner zwischen den Pritschen spielt. Feidman meint denn auch noch peinlicherweise, dass die Juden ihre beste Musik in den Konzentrationslagern geschrieben haben. Darauf der Interviewer: Waren die KZs der Klezmer-Musik förderlich?

Nu? Bei uns in Israel gibt es kein Klezmer-Revival. Es ist überhaupt nicht nötig, da das ganze Leben mit jüdischer Kultur und jüdischem Leben ausgefüllt ist. Da möchte man als "Goj" doch glatt verstummen. Nur was oder wem nützt die reine Lehre, wenn der Musik keiner mehr zuhört? Praktizierende Musiker interessieren sich meist eh nicht für derartige akademische Debatten. Man muss aber auf alle Fälle wertschätzen, einmal darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie weit das, was sich heute Klezmer nennt, von den historischen Traditionen entfernt ist. Und so sitze (oder liege vielmehr) ich zwischen zwei unbequemen Stühlen. Auch Buchrezensionen sind mitunter kein weiches Rosenlager, sondern ein Prokrustes-Bett. In diesem Sinne: Schpil, Klezmer, schpil! T:-)M


Bundesministerium der Verteidigung, Führungsstab der Streitkräfte (Hg.), Kameraden singt! - Liederbuch der Bundeswehr. Voggenreiter, Bonn, 1991, ISBN 3-8024-0204-9, 192 S.
Ottens, Rita & Joel Rubin, Jüdische Musiktraditionen - Musikpraxis in der Schule. Gustav Bosse Verlag, Kassel, 2001, ISBN 3-7649-2694-3, Taschenbuch Din A4, 120 S, EUR24,95 (mit CD).
Ottens, Rita & Joel Rubin, Klezmer-Musik. Bärenreiter/dtv, Kassel, 1999, ISBN 3-7618-1400-3, Taschenbuch, 335 S, EUR11,-. (Begleit-CD: "Oytsres Treasures. Klezmer Music 1908-1996", Wergo/Schott SM 1621.)
Otto, Uli & Eginhard König, ,Ich hatt' einen Kameraden...' - Militär und Kriege in historisch-politischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914. ConBrio, Regensburg, 1999, ISBN 3-932581-14-8, Taschenbuch, 934 S, ca. EUR100,- (inkl. Doppel-CD).
Wagner, Christoph, Das Akkordeon oder die Erfindung der populären Musik - Eine Kulturgeschichte. Schott, Mainz, 2001, ISBN 3-7957-2361-2, gebunden, 350 S, EUR29,95. (Begleit-CD: "Global Accordion. Early Recordings 1920s-1940s", Wergo/Schott SM 16232.)
Wagner, Christoph (Hg.), Die Mundharmonika - Ein musikalischer Globetrotter. Transit, Berlin, 1996, ISBN 3-88747-110-5, gebunden, 216 S. (Begleit-CD: "Black & White Hillbilly Recordings. Early Harmonica Recordings from the 1920s & 30s", Trikont CD-0226-E/U.)

 


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 2/2002

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