Die Klarinette am Mund, Bayern im Blick und die Kleinen Antillen im Ohr - das hätte mich dieses Jahr fast davon abgehalten, das Tanz&FolkFest Rudolstadt zu besuchen. Aber erstens bin ich Rudolstadt-süchtig und zweitens durfte ich dieses Jahr einmal den Platz vor der Bühne mit dem auf derselbigen vertauschen.
Schiller war vom Saaletal begeistert - "außerordentlich schön" - und lernte in der (heutigen) Schillerstraße 25 Goethe kennen. Sonderlich begeistert waren sie nicht voneinander; Schiller interessierte sich doch mehr für die Tochter des Hauses. Die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt bemühten sich jedenfalls rührig das thüringische "Rudoldorf" in ein "Klein-Weimar" zu verwandeln. Wagner und Paganini kamen zu Gast; Füchsel veröffentlichte die ersten geologischen Karten; und sogar Generalfeldmarschall von Manstein ist mit Rudolstadt verbunden. Aber das ist alles Geschichte, die Ereignisse des Jahres 1989 jedoch bescherten nicht nur die Sanierung der Altstadt, sondern auch die Sanierung des sozialistischen Tanzfestes. Und Deutschland bekam endlich sein inter/nationales Tanz&Folkfestival: Das "schönste Kind der deutschen Einheit" (Die Zeit).
Auch dieses Jahr tummeln sich wieder über 100 "Acts" auf rund 20 Bühnen und Podien. Beim dritten Bewerbungsversuch haben Deoch an Dorais es endlich geschafft, ins Straßenmusik/Freie Bühne-Programm aufgenommen zu werden. Das ist wohl das Höchste, was man als deutscher Irish-Folker erreichen kann. Ohne irische Geburtsurkunde geht mit dieser Musik in Deutschland eben leider nur wenig. (Unsere Kollegen von der Klezmer- oder Balkanfraktion sind da besser dran.) Für uns Straßenmusiker gibt es keine Gage, aber freien Eintritt und Aufnahme ins Programmheft (wenn auch nicht in die Internetpräsentation). Ist doch auch was! Und seien wir ehrlich: Wir selbst wollen natürlich auch nicht unsere deutschen Kollegen sehen, sondern "the real thing". Und davon gibt es in Rudolstadt eh viel zu wenig.
Ich treffe am Donnerstag ein. Zuerst die notwendigen Übel: Künstlerbuttons und letzte Infos abholen, Campingplatz suchen und Zelt aufschlagen. Wäre ich doch nur Rockmusiker geworden, da bekommt man wenigstens ein Hotelzimmer, das man demolieren kann! Die Stadt schläft noch, nur an ein paar Bühnen wird gezimmert. Nach und nach treffen mehr Musiker ein. Bayern sind es aber wohl nicht, auch wenn sie tiefschwarz sind.
Abends ist zum Auftakt ein Sonderkonzert auf der Heidecksburg angesagt: 25 Jahre Deutsche Folkszene sollen gefeiert werden. Nun mal halblang! Jedenfalls begehen sowohl Liederjan (West) als auch Folkländer/Bierfiedler (Ost) ihr silbernes Jubiläum. Irgendwo zwischen nOstalgie einerseits und We(s)tteifer andererseits musiziert eine illustre Gästeschar: Erich Schmeckenbecher (Ex-Zupfgeigenhansel) stimmt das klassische "Andre, die das Land so sehr nicht liebten" an. Modern Talking - quatsch, die spielen in Gera -, ich meine, Dick Gaughan beschwört "Geronimos Cadillac". Ian Telfer und John Jones von der Oysterband warnen vor dem gemeinschaftlichen Zusammenleben: "Blood Wedding". 25 Jahre zu spät!
An nur zwei Bierständen heisst es, durstig Schlange stehen. Aber das ist noch harmlos. Nach der Scheidung - oder wie soll ich sagen? - stellen Bierfiedler und die Leipziger Folk Session Band im Heinepark ihre neuen Alben vor. Die Bands bekommen ein paar Kisten Bier, das Publikum sitzt auf dem Trockenen. Die ganz Verzweifelten stürzen sich in die schon eröffnete karibische Cocktailbar. Um vier Uhr morgens endet das Ganze dann mit einem gemeinsamen volksmusikalischen "Hollahi hollaho".
Freitags ist es brütendheiss. Danke Kleine-Antillen-Special! Mit den Folkworld-Kollegen geht es nach Weimar, um ans gemeinsame Grab von Schiller und Goethe zu pilgern. Der Tod verbindet bekanntlich! Bei unserer Rückkehr hat sich Rudolstadt in ein Meer aus Buden und bunten Vögeln verwandelt. Auf dem Markt folgt die offizielle Eröffnung mit Volkstanz und Peitscherln. Thüringischen jedoch, nicht bayrischen - wie ich zunächst vermute! Die kommen später. Und auch wenn das Programmheft verspricht: "Wir sprechen von bayerischer Musik, nicht von dem, was der Medienmarkt als ,Volksmusik' verkauft. Spricht man von einer Frau, meint man damit auch nicht automatisch eine Prostituierte." Meine Vorurteile können leider nicht widerlegt werden, dazu sind mir "originale Schuhplattler, Gstanzl-Sänger, Blaskapellen oder junge Jodler" genauso fern wie "musikantenstadeln, daß die Leitkultur nur so ins Kraut schießt, Schlager- und Show-Fast-Food, weichgespülte Samstagabend-Unterhaltung".
