FolkWorld Artikel von Michael & Christian Moll:

Der Bulle im Porzellanladen

Geschichten der Sands Family aus Nordirland


The Sands Family; photo by The Mollis "Es war in Ryan, im Gebiet des Ortes Ryan, nahe dem kleinen Dorfe von Mayobridge,nahe der Stadt Newry in County Down, am Fuße der äußeren Hügel der Mourne Mountains. Dort wuchsen wir auf einem Bauernhof auf; wir waren sieben Kinder und die Eltern. Es war ein sehr kleiner Hof, vielleicht zehn Hektar oder weniger; deswegen mußten wir sehr hart arbeiten, und hatten auch nie Geld im Haus. Wir konnten uns unmöglich Musikinstrumente kaufen, und so waren wir sehr glücklich, wenn jemand mit seinem Instrument vorbeikam, und wir ihn auffordern konnten: Gib uns dein Instrument, wir wollen sehen, ob wir darauf spielen können."

Wenn Ben Sands von seiner Kindheit erzählt, klingt es zuerst wie ein verträumtes Märchen. Doch es werden im folgenden auch noch haarsträubende Geschichten kommen....

Der Vater der sieben Sands-Kinder spielte Fiddle, die Mutter Akkordeon. Und es kamen regelmäßig Nachbarn ins Haus, zu den sogenannten Ceilis; die Leute würden abends kommen und Geschichten erzählen oder Lieder singen. "Wir hörten das alles als kleine Kinder. Es war die einzige Unterhaltung für die Abende damals; und in dem Alter dachte man, das ist so, wie es immer bleiben wird, das ist das Leben.", meint Colum.

Im Hause gab es keinen Fernseher, aber doch ein Radio. Ben: "Das tat aber nicht so gut, weil einmal - wir hörten uns gerade einen Boxkampf an, und der Mann, den wir gewinnen lassen wollten, wurde schließlich ausgezählt; und mein Vater hatte ein Messer - er saß gerade am Tisch beim Abendessen, das Radio war auf dem Tisch - mein Vater hob das Messer: 'Sei still!', und machte so das Radio still. Deswegen hatten wir dann kein Radio mehr für etwa zwei Jahre, und mußten uns selbst unterhalten."

Die Kinder fingen allmählich an, selbst Musik zu machen. Ben z.B. fing mit etwa sieben an mit dem Piano, später auch Fiddle und vieles mehr. Colum begann erst mit vierzehn, Musik zu machen; auf der Fiddle. Irgendwann kam einer der Brüder (wir erhielten von Ben und Colum unterschiedliche Angaben, wer es war...) mit einer Gitarre an; Vater Sands hatte vorher noch nie eine Gitarre gesehen gehabt,"er war sich nicht sicher, ob das wirklich ein Musikinstrument ist". Aber schon bald hatten die Kinder heraus, mit der Gitarre Fiddlemusik zu begleiten, und beherrschten bald auch dieses Instrument. - Die Einflüsse der Sands-Musiker sind "eine Mischung aus dem Überlieferten der Eltern und dem 60er Folkrevival, das da aus dem Radio kam".

Zu jenen Ceilis schrieben die Sands-Kinder damals nach und nach auch Lieder, meistens einfach über irgendetwas, was in der Gegend passiert war. Colum erinnert sich an ein Beispiel: "Im Dorfe von Mayobridge lebte eine alte Frau, die einen Porzellanladen hatte. Eines Tages gingen eine Herde Kühe und ein Bulle am Laden vorbei, und irgendetwas erschreckte den Bullen - ich weiß nicht, was genau passiert war - jedenfalls sprang er in das Schaufenster des Ladens. Und wir sagen hier zu jemanden, der ungeschickt ist, 'er bewegt sich wie ein Bulle im Porzellanladen'. Und hier hatten wir einen echten Fall vom Bullen im Porzellanladen, und wir schrieben ein Lied darüber. Ich glaube, wir schrieben zuerst nur Lieder, um den Leuten eine Geschichte zu erzählen. Und es war eine natürliche Entwicklung der späten 60er, als das Civil Rights Movement in Nordirland begann, daß wir auch Lieder über die politische Situation schrieben."

