FolkWorld Live Review 2/99:

Ein Triumph der Dorfmusik

Tarafs de Haidouk im Freiburger "Jazzhaus"


Von Christian Rath

Taraf de Haidouk; photo by The Mollis Die Leute waren gekommen, um die rumänische Gypsi-Kapelle "Tarafs de Haidouk" zu sehen. Doch was ihnen im Freiburger "Jazzhaus" geboten wurde, waren gleich mehrere Konzerte in einem. In immer neuen Zusammenstellungen betraten die insgesamt zwölf Musiker die Bühne in dem rustikalen Gewölbekeller.

Man begann zu sechst. Vier alte Männer, dazu im Hintergrund ein Hackbrettspieler und ein Bassist. Die Alten alle um die 70 Jahre alt, im etwas altmodischen Sonntagsanzug, einer hat ein Honecker-Hütchen auf - etwa so wie man sich spontan "typische" Dorfmusikanten vorstellen würde. Zwei der Männer singen nur, die anderen spielen auch noch Geige. Richtig schön ist der Gesang eigentlich nicht, dafür aber mit viel Herzblut vorgetragen. Das Publikum im vollbesetzen Jazzhaus ist aber gleich in Stimmung und so war der Einstieg ja wohl auch gedacht.

Nach drei oder vier Stücken verlassen die alten Männer die Bühne, nur Ionicav am Hackbrett und Viorel am Baß bleiben auf der Bühne; die Musiker firmieren überall nur mit ihren Vornamen. Ionicav und Viorel müssen den ganzen Abend durchspielen, während die anderen viele Pausen haben. Jetzt kommt erstmal Falcaru, der Flöten-Virtuose, mit zwei neuen Begleitern. Er sieht aus wie ein Versicherungsvertreter in der Midlife-Crisis, aber Flöte spielt Falcaru wie der Teufel.

Taraf de Haidouk; photo by The Mollis Im nächsten Set steht Calin mit seiner Violine im Mittelpunkt. Daß er sich für den Star des Ensembles hält, merkt man sofort. Mit Zahnpastalächeln und großer Pose beschleunigt er immer mehr das Tempo, bis im Publikum großer Jubel aufbrandet. So ging es fast den ganzen Abend weiter. Tür auf, Tür zu. Dabei konnten sich alle zwölf Gruppenmitglieder als echte Vollblutmusiker präsentieren.

Väter der Gruppe sind eigentlich die beiden Belgier Michel Winter und Stephane Caro (sie tragen auch Nachnamen). Vor acht Jahren kamen sie bei einer Reise nach Rumänien nach Clejani in der Wallachei, ein Dorf in dem besonders viele Musiker lebten. Die besten von ihnen stellten sie zum "Taraf de Haidouks" zusammen. Taraf heißt auf rumänisch Kapelle, die Haidouks waren im 18. Jahrhundert Robin-Hood-artige Freiheitskämpfer. Unter diesem Namen begann die Formation dann durch ganz Europa zu touren und wurde schnell zu einem Top-Act der aufkommenden Weltmusik-Szene.

Winter fungiert noch heute als Manager und (mangels Sprachkenntnissen der Gruppe) auch als ihr Sprecher. "Ohne Stephane und mich könnte die Gruppe gar nicht existieren", erklärt er ganz unbescheiden. "In keiner normalen Gypsie-Kapelle wird man nämlich zwei gute Violinisten finden", so Winter, "da will eben jeder selbst der Chef sein", Bei den Taraf de Haidouks aber spielen drei virtuose Geiger und drei nicht weniger beeindruckende Akkordeonspieler. Deshalb tragen sie zurecht den Titel einer "Supergruppe". Und Michel Winter muß immer wieder vermittelnd eingreifen, damit der Taraf, den er auch seine "Familie" nennt, nicht auseinanderfällt.

Taraf de Haidouk; photo by The Mollis Im Konzert war von solchen Spannungen freilich nichts zu spüren. Das Programm im Jazzhaus bestand vor allem aus rumänischer Volksmusik. Ihre besondere Note erhielten die alten Weisen aber erst durch die recht freie Spielweise der Gypsie-Gruppe. Da gab es zum einen ziemlich lange und (da im Publikum kaum jemand rumänisch sprach) auch etwas langatmige Balladen über die Haidoucken-Kämpfer, den Frühling und die Liebe. Dazwischen demonstrierten die Solisten immer wieder mit Hochgeschwindigkeits-Einlagen ihr Können.

Am nachhaltigsten konnten die Tarafs aber bei stimmungsvollen Mid-Tempo-Stücken beeindrucken. Im Duett oder in größeren Gruppen gesungen kam so ein ganz eigenständiges Swing-Gefühl zustande. Da gingen die Herzen des Publikums auf und der ganze Jazzhaus-Keller wogte. Mit dem in Deutschland bekannten Sinti-Swing eines Titi Winterstein und anderer hatte das aber kaum zu tun. Die Taraf de Haidouks sind Volksmusiker, keine Jazzer - auch wenn ihr Konzert das diesjährige Jazzhaus-Festival eröffnete.

Taraf de Haidouk; photo by The Mollis Stört es die Gruppe, wenn sie oft als "Zigeunermusiker" bezeichnet werden? "Überhaupt nicht", erklärte Winter, "sie bezeichnen sich selber so und in ganz Europa sagt man nichts anderes, nur manche Deutschen haben Probleme damit". Seit dem Erfolgs-Film "Gadjo Dilo", der den Aufenthalt eines jungen Belgiers in einem rumänischen Tzigan-Dorf schildert, scheint sich der Begriff "Zigeunermusik" aber auch in Deuschland wieder durchzusetzen.

"Der Film beschreibt übrigens - leicht abgewandelt - die Geschichte von Stephane und mir", erzählt Michel Winter, "tatsächlich hat Stephane auch im echten Leben am Ende eine Zigeunerin geheiratet." Bei der Verfilmung des Stoffs durften die Haidouks dann aber - entgegen einer ersten Zusage des Regisseurs Tony Gatlif - doch nicht mitwirken. Der Film wurde in einem anderen Dorf gedreht.

Berühmt ist die Gruppe aber auch so geworden. Liebling des Jazzhaus-Publikums war der Senior des Ensembles, der 76jährige Neacsu. Zwar ist er mit den Fingern nicht mehr der Schnellste - wer aber in diesem Alter noch so verschmitzt lächeln kann, hat natürlich die Herzen auf seiner Seite.

Erst zum großen Finale kam im Jazzhaus der vollständige Taraf auf die Bühne, es war natürlich der triumphale Höhepunkt des Konzertes. Schade nur, daß man nicht schon vorher hin und wieder eine Kostprobe dieser zwölfköpfig vereinten Spielfreude erhielt.

Photo Credit: Photos by The Mollis: Taraf de Haidouk im Sommer 1995


Originalabruck in: Badische Zeitung, 5.11.1998

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© The Mollis - Herausgeber von FolkWorld; Veröffentlicht 2/99

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