FolkWorld #75 07/2021
© Thomas Winkler / amnesty international

Arabische Milch und jüdische Orangen

Die palästinensische Sängerin und Songwriterin Rasha Nahas ist in Israel aufgewachsen. Auf ihrem Debütalbum nähert sie sich dem Nahostkonflikt auf poetische Weise.

Rasha Nahas

Artist Video
www.rashanahas.com

Zwei Jungs spielen in Ruinen mit einer Pistole, ein bärtiger Mann ist an einen Olivenbaum gefesselt, zwei Frauen umkreisen sich tanzend im Sonnenlicht, und Benjamin Netanjahu sitzt auf einem Sofa und trinkt mit einer jungen Frau tiefschwarzen Kaffee. Ein Fiebertraum ist der Video­­clip zu "Desert" von Rasha Nahas, aber noch nicht einmal so anspielungsreich und voller verschlungener Symbole wie das Lied selbst.

Nahas ist 1996 in Haifa zur Welt gekommen und dort aufgewachsen als sogenannte "48erin". So werden jene Palästinenser genannt, deren Familien nach den Kämpfen 1948, die die Israelis Unabhängigkeitskrieg nennen und die Palästinenser "Die ­Katastrophe", in dem neu entstandenen Land geblieben sind und deshalb heute einen israelischen Pass besitzen. Die Auseinandersetzung um das Land liegt auf dem Alltag in Israel, auf dem Leben, auf den Seelen der Menschen und auf den Liedern von Rasha Nahas. Die Texte ihres Debütalbums, das ebenfalls den Titel "Desert" trägt, sind durchzogen von diesem Konflikt. Von der Vergangenheit, die, so beschreibt es Nahas singend in "The Clown", auf den Hügel klettert und ihren Namen ruft, von arabischer Milch und jüdischen Orangen, über die bittere Tränen vergossen werden, von diesem Krieg, der auf ihre Brust kriecht und flüstert: "Nimm mich mit."

Rasha Nahas

Rasha Nahas, "Desert", Rmad Records, 2021

Also hat sie ihn mitgenommen nach Berlin, wo sie seit 2017 lebt. Das war nicht der Plan. Sie hatte gehofft, sie könnte all das hinter sich lassen, sie könnte sich, so erzählt sie beim Gespräch in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, "neu definieren – außerhalb des Kontextes des Nahostkonflikts". Aber der Plan misslang, die 24-Jährige musste feststellen, dass man in einer Stadt wie Berlin, in der Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um zu feiern und zusammen kreativ zu sein, zwar die Nacht zum Tage machen kann und Gleichgesinnte findet, mit denen man Musik machen kann, aber man sich dann doch mitgenommen hat. Dass man sich immer mitnimmt. "Es fällt mir sehr schwer, die Grenze zwischen dem Politischen und dem Persönlichen zu ziehen", sagt Nahas mit ihrer sanften Sprechstimme, die so beruhigend klingt wie das Versprechen, es würde alles immer gut.

Wenn Nahas singt, verändert sich ihre Stimme, wird voller, kräftig, zornig und durchschreitet – mitunter in einem einzigen Song – ein Gefühlsspektrum von Melancholie über Wut bis zu leiser Hoffnung. Diese emotionale Achterbahnfahrt ist unterlegt mit Gitarren, die an der Lärmgrenze kratzen, dann aber wieder eingefangen werden von sanften Streichern und poetischem Klavier. In seiner Theatralik erinnert Nahas’ Debüt ebenso an den Film "Cabaret" wie an eine Rockband wie Queen. Im Gespräch fallen denn auch die Namen Freddie Mercury und Kurt Weill.

In der musikalischen Extravaganz, im abrupten Auf und Ab der Stimmungen spiegelt sich – mindestens so sehr wie in ihren Texten – die innere Zerrissenheit der Künstlerin, die wiederum vor allem ein Ausdruck ihrer Identität als 48erin ist. Eine Identität, die nur in seltenen Momenten zur Ruhe kommt. Einer dieser Momente ist die wunderschöne Coverversion von Leonard Cohens "Lover". Eine Palästinenserin mit israelischem Pass singt den Song eines Juden, der im französischsprachigen Teil Kanadas geboren wurde. Das klingt dann doch wie ein schöner Traum.



amnesty international


Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Ausgabe April 2021 des Amnesty Journals entnommen (www.amnesty.de/journal/). Thomas Winkler ist freier Journalist.



Photo Credits: (1)-(2) Rasha Nahas, (3) amnesty international (unknown/website).


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