Ausgabe 13 03/2000

Neue Scheiben aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik, zusammengestellt von Axel Schuldes

Sean Tyrell and Maire Breatnach at the Irish Folk Festival 96, photo by The Mollis Afro-Celt Sound System, Mary Black, Cormac Breatnach, Paddy Casey, The Chieftains, Dervish, Kevin Doherty, Keith Donald, Dordán, Martin Hayes & Dennis Cahill, Christie Hennessy, James Keane, Ben Lennon, Geraldine MacGowan, Kevin O'Connor, Peter O'Hanlon, Niamh Parsons, Kevin Rowsome, Tom Russell ... die Liste der Musikerinnen und Musiker, die '99 mit superben Veröffentlichungen im Bereich des Irish Folk aufwarteten, ließe sich sicherlich noch um etliche Namen erweitern. Was ein gutes Zeichen ist, denn das spricht dafür, daß das vergangene Jahr ein gutes war für die Musikszene Irlands. Wenn ich mich jedoch unbedingt auf eine "Top Ten"-Parade festlegen sollte, so wären es wohl die folgenden Titel, die ich benennen würde (keine Reihenfolge mit wertender Intention, daher rein alphabetisch):

Idir an Dá Sholas ist das erste Duo-Album der Schwestern Maighread & Tríona Ní Dhomhnaill. Tríona war Mitte der 70er Jahre Mitbegründerin der legendären Bothy Band, die leider 1979 ihr letztes Konzert gab und danach nie wieder zusammenkam. 1982 emigrierte Tríona in die USA, wo sie je zwei Platten mit den Gruppen Touchstone und Relativity und sieben Platten mit dem New Age-Ensemble Nightnoise einspielte. Vor kurzem kehrte sie nach Irland zurück und nahm sogleich mit ihrer daheimgebliebenen Schwester Maighread ein wunderschönes Album mit traditionellen Liedern in irischer und in englischer Sprache auf. Mastermind Donal Lunny führte und knüpfte die Fäden dieser Produktion mit gewohnt genialem Händchen zusammen. Topmusiker wie Máire Breatnach, Sharon Shannon, John McSherry, Mícheál O Domhnaill und Laoise Kelly trugen jeweils das ihre dazu bei, daß diese Songkollektion - ihrem "zwielichtigen" Titel zum Trotz! - in hellem Glanz erstrahlt.

photo by The Mollis Würde ich gezwungen, unter dem Stichwort "Album des Jahres" mich zwischen der Platte der Sangesschwestern und der aktuellen CD von Lúnasa zu entscheiden, dann hätte ich ein echtes Problem. Das letzte Mal, daß mich ein reines Instrumental-Ensemble so ohne Wenn und Aber begeistert hat, das war 1991, als Sharon Shannon mit ihrer Band die Bühnen im Sturm eroberte und ihre sensationelle Debüt-LP veröffentlichte. Insofern kann man auch durchaus mal ein Auge zudrücken, wenn man vernimmt, daß The Irish Voice die Band recht reißerisch als "the hottest Irish acoustic group on the planet" tituliert. Das Lineup des Power-Quartetts liest sich wie folgt: Kevin Crawford (Flute, Whistle & Bodhrán), Trevor Hutchinson (Double Bass & Cello), Donogh Hennessy (Guitars) und Seán Smyth (Fiddle, Whistles & Viola). Die Piper Mike McGoldrick und John McSherry sind also nicht mehr fest dabei, mischen aber als Gastmusiker dennoch kräftig mit. Otherworld bietet atemberaubendes Hörvergnügen von der allerersten bis zur allerletzten Sekunde. Die Arrangements sind unglaublich einfallsreich und das geniale Spiel der genannten Musiker rechtfertigt in diesem Fall tatsächlich mal das Etikett "Supergroup". So dynamisch und doch zugleich so delikat geflochten muß akustische Musik klingen, dann braucht man sich um Erfolg und Fortbestand des Genres keinerlei Sorgen zu machen. Allemal triumphal!

