FolkWorld Artikel von Karsten Rube:

TERrA POLSKA - Ein Ausblick
Festival junger polnischer Kunst und Kultur: 20.-25. April in der Berliner Kulturbrauerei

Wenn sich am 1. Mai in zehn Ländern Europas die Schranken öffnen und nicht wieder schließen, wird alles... ja, wie? Besser, schlechter, anders als vorher? Vermutlich wird in den meisten Gegenden der größer gewordenen EU der Alltag am 2. Mai der selbe sein, wie immer. Veränderungen kommen allmählich, gemächlich, schleppend. Häufig schleppend genug, um sich darauf einzustellen.

Was nun alles besser und schlechter wird, darüber zerbrechen sich Presse und Stammtisch schon genügend Köpfe. Mit dem Ergebnis: keiner weiß Bescheid und alle haben recht. Fakt ist, dass die europäischen Kernnationen ihren elitären Clubcharakter einbüßen und Länder, die noch vor Jahren als die Erfinder von Konjunktur und Innovation galten und nun öffentlich als wirtschaftliche und intellektuelle Versagernationen dastehen, müssen sich nun mit Ländern einlassen, die in Aufbruchstimmung sind, in denen ein gewisser Pioniergeist herrscht und die Ideen haben könnten, mit den sich der Westen in seiner starren Verkrustung nur schwer abfinden kann. Die europäische Bürokratie wird sich diesem Enthusiasmus schon entgegenzustellen wissen. Vielleicht wird seitens politischer Entscheidungsträger auch einfach zu viel Wirbel gemacht um eine Entwicklung, die logisch, natürlich und folgerichtig ist. Andererseits haben Logik und politische Entscheidung nicht zwangsläufig die selben Eltern. Ängste und Skepsis, Hoffnungen und Aussichten, jeder denkt sich was bei der EU-Erweiterung.

Doch Kunst und Kultur sind für alle Europäer gleich wichtig. Selbst der Berufskiller schiebt während seiner unehrenhaften Tätigkeit gern ein Filmzitat ein, wie "Ich schau dir in die Augen, Kleines". Und unter Autoschiebern zwischen Barcelona, Berlin und Bialistok ist der beliebteste Satz immer noch: "Hol schon mal den Wagen, Harry!" Der Europäer ist in jedem Land ein Kulturbürger. Er liebt Musik, liest, geht ins Theater oder schaut in den Fernseher. Und wo im nichts davon vergönnt ist, pfeift er gern mal ein Liedchen., egal in welcher Region er lebt und welcher Profession er nach geht. In dieser Hinsicht können die schwindenden Grenzen nur positiv sein. Was hilft einem besser dabei die eigene Kultur zu verstehen, als sich die seiner Nachbarn zu erschließen und Vergleiche zu ziehen.

Einen Ausblick auf das, was die Kunst- und Kulturszene unseres östlichen Nachbarn Polen bietet, präsentiert die Berliner Kulturbrauerei während des Festivals Junger polnischer Kunst und Kultur vom 20.-25. April 2004. Das Festival trumpft mit einer Vielzahl von Veranstaltungen auf. Ein vielfältiges Spektrum erwartet den interessierten Besucher. Verbindende Elemente gibt es genügend, denn neben den polnischen treten auch zahlreiche deutsche Künstler auf. So lesen an einem Abend deutsche und polnische Autoren aus ihren Werken, diskutieren polnische und deutsche Frauengruppen über das neue Selbstverständnis der polnischen Frau und stellen die provokante Frage: "Kann Polen am Verkauf gut gepflegter und schöner Ehefrauen verdienen?" Sehr interessant klingt das Projekt "The Slubfurt Tourist Information". Es ist eine Wirklichkeitsinszenierung der zusammenwachsenden Städte Frankfurt/Oder und Slubice. Ein VW-Bus dient als Büro. Hier kann man alles über die Stadt erfahren. Postkarten, Stadtpläne Broschüren als Stadtführer. Man kann sich ein Video anschauen, etwas über die Geschichte Slubfurts erfahren und natürlich regionale Produkte erwerben, wie Slubfurter Bier. Eine Zukunft-Inszenierung, die vielleicht schneller von der Realität überholt wird, als man glauben will. Desweiteren wartet das Festival mit einem Filmfest auf, in der es einer Kurzfilmnacht zu besuchen gibt, in denen Studentenfilme der polnischen Filmhochschulen zu sehen sind. Das Filmkunsthaus Babylon spielt an jede Festivalabend in seinem Studiokino einen polnischen Spielfilm. Als Tipp sei hier die Andrzej Wajda Komödie "Die Rache" erwähnt, eine Komödie um einen verbissenen Streit unter Nachbarn, die mit Roman Polansky und Daniel Olbrychski prominent besetzt ist. Auch Theaterstücke kommen zur Aufführung. Drei Theater aus drei verschiedenen Städten Polens führen Sprechtheater (mit deutschen Übertiteln), Kabarett und Aktionstheater auf.

