FolkWorld Artikel von Walkin' T:-)M:

Es lebe der Zentralfriedhof

Austro-Folk 6: Das Ende vom Lied


Rounder Girls, photo: www.sra.at "Techniker-Intrige beim Songcontest!" Alle hätten sie geliebt in Stockholm. "Es war total leiwand, wir waren bei den ganzen Fanclubs die Favoriten und bei der Abschlussfeier wurden wir oft fotografiert", erzählen "unsere" Rounder Girls. Abgesehen von den Technikern: "Beim Sound haben die Techniker echt versagt - das kann ja wohl nicht sein, dass man es innerhalb einer Woche nicht schafft, drei Stimmen auszugleichen. Das Publikum mag ja überhaupt nicht politisch motiviert gewesen sein, aber die Techniker...?" Ja, diese beinharten Schweden. Die kennen keine Gnade! Auch bei drei gut- und so gar nicht arisch aussehenden jungen Damen bleibt immer der Ungustl aus dem Bärental im Kopf. Aber: "Die Rounder Girls sind in Graz vor hinterhältigen Technikern sicher!", verspricht ein lokales Käseblatt.

Lassen wir das! Anfang der Achtziger verbot der damalige ORF-General die Abspielung von "Da Da Da". Er muss geahnt haben, was da noch kommen würde: Der neue deutsche Kult-Star singt nicht nur (schlecht!), sondern möchte auch noch die Gastronomie bereichern (oder sagt man verärmern?). "Sladdis Shakesbier" hat allerdings einen Grazer Haken, denn hier ist der Name "Shakesbeer" geschützt. Während sich die Rechtsanwälte die Hände reiben, dürfen wir weiter "die Vorboten des staatlich geförderten Tittytainmaints" erleben, jener "Einlullungsmelange aus Sex, Musik und Flachsinn, mit der die steigende Zahl an Arbeitslosen und Sinnverlierern davon abgehalten werden soll, gegen ihr Geschick zu revoltieren. Vielleicht hängt der soziale Friede bald von Guildo, Zladdi und Verona ab. Vielleicht geht der nächste Friedensnobelpreis an RTL & Co." Vorerst droht uns der österreichische (!) RTL-2-Boss mit angeketteten Kandidaten und der Doku-Soap "Popstar", in der eine Girlie-Band Tag und Nacht auf ihrem Weg an die eventuelle Charts-Spitze beobachtet werden soll.

Lassen wir auch das! Wollen wir uns doch in dieser Rubrik der lebendigen Musikszene Österreichs widmen. Sagte ich lebendig?

photo: www.geocities.com/Athens/Olympus/4373/ Vorsicht ist beispielsweise geboten, will man sich mit einem Instrument auf die Straße wagen. Da kann die Fremdenverkehrswerbung noch so sehr mit dem Musikimage kokettieren. Allerorten ist man eifrig bemüht, Straßenmusikern "den Marsch zu blasen". Ein Schmankerl der 3. Art: "Die Einhebung eines Entgelts für die Darbietung von Straßenmusik von Zuhörern ist nicht gestattet. Erlaubt ist nur die Annahme von freiwilligen Spenden ..." Die Grazer Tourismus-Stadträtin (jetzt in die Bundesregierung hinaufbefördert) fordert gar, daß Musiker vor einer "Experten-Runde" auftreten sollen, bevor sie auf die Bevölkerung "losgelassen" werden.

Die Konzertreihe "Live am Platz" am Grazer Franziskanerplatz wird derweil "zum Flüsterfestival degradiert", sprich: der "70-Dezibel-Riegel" vorgeschoben. Der Streit tobt: "Jede Unterhaltung im Schanigarten ist lauter." "Kultur ist kein Lärm." "Eine gute Gruppe bringt auch, wenn sie leiser spielt, etwas. Ein Problem wird's nur, wenn sich Berufsjugendliche mit schlechten Musikern selber verwirklichen wollen." Der seit Jahren verwandten Bühne wird eine "primitive, unproportionale Holzkonstruktion ohne jeden formalen Bezug zur baulichen Charakteristik des Ortes" von der Altstadt-Sachverständigenkommission bescheinigt. Dummerweise zeigen alte Bilder des ehemaligen Fleischmarkts, dass die Dächer der Standln ein ähnliches Aussehen wie die heutige Bühne hatten.

Auch im Äther könnte bald tote Hose herrschen: So gibt es derzeit neun "Freie Radios", d.h. lokale, nicht-kommerzielle Sender, die auf Vereinsbasis arbeiten. Die Finanzen reichen gerade für einen Minimalbetrieb, jetzt droht auch noch der Ausstieg aus der Bundesförderung. "Das, was wir machen, ist gelebte Demokratie im öffentlichen Interesse, denn sonst macht niemand Programme für Minderheiten, Senioren oder Kinder." Aber vielleicht ist ja manchem (in der Regierung) Ö3 lieber, die "landesweite tagtägliche Reklame für das einfältige Leben."

