FolkWorld #55 11/2014
© Daniel Bax & Francis Gay / amnesty journal

»Mich stößt dieser Zynismus ab«

Bonga Kuenda ist der bekannteste Sänger Angolas. Mit seinem legendären Album »Angola 72« wurde er zur Stimme der Unabhängigkeitsbewegung seines Landes. Ein Gespräch über Heimat, Geheimdienste und politischen Einfluss.

Bonga Kuenda, Sie sind der berühmteste Sänger Angolas. Warum leben Sie nicht dort?

Ich bin dort durch meinen Geist, meine Lieder und meine Poesie präsent. Und ich fahre inzwischen öfters hin. Aber auf Seiten der Behörden dort herrscht eine gewisse Bigotterie, ein gewisser Zynismus, der mich abstößt.

Woran machen Sie das fest?

Bonga Kuenda
Artist Video

Es ist eine neue Bourgeoisie entstanden, mit Privatflugzeugen und vielen Öl-Dollars, die sich der Mehrheit der Bevölkerung entfremdet hat. Die Leute studieren im Ausland, und wenn sie zurückkehren, tragen sie Krawatten, hören Rock und reden so, wie die Portugiesen in Portugal reden. Und diesen Habitus drücken sie dem Rest des Landes von oben auf. Ich bin damit nicht einverstanden. Wir haben eine Vielfalt an afrikanischen Sprachen, mit einer reichen Grammatik und einem reichen Wortschatz. Ich bin dafür, das zu bewahren.

Das klingt konservativ.

Ich bin nicht der edle Wilde, der in seiner Ecke verharrt. Ich bin nicht radikal und verschließe mich nicht der Welt. Ich habe mit vielen anderen Künstlern zusammengearbeitet, meine Türen stehen jedem offen. Aber wenn du zu mir nach Hause kommst, werde ich dir keinen Stockfisch aus Portugal servieren, auch wenn ich das selbst ab und zu gerne esse. Natürlich, es geht um Austausch. Aber jeder hat doch seine Art, seine Identität.

Wer hat Sie musikalisch geprägt? Meine Großmutter. Sie sang den ganzen Tag – egal, ob sie Wäsche gewaschen, geputzt oder gekocht hat. Man konnte in diesen Liedern fühlen, ob sie traurig oder fröhlich war. Erst später ist mir bewusst geworden, wie wichtig diese Songs waren, denn sie wurden von den Portugiesen unterdrückt. Manche dieser Lieder habe ich später aufgenommen.

Sie kamen 1965 als junger Leichtathlet aus Angola nach Europa und haben in Portugal mehrere Sprintrekorde aufgestellt. Wie sind Sie vom Sport zur Musik gekommen?

Ich bin in Europa vielen Vorbehalten begegnet: gegen meine Herkunft, meine Hautfarbe, meine Art. Ich hatte das Bedürfnis, mich auszudrücken und in den Niederlanden traf ich auf die kapverdische Community, die ihren Ausdruck hatte und in Rotterdam und Hilversum sogar eigene Plattenlabels besaß. Wenn man sich am Wochenende auf ein Gläschen traf, sang man. Der Mann, der die kapverdischen Musiker produzierte, Djunga di Biluca, war sofort Feuer und Flamme, als er mich hörte: Welche Stimme! Wie Ray Charles! Er wollte das sofort aufnehmen.

So ist 1972 Ihr legendäres Album »Angola 72« entstanden?

Wir sind morgens um acht ins Studio und abends um acht wieder raus und die Platte war fertig – an einem einzigen Tag! Wir waren nur zu dritt, zwei Musiker und ich. Der Mann, der sie aufnahm, wusste nicht, was ich da sang. Hätte ich ihm gesagt, wovon die Texte handelten, hätte es »Angola 72« wahrscheinlich nie gegeben. Aber diese Platte ist durch die Decke gegangen, und sie ist bis heute meine meistverkaufte Scheibe. Sie sprach die Leute an, die darin Botschaften erkannten, die für ihr Leben wichtig waren. Dieses Album hat die Leute wachgerüttelt und sie ermuntert, das Schicksal Angolas in die Hand zu nehmen.

Welche Folgen hatte das?

Eines Tages bekam ich einen Anruf. Man sagte mir, ich solle sofort fliehen, der portugiesische Geheimdienst sei mir auf den Fersen. Mein Album »Angola 72« sorge für Aufruhr, das sei kaum zu glauben! Reisende hatten die Platte nach Angola gebracht. Viele ahnten aber nicht, wie brisant das war. Es gab Leute, die nichtsahnend mit der Platte im Gepäck nach Luanda flogen und dort auf dem Flughafen festgehalten wurden. Man war gezwungen, die Hülle auszutauschen, um die Platte ins Land zu schmuggeln. Nur so konnte die Musik dort bekannt werden. Die »Nelkenrevolution« von 1974 stürzte das diktatorische Salazar-Regime in Portugal und Angola erlangte die Unabhängigkeit.

Wollten Sie da nicht zurückkehren?

