FolkWorld Ausgabe 34 11/2007; Artikel von Walkin' T:-)M


A Decade of Folk A Decade of Folk

A Decade of Folk

Swissfolk



Im World Music Rough Guide hat die Schweiz nicht einmal einen eigenen Eintrag erhalten, sondern wird kurz und knap unter der Rubrik Alpines abgehandelt. Dabei haben sich zarte Pflänzchen eines Swissfolk-Revivals entwickelt. Mit Tritonus und Doppelbock ziehen wir zwei davon an das Licht der Öffentlichkeit.

Tritonus

www.tritonus.ch
www.beatwolf.ch

Tritonus

Mitte der 1970er-Jahren kam es zwischen den Instrumentenbauern Beat Wolf und Urs Klauser zur musikalischen Zusammenarbeit. Beide waren angetrieben von der Frage: Warum haben andere Völker eine so interessante Volksmusik und wir nicht? Beat und Urs begannen, nach den verschütteten Wurzeln der Vor-Ländlerzeit zu suchen, der Schweizer Volksmusik und den Schweizer Instrumenten vor dem Jahre 1800. Das Ursprünglichere, Echte, Andere, garantiert moik- und trütschfrei, als Gegengewicht zur bekannt-berüchtigten volkstümlichen Schweizer Musik.

Beat und Urs sichteten alte, unveröffentlichte und schwer zugängliche Quellen; Appenzeller Musik, die bisher noch nie auf Tonträger erschienen war. Zudem rekonstruierten sie vergessene Schweizer Volksmusikinstrumente. So bauten sie eine Sackpfeife nach einer bis dato unbekannten Abbildung aus Michael Praetorius "Syntagma Musicum" von 1619 und ein diatonisches Hackbrett nach einem Plan von 1570. Ihre Band nannten sie Tritonus, nach der übermäßigen Quarte, wegen ihrer Dissonanz auch diabolus in musica genannt. 1991 nahmen sie die CD "Alte Volksmusik in der Schweiz" auf. Eine archaische Welt tat sich auf: Tänze, Balladen und Hirtenrufe (Chüereiheli). Gespielt auf alten und neuen Volksmusikinstrumenten wie Sackpfeife, Drehleier, Schalmei, Cister, Rebec, Trümpi, Schwegel und Brummtopf.

Nach und nach löste sich die Gruppe von den streng historisch-wissenschaftlichen CD-Versionen und wurde vielfältiger und süffiger. Das Repertoire wurde mit eigenen Kompositionen und Texten ergänzt.
Tritonus


Tien Schweiz Express
Doppelbock "Rund um de Buuchnabel"
eCHo "Pro Helvetia"
Tritonus "Alpan"
Doppelbock "Obio!"

www.folkmusic.ch
Im Frühjahr 2002 verließ Beat Wolf nach 25 Jahren die Gruppe, um sich ausschließlich seinem Beruf als Instrumentenbauer zu widmen. Urs Klauser sammelte neue Mitstreiter und fünfzehn Jahre nach der ersten - und bis dato einzigen - Produktion entstand 2006 eine neue Tritonus-CD.

Mit "Alpan" gingen die Musiker einen Schritt weiter. In Zusammenarbeit mit jungen Jazzmusikern sollte eine Musik gefunden werden, die Herkunft und Zukunft unserer Volksmusik vereint, die das alte Schweizer Liedgut und die Schweizer Instrumentalmusik mit modernen Klängen, Kompositionen und Improvisationen verbindet.

Wesentlich beeinflusst wurde Tritonus dabei von schwedischen Künstlern wie Ale Möller und Lena Willemark, nach denen die CD zu Ehren dann auch "Alpan" getauft wurde, zusammengesetzt aus Alpstein, einem Gebirgsmassiv in den Ostschweizer Kalkalpen, und dem Möller-Willemark-Album "Nordan". Tritonus hat sich damit zu höchsten Höhen aufgeschwungen. Im Titelstück wurde die Alpstein-Silhouette in ein Notenbild umgesetzt. Die CD-Release-Party fand folgerichtig auf dem Säntisgipfel, 2.500 Meter über Normalnull, statt.