Hans Theessink, photo: www.inode.at/theessink/ Genug der langen Vorrede! Werfen wir lieber einen Blick auf den (nahezu vergangenen) Festivalsommer. In Mistelbach, Gutenbrunn und Waidhofen waren neben internationalen Gästen auch wieder viele einheimische Künstler zu hören, wie z.B. die aus Holland stammende, aber in Wien lebende "Blueslegende" Hans Theessink, oder sein Kärntner Gegenstück Gottfried David Gfrerer. Bands wie die neuerdings vielgelobten Foggy Dew fahren auf der keltischen Schiene, aber als "Bungee-Jumping von den Höhen der Moderne in die Tiefe des Folk, mit ausgestreckten Armen hochgeschleudert ins 21. Jahrhundert." Irisch bis pannonisch, "oba tierisch, ned platonisch" geigen Hecknklescha auf: "Herb und derb, fruchtig-würzig, kräftig in der Wirkung und von deftigem Scharm, direkt und unbehandelt - mit schrägem Abgang." Sagt eigentlich alles, oder? 10 Saiten 1 Bogen wandeln auf Klezmerspuren. Nach der Demo gegen die schwarzblaue Regierung hieß es: "Der jetzige Aufbruch gibt Gelegenheit zu demaskieren: zynische, böse oder laxe Kulturmanager ebenso wie die offizielle FP-Kulturschiene, aber auch, sich mit aller Kreativität zu artikulieren. Schweigen ist Tod und nicht Gold." Folgerichtig stehen jiddische Lieder über "Widerstand, Armut und Träume" auf dem Programm.

Timna Brauer & Elias Meiri Ensemble, photo: www.8ung.at/brauermeiri/ Ein weiteres Klezmer-Schmankerl konnte man beim "Festival für gelebte Toleranz" erleben. "Musik verbindet. Gerade in Zeiten zunehmender Berührungsängste unter Menschen verschiedener Herkunft soll ein Beitrag zur besseren Völkerverständigung und Toleranz geschaffen werden." Das Festival "lädt zu interkultureller Begegnung ein und möchte damit auch einen musikalischen Gegenpol zu separatistischen Strömungen unserer Zeit bilden." Passend dazu das Timna Brauer & Elias Meiri Ensemble mit ihrem Programm "Music for Peace", das den Reichtum der jüdischen Musiktradition präsentieren soll, aber auch Querverbindungen zu asiatischen, nordafrikanischen und spanischen Einflüssen aufzeigen will.

Fetzige Blasmusik präsentiert das Sandy Lopicic Orkestar, eine Fusion des Theaterorchesters Devils Rubato Band und seinem Pianisten Sandy Lopicic und der Gruppe Deishovida. Die 15-köpfige Balkanband frönt der melancholischen, aber auch fröhlichen Musik des ehemaligen Jugoslawiens, wie sie auch Regisseur Emir Kusturica immer wieder in seinen Filmen verwendet. "Ein Erlebnis der anderen Art!"

Noch freuen dürfen wir uns auf das kommende Folk Festival in Hallein. Man sollte also vielleicht doch nicht sagen: Der Wiener Zentralfriedhof sei "zwar nur halb so groß, aber dafür doppelt so lustig wie Zürich." Er lebe dennoch hoch! Wie auch die gesamte Folk- und Weltmusikszene in der Alpenrepublik - insbesondere die jenseits von Tuten & Blasen. Pfiat eich!


Diskographie:

Wolfgang Ambros: "Es lebe der Zentralfriedhof"
The Foggy Dew: "First Spring of Concrete", "Colours", "Live", "When I'm There"
Gottfried D. Gfrerer: "Gottfried D. Gfrerer", "Stainless Steel"
Sandy Lopicic Orkestar: "Live!!!"
Hans Theessink: "Titanic", "Baby Wants To Boogie", "Johnny & The Devil", "Call Me", "Live", "Hard Road Blues", "Crazy Moon", "Journey On", "Blue Grooves from Vienna", "Lifeline"
Timna Brauer & Elias Meiri Ensemble: "Orient", "Prayer"
10 Saiten 1 Bogen: "Im Schtetl", "Spil ess noch amol!", "Samowar"

"Austro-Folk":
Teil 1: Der Himmel voller Geigen
Teil 2: Asien beginnt an der Landstraße
Teil 3: Die Kelten, die zu Hause geblieben sind
Teil 4: All That Strauss
Teil 5: Was Östreich is'


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 8/2000

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