Katrin muss vom Bahnhof abgeholt werden. Nun ist schon mal unsere Rhythmussektion komplett. Wir streifen durch den Heinepark: Calexico entführen an die amerikanisch-mexikanische Grenze, Schandmaul ins verrockte Mittelalter (solch bayrische Musik gibt es auch). Lais singen belgische Weisen - mal a cappella, mal verfolkrockter.
Samstag morgen ist es mit Entspannung vorbei. Schlange stehen - diesmal vor sanitären Einrichtungen - und eine eiskalte Dusche. Was tut man nicht alles, um auf der Bühne ein wenig nett auszusehen. Der Rest der Band trifft ein und wir begeben uns zum Podium in der Freiligrathstrasse. Bei dem Detmolder Revolutionsdichter fühlen wir uns fast heimisch. Der GEMA-Bogen ist schnell ausgefüllt, das meiste ist eh traditionell. Noch bevor der erste Ton erklingt, stürzt der Campingstuhl von Katrin ein, so dass sie vorne auf dem Podium sitzen muss. Seamus, unser gefiedertes Maskottchen, hockt daneben und vertickt CDs. Die Sonne brennt herab und bringt uns gehörig ins schwitzen.
Straßenmusik
ist eigentlich nicht unsere Stärke, weil wir dazu gar nicht die nötige Lautstärke
aufbringen. Gisela spielt Fiedel, Kai Mandoline, Erik Whistle, Katrin trommelt
auf einer westfälischen Ziege und ich klampfe Gitarre und Bouzouki. Ohne Schweinereien
wie Bass oder Stromgitarre wirken wir schon fast traditionell. Wir beginnen
mit dem "Totentanz", den wir von Liederjan geklaut haben,
auf dem Kazoo. Den Bayern widmen wir "Freilich" (oder heisst es "Frejlech"?).
Ein paar Gassenhauer und Tunes, wenig Eigenes, bloß nichts Ruhiges. Nur den
Kariben können wir nichts geben (aber ist die Vulkaninsel Montserrat nicht von
Iren bevölkert worden?).
Wir sind rechtzeitig fertig, um Andy Irvine und Donal Lunny auf
dem Markt zu lauschen. Unscheinbar, aber da steht das personifizierte irische
Folkrevival auf der Bühne. Im Handwerkerhof spielen die Kollegen von den Irish Trad Heads.
Ein "Wandervogel" beklagt sich über diese immer gleich klingende irische Musik,
deutsche Volksmusik sei doch auch ganz schön. Nach der Frage, was ich denn so
spiele, versiegt das Gespräch. Und schon droht der nächste Auftritt. Und nicht
nur der. Dunkle Wolken türmen sich auf. Wir haben das Programm leicht gekürzt,
doch diesmal werden Zugaben gefordert. Wir hetzen die Reels herunter, Schlussakkord,
Instrumente verstaut, unter das nächste Dach gerettet. Und schon weint der Himmel
Tränen.
Rudolstadt verwandelt sich zu "Rudolstock". Auf der Burg spielt Dick
Gaughan. Seine ersten Worte sind "Welcome to Scotland". Markante
Stimme und brilliante Gitarrenarbeit, eigentlich der diesjährige Höhepunkt.
Die Stimmung ist aber auf dem Nullpunkt. Auch das anschliessende Rumgehopse
mit 10 Saiten 1 Bogen
und die Trommelorgie mit den Les Ton-Ton's können da nicht viel dran ändern.
Es
will und will nicht aufhören zu regnen. Sowohl Sonnenbrand, als auch ein beinahe
geflutetes Zelt - und das innerhalb von 24 Stunden. Das kommt auch nicht alle
Tage vor. Als wir uns doch endlich ins Freie trauen, fährt gerade ein Polizeibus
vorbei und filmt das Gelände. Ja, vom Folkie bis zum Krawalltouristen ist es
nur ein kleiner Schritt! So langsam werden die Koffer gepackt. Auch Sabotabbys
"Celtibilly" kann den Himmel nicht erheitern. Naked
Ravens poppige Barmusik passt da schon eher zum Wetter. Und als ob man
noch nicht genug Blues hätte, verabreicht Taj Mahal zum Abschluss noch eine
gehörige Dosis - wenn auch in Hula-Form. Da fühlt sich der Regen doch gleich
fünf Grad wärmer an.
Es ist der Zeitpunkt gekommen, Rudolstadt "adieu" zu sagen. Wie auch immer:
Die Unmenge an netten Leuten, Zuhörern, Zuschauern, Musikern, Organisatoren
und Helfern trösten über so manche Unbill hinweg. Komme was da wolle, bis nächstes
Jahr!
"Rain" © Lennon/McCartney
Einen weiteren Bericht vom TFF Rudolstadt 2001 hat Karsten Rube geschrieben:
Von Schlechtwettermännchen, Wasserbetten und Barfußtänzern
Weitere Infos auf der TFF Rudolstadt
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(1) Lais auf der Haidecksburg; (2) Das Jubiläumskonzert; (3 und 4) Deoch
an Dorais; (5) Taj Mahal
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online musikmagazins Nr. 19
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