Ich habe mehrere Versuche unternommen. Schon 1975, nach dem politischen Umbruch in Portugal, bin ich nach Angola gefahren, um zu sehen, wie sich die Lage dort entwickelt, aber ich bin sehr schnell umgekehrt. Andere sind zurückgegangen, die meisten davon sind heute tot. Das Land glitt in einen Bürgerkrieg ab. Und ich, der ich gegen die Kolonisatoren gesungen hatte, musste nun gegen diesen unglaublichen Krieg singen.

Aber Sie sind in Angola aufgetreten.

Bonga: Angola 72
Den Künstlernamen Bonga Kuenda hat er sich selbst gegeben – als Ausdruck seiner afrikanischen Identität, so wie die bunten Hemden, die er bei seinen Auftritten stets trägt. Sein bürgerlicher Name lautet José Adelino Barceló de Carvalho. Als junges Sporttalent kam Bonga 1965 aus der damaligen portugiesischen Kolonie Angola ins »Mutterland« und machte dort als Läufer Karriere, bevor er aus politischen Gründen nach Holland zog. Durch sein Albumdebüt »Angola 72« wurde er unverhofft zur Stimme der angolanischen Unabhängigkeits-Bewegung. Im Laufe seiner Karriere hat er mehrere Dutzend Alben herausgebracht und allen Versuchen widerstanden, sich in ein gefälligeres Format pressen zu lassen. Seine warme Reibeisenstimme und seine Lieder, die aus angolanischen Stilen wie Semba und Kizomba schöpfen, sind unverwechselbar geblieben. Der 73-Jährige lebt heute in Lissabon und Paris und hat vier erwachsene Kinder, von denen der älteste Sohn als Musiker in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist.

Ab und zu. Einmal habe ich sogar ein großes Friedenskonzert gegeben, vor 80.000 Menschen. Die Leute haben geweint. Aber ich habe auch die Hindernisse auf dem Weg zu einem echten Frieden gesehen. Darum bin ich im Ausland geblieben und habe dort über das Angola gesungen, das ich mir wünsche: ein friedliches und brüderliches Land.

Wie ist es jetzt, wenn Sie in Angola spielen?

Ich bekomme nur sehr wenige Einladungen. Es gibt in Luanda ein Jazzfest, aber dort habe ich noch nie gespielt. Bonga hat keine Priorität. Warum ihn nach Angola einladen? Damit er dort vor 80.000 Leuten von Dingen singt, die einen Aufruhr anstacheln könnten? Lieber nicht.

Die Behörden sehen Sie dort nicht so gerne?

Für mein letztes Album »Hora Kota« wurde in Angola kaum Werbung gemacht. Darum hat es noch nicht die Wirkung, die es haben sollte. Es sind einige Stücke darauf, deren Botschaften sind für das Land gedacht. Wenn ich dort auftrete, dann spiele ich immer Stücke daraus. Die Leute applaudieren, sie singen und tanzen mit, und wenn ich Autogramme gebe, stehen sie Schlange. Aber im Radio werden diese Stücke nicht gespielt.

Hat die Politik nicht versucht, Sie zu vereinnahmen – etwa mit dem Posten eines Kulturministers? Sie haben es versucht, sogar mit Geld und Versprechungen. Aber ich bin froh, sie enttäuscht zu haben.

Was halten Sie vom Kuduro – dem angolanischen Elektronik-Stil, der auch auf westlichen Dancefloors Furore macht?

Sie wissen, dass der Sohn des Präsidenten in Kuduro macht? Es ist also Geld da, um es zu promoten. Kuduro ist sehr rhythmisch und der Tanzstil erinnert an amerikanische Vorbilder. Die Texte sind allerdings nichtssagend: Es geht nur darum, wer der Größte ist. Und wenn man die Interpreten dann fragt, wo sie herkommen, dann erzählen sie, sie kommen aus dem Ghetto und haben noch nicht mal gefrühstückt, die meisten gehen auch nicht in die Schule. Ich fände es gut, wenn Kuduro anspruchsvoller würde und soziale Probleme anspräche.

Ist Ihr Rat denn gefragt?

Manchmal werde ich angerufen und gefragt, ob ich nicht mit einem Kuduro-Künstler zusammenarbeiten möchte. Denn manche, die eine kommerzielle Kuduro-Platte machen wollen, nehmen ein Semba-Stück auf, um zu zeigen, wo sie herkommen. Und dann komme ich ins Spiel. Aber wissen Sie, es gab immer Leute, die kurzlebige Dinge gemacht haben. Brasilien hat den Samba, in Argentinien gibt es den Tango, der Rock ist in Europa und Amerika zu Hause und wir in Angola haben den Semba. Er wird immer unsere wichtigste Musik bleiben.

Warum?

Das ist unser afrikanischer Blues, unser Gospel. Er ist voller Melancholie und Nostalgie. Daran haben die vielen Hochhäuser, die die Chinesen gebaut haben, und all die Banken in Luanda nichts geändert. Die Mehrheit der Menschen in Angola, die schon während der Kolonialzeit am Rande gelebt hat, ist immer noch arm. Man muss singen und daran erinnern.

amnesty international


Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem Monatsmagazin der Menschenrechtsorganisation amnesty international entnommen: amnesty journal 08/09 2014(www.amnesty.de/journal).


Photo Credits: (1) Bonga Kuenda, (3) amnesty international (logo) (unknown / from websites).


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