FolkWorld Ausgabe 32 12/2006; Live-Bericht von Karsten Rube


Können Holländer Fliegen?
Cornelis Voogdt & Ensemble Piaccordia, Berlin, März 2006

Am schönsten ist ein gemütliches Konzert in einem Restaurant, wenn die Tische nicht viel größer sind, als die Untertassen des Café Creme. Etwa so, wie an diesem feuchten Märzabend im Wilmersdorfer Restaurant Garçon, einer übersichtlichen kleinen Lokalität französischer Prägung.

Meine rechte Hand hält die Tasse umschlossen, mein linker Arm ruht auf einer Cornelis Voogdt, www.cornelis-singt.de Vitrine, aus der mich verschiedene Obsttorten herausfordernd anblicken. Im unteren Regal verweist ein Pappschild auf eine jederzeit lieferbare Creme brulée. Die Tassen klappern, Salatblätter knacken unter weißen Zähnen hinter roten Lippen. Ein verblassendes Foto eines alten Mannes im Anzug (wahrscheinlich ein leidenschaftlicher Boulespieler) hängt über der Kasse, in die der Wirt Jean Paul ein paar Rechnungen hineinbrubbelt. Ein schnöseliger Franzose mit onduliertem Haar betritt den Raum und verlangt nach Pastis. Das tut er während des Abend öfter. Nach einer Viertelstunde ist er bereits beim Dritten. Es wird voll.

Der musikalische Magnet des Abends befindet sich auf einer kleinen Bühne, die rot plüschig präpariert in einer Ecke in den bescheidenen Ausmaßen eines Séparées klemmt und heißt Cornelis Voogdt und das Ensemble Piaccordia. Seit Jahren lebt Cornelis in Deutschland und singt. Er stammt aus Holland, ist groß, steckt in einem schicken Anzug und wirkt vor dem Konzert nervös. Logisch. Er spricht keine Französisch, doch in seinem Programm befinden sich mindestens zwei Lieder in dieser Sprache. Wie das beim Publikum, das durchaus auch französische Wurzeln besitzt, ankommen wird, weiß er noch nicht.

Für den Abend war das Programm "Tulpenlieder" angekündigt, doch füllt eine Mischung aus den beiden Programmen, die Cornelis Voogdt mit dem Berliner Ensemble Piaccordia ausgeheckt hat, den Abend. Eines mit dem Namen "Sea Shore Songs" besteht aus tragischen Liedern voller maritimer Sehnsüchte, Liedern von der Liebe, dem Tod und der ewigen Suche nach dem Glück. Schließlich wird es gerade an der See deutlich. Die Sehnsucht zieht an des Menschen Seele, wie der Pol an der Magnetnadel des Kompass’. Er blickt über das Meer zum Horizont und wünscht sich in die Ferne, wo er sich den selben Gefühlen und Träumen hingibt, wie zu Haus, bis er irgendwann an einem fernen Strand steht und sehnsuchtsvoll zum Horizont blickt.

Das andere Programm ist holländisch und trotzdem voller Witz. Tulpen, Käse und Eurovisions- Contest, Fußballrowdys und Monarchie. Dass Holland noch mehr zustande bringt, als diese gängigen Begriffe weismachen wollen, beweist er in seinem Programm "Tulpenlieder". Dabei kommt man um Grand-Prix-Titel genauso wenig herum, wie um den Jacques Brel Klassiker Amsterdam. So wird es ein Abend, der weit über das Grachtenjammern und Shantiejodeln herausgeht, das man unwillkürlich mit den Titeln assoziiert.

Mit leicht belegter Stimme erzählt der Sänger kleine Geschichten, wie das Lied von der winzigen Frau, die eines Tages auf seinem Tisch vorfuhr und ihn schließlich im Bad beobachtete, als sie auf der Seife saß. Ein anderes Lied ist eine Liebeserklärung an zwei Motten in seinem Jackett. "Eine heißt Ginger, die andere Fred." Dann weicht der holländische Humor der großen Sehnsucht. Die Küste und das weite Meer ergreift ihn und Lieder, wie "Bad news from home" von Randy Newman ergreifen auch bald den Gast.

Und dann kommt die Feuerprobe. Der Akkordeonist des Ensembles nimmt die Gitarre, um mit lockerem Spiel im Stile Django Reinhardts Cornelis’ Version des Charles Trenét Klassikers "La mer" zu begleiten. Selbst der Pastis-Konsument, der bereits ein wenig glasig dreinschaut, jubelt und bravot.

Ich weiß nicht, was ich beim Hören der Musik des Berliner Ensembles Piaccordia zuerst tun soll, wehmutsvoll Lachen oder mich heiterer Melancholie hingeben. Es sind Träumereien am Ufer des Meeres, musikalisches Strandgut, das es aufzuheben lohnt, selbst bei Gefahr sich nasse Füße zu holen. Die Programme "Tulpenlieder" und "Sea Shore Songs" sind vertonte Sehnsüchte getragen von der Hoffnung, dass sie nicht endet. In der fabelhaften Begleitung des Ensembles Piaccordia glaubt man am Ende dem Sänger Cornelis, dass Holländer zwar nicht fliegen, aber den Hörer zum Schweben bringen können.

Das Ensemble Piaccordia, das den Sänger durch das Programm begleitet, besteht aus vier Musikern. Das sind die Geigerin Silva Finger, die ruhig und aufregungslos durch das Programm streicht, Danuta Jacobasch, die das Violoncello mit selbst für Cellisten einmaliger Mimik spielt und Gerhard Schiewe, der als Ensembleleiter das Akkordeon bedient und zurückhaltend lächelnd das Programm kontrolliert. Außerdem gehört noch der Bassist Wolfgang Musick dazu, aber der hat wegen eines Küchenunfalls an diesem Abend dienstfrei. Hätt’ er mal im Restaurant gegessen.

Die musikalische Orientierung des Ensembles beginnt bei der Salonmusik, was Gerhard Schiewe jedoch als zu einengend ansieht. Die Spannbreite ist größer und schließt Folkanklänge ebenso ein, wie Tango Nuevo, was beim Ensemblenamen nicht verwunderlich ist. Man denkt unwillkürlich an ein Wortspiel zwischen Piazzolla und Akkordeon. Stilistisch wäre es richtig, denn wo Akkordeon auf Streicher trifft, lässt sich Astor Piazzolla nicht immer vermeiden. Die Adaptionen, die das Ensemble vom großen Argentinier spielt, sind vielleicht nicht herzzerreißend, aber in jedem Fall hingebungsvoll. Der Name stammt allerdings offiziell nicht aus dieser Kombination, sondern verweist auf eine alte erwürdige Akkordeonwerkstatt in Italien, die sich Piakordia schrieb und heute leider längst nicht mehr existiert.

Trotz erstaunlich schlechter Eigenwerbung sind die raren Abende, in denen Cornelis Voogdt mit dem Ensemble Piaccordia im Berliner Umland spielt, gut bis hervorragend besucht. Wer also im Stadtmagazin zufällig auf diesen Namen trifft oder unwahrscheinlicher Weise im Internet etwas an aktuellen Terminen findet, wie gelegentlich auf der Seite des Sängers (www.cornelis-singt.de), der sollte sich am entsprechenden Konzertort einen Platz reservieren lassen. In der kleinen französischen Gastwirtschaft war es jedenfalls nötig, auch weil der Laden ohne musikalische Untermalung zu empfehlen ist. Garçons Küche sollte man probiert haben.

Photo Credit: Cornelis Voogdt (taken from website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2006

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