FolkWorld Ausgabe 43 11/2010; Live-Rezension von Christian Zastrow


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Casey & Doyle
Tønder 2009
Tønder 2008
Tønder '98-07

www.tf.dk

Festival als Ganzheit
Tønder Festival, 26.–29. August 2010

Wellies for Sale Vor dem offiziellen Beginn schlendere ich noch einmal die Hauptstraße entlang, um etwas Essbares aufzutreiben. Außerdem hatte ich aus den Vorjahren noch die große Vielfalt an Gummistiefeln in Erinnerung. Mir war schon aufgefallen, dass der geübte Folk-Festival-Besucher sich durch kleidsame Gummistiefel aus der großen Masse heraushebt, und spätestens in Gennetines (Frankreich) war dieses Thema für mich absolut überlebensnotwendig geworden.

Ich sehe viele Verkaufsstände, aber zunächst keine Gummistiefel. Auch habe ich den Eindruck, dass es im Vergleich zum Vorjahr weniger Straßenmusik gibt. Es scheint, dass der kommerzielle Wildwuchs etwas eingedämmt worden ist. Insbesondere sehe ich zunächst keine der sonst so aufdringlichen Indianer-Gruppen. Nur einige schrill gekleidete oder wild tätowierte Alleinunterhalter stehen in den Hauseingängen, und einige Gitarristen klimpern vor sich hin. Es herrscht entspannte Einkaufsstimmung.

Nach Bratwurst und gebrannten Mandeln finde ich endlich auch einige Pizza-Stände. Preise, Größen und Belag scheinen abgesprochen zu sein, als wenn alle die Pizzen aus der gleichen Quelle beziehen. Also ist es egal, wo ich kaufe. Mit meiner Pizza erreiche ich pünktlich zum Beginn um 15:00 Uhr wieder den Marktplatz (Torvet).

Caladh Nua

Caladh Nua @ FolkWorld: FW#40, #41, #43

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www.caladh.net
Die dunkle Wolke, die drohend über dem Ort schwebte, ist verschwunden, und die Sonne blickt verschämt durch die Wolken, ohne sofort brütende Hitze zu versprühen.

Es beginnt gleich mit toller irischer Musik: zwei Fiddles, der Banjo-Spieler spielt auch Tin Whistle und Mandoline (nein, ich will damit überhaupt nichts gegen Banjo-Spieler sagen …), ein Knopf-Akkordeon und ein Gitarren- und Bouzouki-Spieler, und fast alle singen auch: Caladh Nua sind meine ultimative Entdeckung auf diesem Festival. Die Band gibt es erst seit 2009, als sich die fünf jungen Musiker trafen und beschlossen, gemeinsam Musik zu machen. Und seither begeistern sie mit Instrumentalmelodien, traditionellen Liedern und eigenen Kompositionen.

Die Begrüßungsansprachen haben diesmal genau die richtige Länge: Nachdem es mir vor zwei Jahren zu lang (und zu dänisch) war, und letztes Jahr Prinzessin Marie (das erste Mal als Schirmherrin dabei) der Menge nur freundlich zuwinkte, wurden diesmal sowohl die Einheimischen als auch die Nicht-Dänisch-Sprechenden mit einigen Worten einbezogen. Es gibt ein Dankeschön an die Verantwortlichen und Helfer, und weiter geht es mit Rockabilly: Pokey LaFarge & The South City Three haben sich nicht nur musikalisch, sondern auch kleidungsmäßig den 60er-Jahren verschrieben.

Ich habe einen Platz mit guter Sicht erwischt, allerdings zu nahe an einem Getränkestand. Ständig muss ich Leuten ausweichen, die gut gefüllte Bierbecher durch die Reihen balancieren. Trotzdem schaffe ich es nicht, selber ein Getränk zu ergattern, ohne meine Position aufgeben zu müssen.

Valkyrien All Stars

Valkyrien All Stars @ FolkWorld: FW#41, #43

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Und der Hintergrundgeräuschpegel steigt beständig an, weil sich immer wieder Bekannte wiederfinden und herzlich begrüßen. So beschließe ich, mich darauf einzulassen, und das Festival nicht nur als eine Folge von Konzerten, sondern in seiner Ganzheit zu sehen, und setze meine Shopping-Tour fort.