The Sands Family; photo by The Mollis Bald fingen sie an, auch in örtlichen Dorfhallen und Pubs zu spielen. Damals waren fünf in der Gruppe: Tommy, Ben, Colum, Anne und Eugene. In den späten 60ern entschlossen sie sich, an der All Ireland Ballad Group Competition in Dublin teilzunehmen, und sie gewannen. Der Preis war, für drei Wochen in New York zu spielen. Sie kamen dort sehr gut an, und wurden bald wieder eingeladen. Sie trafen bei einem Konzert in Boston Hamish Imlach, der ein guter Freund der Family wurde, und der empfahl ihnen, in Deutschland zu touren, denn dort sei die Szene zur Zeit sehr gut. Daraufhin spielten sie auch in Deutschland, sowohl im Westen als auch im Osten (u.a. auf dem Festival des politischen Liedes in Ostberlin).

Das Jahr 1975 war tragisch: Eugene - oder Dino, wie er genannt wurde - kam bei einem Autounfall in Deutschland ums Leben; der Rest der Sands Family war sehr betroffen, keiner wollte mehr touren.
Nach einiger Zeit fingen sie aber wieder an, ab und zu zu touren, allerdings nicht mehr als Full-time Musiker; drei Wochen sind heute in der Regel die längste Tourzeit - Ben: "nach drei Wochen bekommen wir immer Heimweh nach Irland, nach den Familien, danach, das Meer zu sehen..."

1996 war ein erfreulicher Meilenstein der Sands Family: Zum ersten Mal seit 15 Jahren war Anne Sands wieder mit ihren Brüdern auf einer Deutschlandtour. Sie hatte mit Touren aufgehört, weil sie ihren zwei Töchtern soviel Zeit wie möglich geben wollte, solange sie noch sehr jung waren. 1996 meinte sie, daß die Zeit reif wär, um wieder mitzutouren. "Meine Kinder sind keine 'Kinder' mehr, und ich bekam heiße Füße, wieder 'on the road' zu gehen. Und es war großartig, wieder zu touren, alte Freunde von damals wiederzusehen und natürlich auch viel neue Leute und Orte kennenzulernen."

Inzwischen haben alle der Sands Family - Anne, Colum, Tommy und Ben - auch ihre eigenen Familien gegründet. Wird denn nun die Tradition und die Musik auch in die nächste Generation weitergereicht?
Colum: "Ich habe vier Kinder. Sie sind alle interessiert an traditioneller Musik. Es ist etwas wie es bei mir war - ich glaube, zuerst ist alles um sie herum, und sie zeigen kaum Interesse. Und ich will sie bestimmt nicht dazu zwingen, Musik zu machen. Meine Tochter hat angefangen, Piano zu spielen; sie spielt Fiddle und Whistle. Und die Jungens - ich glaube, sie könnten noch Interesse bekommen, aber sie sind sicherlich noch nicht schrecklich interessiert. Aber wenn es ein Konzert gibt, dann kommen sie auch, um es zu sehen. Mal sehen, was passiert."
Annes Kinder sind interessiert in allen möglichen Musikrichtungen inklusive Irish Folk; Eimear lernt Flöte und Sorcha spielt Tin Whistle. Tommys Sohn Fionan spielt Gitarre, und seine Tochter Moya Fiddle und Tin Whistle. Ben erzählt: "Kelly ist - ich glaube 25 oder so, fast so alt wie ich bin, sie spielt Piano, Gitarre und Whistle. Und meine jüngere Tochter, die 17 ist, ist eine sehr gute Musikerin, sie spielt Fiddle und kann fast jedes andere Instrument spielen, das sie spielen will. Meine beiden Töchter sind sehr interessiert daran, die Tradition aufrecht zu erhalten."


Dieser Artikel wurde vor einigen Jahren bereits im Folkblatt veröffentlicht, und ist hiermit zum ersten Male in überarbeiteter Version im Internet zu lesen.

Weitere Infos/Kontakt: e-mail Tommy.

Photo Credit: The Sands Family; Ben, Tommy, Ann, Colum; Photos by the Mollis


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 5/99

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