FolkWorld Live Review 04/04 von Karsten Rube

Mariza - ein schillernder Paradiesvogel
live im Berliner Haus der Kulturen der Welt


In der nicht gerade farblosen Welt der Weltmusik gehört die portugiesische Sängerin Mariza derzeit zu den schillernden Paradiesvögeln. Mariza ist Portugiesin moçambiquanischer Abstammung, Fadosängerin und fühlt sich dabei nicht ausnahmslos jener Melancholie verpflichtet, die den Fado alsAusdruck des portugiesischen Weltschmerzes festlegt.

Als der Fado in den Arbeitervierteln Lissabons erfunden wurde, damals am Ende des 19. Jahrhunderts, bezog er seine Kraft fast ausschließlich aus Gesängen über Liebe und Leid, sparsam begleitet von der portugiesischen Gitarre. Als dann die gehobene Gesellschaft den Fado zur Salonmusik zurecht zupfte, ihn nicht mehr sang und fühlte, sondern bei Klavierbegleitung zum Vortrag brachte, war es vorbei mit der Authentizität. Nur vereinzelt pflegte man ihn noch.

MarizaMan kann den originalen, diesen wirklich authentischen Fado, der seine Seele auf der Zunge trägt, tatsächlich auch heute noch in Lissabon erleben, in einigen Kneipen und Tascas, vorausgesetzt, man ist Portugiese und weiß wo man hin muss. Für alle anderen bleiben die touristischen Varianten. Geningel und Gequengel zur Weinverkostung, nicht unbedingt, dass was der Portugiese eigentlich unter Fado verstehen möchte. Fado wurde auch unter dem Diktator Salazar gesungen, da die Lieder zunächst nichts staatserschütterndes in sich trugen. Und Sehnsucht, die durfte man auch in dieser Zeit auf dem Herzen tragen. Erst zum Ende der Diktatur wurde Fado politisch.

Mariza hatte mit der politischen Rolle des Fado nicht viel zu tun. Im Alter von drei Jahren kam sie nach Portugal. Da waren die Nelken der Revolution bereits verblüht. Schon früh sang sie die Lieder, die sie hörte nach. Doch all die Traurigkeit, die in den Lieder schwang, die musste sie sich erst erarbeiten. Zu ihrem Naturell gehört sie nicht. Mariza ist weit davon entfernt den Fado als eine sentimental verheulte Variation für Gesang und gezupfter Begleitung in depressiven Stunden zu verstehen, wie es dem Fado gern als Stempel aufgedrückt wird. Sie singt leidenschaftlich und pathetisch und ... sie tanzt. Ja, sie tanzt. Dabei gibt es keinen Tanz, den man als Fadotanz bezeichnen könnte.

Fado ist eine ernste Angelegenheit. Für Mätzchen war nie Zeit und wer in Fadokneipen reinblickt, sieht die Fadistas eher in der Raummitte stehen oder an der Wand lehnen. Selbst die erfolgreiche Sängerin Misia steht eher still auf der Bühne und wirft den Kopf zurück, statt über die Bühne zuhoppeln. Doch Mariza schwingt ihren weiten Glockenrock über die Bühne, als wäre hoher Seegang, schaukelt mit den Armen und wickelt sich in das große schwarze Tuch ein, das sie als Verbeugung vor der Tradition trägt. Dabei fehlt ihr die verschrobene ätherische Geisthaftigkeit einer Diva, als die man sie bezeichnet. Sie schreitet zwar wie ein Kunstfigur auf die Bühne und schwebt förmlich davon, wenn sie sie wieder verlässt, doch sobald sie sich dem Publikum hingibt, kokettiert sie und manchmal wirkt sie nahezu schwatzhaft. Dann fällt sie aus dieser Kunstrolle heraus und übt Worte, wie "Prost". Sie sucht mit ihren großen dunklen Augen das Publikum ab, bis sie jemanden findet, den sie mit ihrem Blick fixieren kann und wenn der Auserwählte verschüchtert seine Augen niederschlägt, um auf seine Schuhe zu schauen, lächelt sie einen leisen Triumph zur Decke. Dabei singt sie mit einer festen Stimme Fados, die es schaffen Fröhlichkeit zu wecken, ohne albern zu wirken.

Live lässt sie sich von der klassischen Besetzung: portugiesische, akustische und Bassgitarre begleiten, wobei gerade der Bass eine unheimliche Dynamik entwickelt. Der Bass wird von einem großen Mozambiquaner gezupft und damit sich das Instrument nicht in seinen gewaltigen Händen verliert, spielt er eine Bassgitarre, die nicht nur wegen seiner Größe eher an ein zerbeultes Cello erinnert, das er sich übers Knie gelegt hat. Virtuoses Solospiel beweist er mit diesem Monster genauso, wie zurückhaltende Begleitung. Wenn Mariza die leuchtende Flamme des Abends ist, so ist der Bassist der Kerzenständer. Den Wachs bilden die beiden Gitarristen, wobei die akustische Gitarre im Haus der Kulturen der Welt ein wenig nervös wirkte, während der Musiker an der portugiesischen Gitarre, sehr bald recht spielfreudig wurde und gern Marizas Gesang etwas prächtiger umrankte, als es der Einfachheit der Lieder gut tat.

Nachdem Mariza vor einem Jahr noch in kleineren Häusern spielte, in denen man sie völlig ungeniert (wie auf der Bühne des Berliner Tränenpalastes) ein Bier trinken sah, füllt sie heute ohne weiteres große Konzertsäle und benetzt sich bestenfalls die Lippen mit Wasser. In Berlin holten sie stehende Ovationen mehrfach auf die Bühne zurück. Zwei Drittel der Besucher sprachen portugiesisch. Für eine Fado-Sängerin ist ein Konzert in Berlin eine Art Heimspiel. Der nächste Besuch wird wohl in der Philharmonie stattfinden. Dort, wo Misia mehrfach auftrat und Madredeus, die anderen Ikonen der portugiesischen Musik. Dann ist es auch bei ihr die hohe Kunst des Fado, schön und voller Leidenschaft, aber von der Einfachheit eines Lissabonner Kneipenfados ein ganzes Jahrhundert entfernt.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 04/2004

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