Eine besonders interessante Erfahrung sind am Samstag um 13:00 Uhr in Zelt 1 die Valkyrien Allstars. Wie oft kann man hierzulande schon mal eine norwegische Hardanger-Fiedel hören? Und dann gleich drei auf einmal? Die Hardanger-Fiedel (norweg. Hardingfele) ist benannt nach einer Region in Norwegen (berühmt für ihre malerischen Fjorde und ihre Stickerei), sie ist oft reich verziert und besitzt neben den vier oder fünf Spielsaiten noch weitere Resonanzsaiten unter dem Griffbrett. Obwohl die Band auf ihren beiden CDs sehr rockige und elektronische Musik macht, ist sie nun als akustische Musik angekündigt, und sie beweist, dass sie auch leisere Töne beherrscht. Eine kurze Verschnaufpause im Backstage-Bereich, und schon stehen die drei punkig gekleideten jungen Musiker wieder am CD-Stand vor dem Zelt und signieren ihre CDs. Mir geben sie auch gleich zwei zum Rezensieren mit, von denen ich mir natürlich ebenfalls eine signieren lasse.

Wie heißt es so schön im Film „The Blues Brothers“: „Wir spielen beides …“ Hot Rize alias Red Knuckles & The Trailblazers machen ihre diesbezügliche Vielseitigkeit um 20:00 Uhr im Zelt 2 schon durch die Kleidung deutlich: streng mit Krawatte und Anzug spielen sie hochkarätigen Bluegrass, und mit Cowboy-Stiefeln, -Hüten und Glitterhemden Westernswing, alles eingebettet in eine unterhaltsame Bühnen-Show.

Nun bin ich aber auch noch gespannt auf die Gruppe Atlantihda, die ebenfalls am Samstagabend im Gymnasium und am Sonntagnachmittag beim „Ceilidh“ auftreten, denn Musik aus Portugal ist auf solchen Festivals nicht so häufig vertreten und auch sonst nicht so bekannt.

The Chair

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Musik zwischen Tango und Flamenco, mit Cello und Klavier etwas zu klassisch arrangiert, aber auch fröhliche Volksfeststimmung ist dabei. Meist geht es um die Liebe. Still steht die stimmgewaltige und emotionale Sängerin dabei selten: tänzerisch bewegen sich Schultern und Hüften, die Haare fliegen – und ihre Begeisterung überträgt sich auf das Publikum.

In Hagge’s Pub liegen wieder Programmzettel auf den Tischen, aber diesmal traue ich mich nicht, einen mitzunehmen. Ein wenig plagt mich das schlechte Gewissen: Nachdem ich vor zwei Jahren großzügig dazu aufgefordert hatte, diese Zettel für die persönliche Zeitplanung mitzunehmen, fand ich im letzten Jahr dort keine mehr vor – entweder weil zu viele Leser meinen Rat befolgt hatten, oder weil man in Unkenntnis meiner Empfehlung dort beschlossen hatte, mal keine zu drucken. Wie auch immer, an dieser Stelle nochmal ein dickes „Sorry!“

Das Wetter ist wechselhaft und geht am Sonntag in starken Dauerregen über, so dass die neuen Gummistiefel gleich ihren ersten Härtetest bestehen müssen. Sie haben zwar ein Blümchen-Muster und sehen damit doch wieder ein wenig nach Gartenarbeit aus, aber egal: Sie sind bequem, und ich bin für weitere Folk-Festivals gerüstet.

Das Ceilidh am Sonntag um 13:00 Uhr im Zelt 1 beginnt zwar etwas schleppend mit einem Solo von Ron Kavana, steigert sich aber dann. Und in diesen Stunden wird mir wieder einmal klar, worin der besondere Wert dieses Festivals liegt: dass man viele Künstler, die man in den letzten Jahren liebgewonnen hat (oft sogar aus Bands, die gar nicht mehr existieren) wiedersieht, neue kennenlernt, dass Veranstalter kleinerer Festivals sich hier einen Überblick verschaffen können, die Musiker sich gegenseitig kennenlernen und austauschen können (z. B. bei Sessions im Backstage-Bereich) und Nachwuchs herangezogen und gefördert wird (beim Projekt „Strings Attached“). An dieser Stelle also auch von mir wieder ein großer Dank an die Organisatoren und Helfer!

Tim Edey & Seamus Begley Karan Casey & John Jones
Chopper Fred Morrison

Photo Credits: (1) Tønder Logo (by Tønder Festival); (2) Wellies for Sale, (3) Tønder Festival Site (by The Mollies); (4) Caladh Nua, (5) Valkyrien All Stars, (6) The Chair, (7) Seamus Begley & Tim Edey, (8) Karan Casey & John Doyle, (9) Ray Cooper, (10) Fred Morrison (by Walkin' Tom).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2010

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