Warsaw Village BandEinen der Hauptpfeiler des Festivals stellt jedoch das Musikprogramm dar. Mehrere Konzerte finden statt. Vier Bands möchte ich kurz vorstellen. Besonders verwiesen sei auf das Konzert der "Warsaw Village Band". Im Jahr 2000 auf dem Tanz- und Folkfest Rudolstadt noch als "Kapela ze wsi Warszawa" angekündigt, haben sie sich schnell einen englischen Namen zugelegt. Vier Mädels und zwei Jungs, die durch die polnischen Dörfer zogen, um von den Alten zu lernen, deren Musik zu hören und zu spielen und sie damit vor dem Vergessen zu bewahren. Das fiel auch bei einem jungen Publikum auf fruchtbaren Boden und in der europäischen Folkszene ist für so etwas immer Bedarf. Konzertbesucher in ganz Europa waren begeistert, nur der Name... In Polen sprechen viele Leute ein erstaunlich gutes Deutsch. Englisch wird ebenfalls beherrscht und traditionell bestehen gute Verbindungen zu Frankreich. Umgekehrt lernt kaum ein Europäer polnisch und selbst der unmittelbare Nachbar tut sich schwer damit. Was lag also näher für die Musiker der Gruppe, als sich einen englischen Namen zu geben. Die Musik der "Warsaw Village Band" ist stark rhythmusbetont. Die Instrumentierung besteht hauptsächlich aus Streichinstrumenten. Unter anderem befindet sich eine alte Geige aus dem 17. Jahrhundert darunter. Sie selbst nennen ihre Musik "Hardcora of obora" - Hardcore aus dem Kuhstall. Oder kurz "Hopsasa" - was der klassischen Aufforderung zum Tanz nahekommt.

Das Quartett Scianka aus Sopot hat sich in die Musik der siebziger und sechziger verliebt. so sehr, dass sie sogar das Equipment aus dieser Zeit benutzt. Eine witzige Zeitreise, die 2001 den renommiertesten polnischen Musikpreis erhielt. Heftige rockende Bands werden schnell zu Kult. Die Musiker um den populären polnischen Rockstar Kazik Staszewski wussten das und haben sich von vornherein so genannt: KULT. In Polen sind sie tatsächlich Kult geworden. Von den 1400 Konzerten, die die polnischen Rolling Stones in den letzten Jahren gegeben haben und die sie auch in die U.S.A. führten, fanden nur eine Handvoll in Deutschland statt. Das Konzert von KULT in der Kulturbrauerei ist also eine Rarität. Schließlich sind noch die Oles-Brüder zu erwarten. Mit dem Holzbläser Mikolaj Trzaska erscheinen sie als Trio, das 2002 den Preis für das "Beste Polnische Jazzalbum" bekam. Gespielt werden eigenen Kompositionen, als auch Variationen solch wichtiger polnischer Komponisten, wie Penderecki.

Und wem jetzt immer noch was fehlt, der kann sich auf dem eigens auf dem Hof der Kulturbrauerei angelegten Polenmarkt mit polnischen Leckereien vollstopfen oder einen 2 m großen Gartenzwergkaufen. Das genaue Programm und Einzelheiten zu den vielen kulturellen Höhepunkten findet ihr unter www.terrapolska.de Also dann, entsprechend dem Brimborium, das all die Feierlichkeiten zur EU-Erweiterung begleitet: "Wolle mer se reinlasse!!!


Internetsite mit Bezug zum Artikel: www.terrapolska.de

Photo Credit: Warsaw Village Band (als Kapela ze wsi Warszawa auf dem TFF Rudolstadt 2000)


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 04/2004

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