Tritonus hat auch den Soundtrack für mehrere Hörspiel-Produktionen geliefert, u.a. Terry Pratchetts "Wachen! Wachen!". Dies ist witzigerweise der einzige Scheibenwelt-Roman, den ich bislang gelesen habe. Allerdings ist Tritonus nicht die einzige Band aus der Schweiz, die ich kenne.

Doppelbock & eCHo

Dide Marfurt zählt Bluesmusik zu seiner Einstiegsdroge, danach hat er die irische Lebensfreude entdeckt. Vor Ort wurde er immer wieder gefragt ob es denn auch Schweizer Volksmusik gäbe. Die Frage war berechtigt, fand er, machte sich auf die Spurensuche und gründete das Instrumental-Quartett Doppelbock. In Simon Dettwiler fand er einen jungen und experimentierfreudigen Interpreten der Schwyzerörgeli, einem diatonischen Akkordeon.
Doppelbock

www.doppel-bock.ch
www.bassdix.de
www.christinelauterburg.ch
www.corin.ch
www.narrenschiff-label.ch
Bassist Jean-Pierre Dix und Perkussionist Markus Maggiori machten die Gruppe komplett. Multi-Instrumentalist Dide Marfurt selber spielt so ziemlich alles von den typischen Instrumenten der sogenannten Weltmusik wie Busuki, Dobro und Tambura, als auch Instrumente der Vor-Örgeli- und Klarinette-Zeit wie Sackpfeife und Drehleier.

Doppelbock rät dem unvoreingenommenen Hörer, alle Klischees von Schweizer Volksmusik zu vergessen: Doppelbock setzt sich mit Schweizer Volksmusik auseinander, interpretiert die alten Melodien im Kontext der Zeit und verbindet so die Suche nach den Wurzeln mit den Bedürfnissen globaler Zugehörigkeit. Kein angestaubter Alternativ-Vortrag, sondern zeitgemässe 'living urban Swiss folk music'.

Die Musiker von Doppelbock empfinden sich nicht als Traditions-Ayatollahs, sondern sind urbane Schweizer, die sich nicht besonders für die gute alte Zeit interessieren. Andererseits geht es ihnen aber auch nicht um distanzierte Verhöhnung der volkstümlichen Musiker, stattdessen um die liebevolle Pflege der Tradition im Kontext der Zeit.

eCHo ist ein Gesangs-Projekt von Doppelbock, wobei bekanntere und weniger bekannte Schweizer Volkslieder entstaubt und zeitgemäss und lustvoll interpretiert werden. Mal im Popsongformat, mal als Jazzballade verpackt. Es heißt: Diese Lieder werden so interpretiert wie es zu unserem Leben passt: afrikanische Rhythmik, jazzige Gitarrenlicks, mittelalterliche Schalmeienklänge und popiger Harmoniegesang, lüpfiges Handörgeli mit wehmütiger Drehleier, Fagott und Djembe - World Music eben, Swiss Made. Doppelbock hat dabei drei herausragende Sänger und Sängerinnen entdeckt: die Berner Jodlerin Christine Lauterburg, die Weltmusikerin mit rätoromanischen Wurzeln Corin Curschellas und den Schwyzerdütsch-Veteranen Walter Lietha.

Angesichts dieses musikalischen Potentials wundere ich mich dann doch, dass die Schweiz allenthalben als langweilig gilt. Orson Welles hat das im "Dritten Mann" auf die drastische Formel gebracht: In Italy for thirty years under the Borgias they had warfare, terror, murder, bloodshed and they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love, five hundred years of democracy and peace. And what did that produce? The cuckoo clock!

Musikalisch stimmt das gar nicht. Nur muss man sich die Mühe machen, über den Berg zu blicken.

Photo Credits: (1)-(2) Tritonus; (3) Doppelbock (from website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2007

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