Der Kanadierin Loreena McKennitt ist das sympathische Kunststück gelungen, vor Jahren schon internationale Berühmtheit zu erlangen und trotzdem weiterhin den Kultstatus einer Künstlerin zu bewahren, die nur für eine kleine ergebene Fangemeinde existiert. Wie solch eine scheinbare Paradoxie funktionieren kann, davon vermittelt die Doppel-CD Live in Paris and Toronto mehr als nur eine Ahnung. Disc 1 stellt ein komplettes Konzert-Abbild ihres 97er-Albums The Book of Secrets dar, auf Disc 2 finden sich sechs der neun Stücke von The Mask and Mirror (1994) und drei weitere von The Visit (1991). Es kann sich eigentlich nur um charmantes Understatement handeln, wenn Loreena McKennitt in ihren Anmerkungen mutmaßt, daß diese Live-Mitschitte nicht so recht rüberbringen könnten, wo sie gerade in puncto Kreativität steht und daß sie eher ein wenig konventionell gestrickt seien. Das Gegenteil ist der Fall. Der Reiz ihrer Kompositionen erblüht bei den inspirierten Live-Interpretationen mehr noch als in den Studio-Versionen und in der magischen Konzert-Atmosphäre erleben wir Mrs. McKennitt auf der Höhe ihrer Kunst. Das Sahnehäubchen: Die Klangqualität der Aufzeichnungen ist von geradezu sensationellem Niveau!

Seit circa 15 Jahren bereits ist der Flötist Cormac Breatnach ein äußerst gefragter Mann auf der irischen Folk-Szene. Mitte der 80er Jahre spielte er in der Donal Lunny Band, später dann in der Band von Máire Breatnach (keine Verwandtschaft). Mit Lob überhäuft wurden die Auftritte und die beiden CDs seiner Folk'n'Jazz-Formation Deiseal, der aber letzten Endes leider der verdiente Durchbruch versagt blieb. Mit Musical Journey legt er nun endlich seine erste Veröffentlichung unter eigenem Namen vor. Cormac Breatnach entführt uns hier auf eine dramaturgisch gewitzt inszenierte Magical Mystery Tour, die uns mit den unterschiedlichsten Klangfarben, Tempi und Stimmungen in intensivste Berührung bringt. Wie perfekt ihm diese Gratwanderung gelingt, die so manch weniger Talentiertem zu einer wilden Mischung geraten wäre, das weist Cormac als ganz großen Könner aus, dem nur allzu gern einige der besten Musikerinnen und Musiker des Landes bei den Aufnahme-Sessions zur Seite standen. Zu den vielen Höhepunkten hier zählen die beiden Songs (!) "La Molinera" und "Maidin Luan Chincise", mit denen er sich so en passant als hochtalentierter Sänger outet. Hätten Sie's gewußt? Mit der Bemerkung "wonderful stuff" schließt Siobhán Long ihre Rezension im Fachblatt Hot Press ab. Damit hat sie absolut recht.

Luka Bloom, press pic Bereits 1998 erschien das bisher letzte Album des irischen Singer/Songwriters Luka Bloom ("the artist formerly known as Barry Moore"). Dieses introspektive kleine Meisterwerk mit dem Titel Salty Heaven ging jedoch in deutschen Landen so ziemlich unter. Schlimm genug. 1999 wurde mit "The Holy Ground" eine Single ausgekoppelt, aber nur in Irland. "I'm a Bogman", das zweite Stück darauf, ist der verkappte Knüller: "Luka's first recorded duet with his brother Christy!" Die Single wurde hier gar nicht erst veröffentlicht - sehr ärgerlich für die deutschen Fans, die mithin einer Rarität nachjagen durften. Aber jetzt gibt es zwei gute Neuigkeiten in einem Aufwaschen: Salty Heaven wurde 1) auf dem deutschen Label Pinorrekk Records wiederveröffentlicht und 2) um einen Special Bonus Track verlängert, nämlich... "I'm a Bogman"! Gut, gell? Apropos Christy Moore: Leider kann ich die beim letzten Mal gemachte Ankündigung, heute Näheres über seine neue Platte mitzuteilen, nicht einlösen, da uns (bisher) kein Muster auf den Tisch kam. Schade.

Für eine deutsche Publikation etwas über die Dubliner Sängerin Geraldine MacGowan zu Papier bringen zu wollen, das bedeutet wohl, die berühmten Eulen nach Athen zu tragen. Nach all den Jahren mit der Band Oisín und der Solo-Karriere, die sich daran anschloß, hat sie sich hier längst eine - immer noch weiter wachsende - Gefolgschaft ersungen. Aber natürlich ist dies nicht allein dank ihrer ständigen Präsenz auf deutschen Bühnen so, sondern auch die Qualität ihrer Platten-Veröffentlichungen hat dazu beigetragen. Ihr drittes Solo-Album, Timeless, ist womöglich sogar ihr bestes bisher, da es ihr mehr als je zuvor gelungen ist, sich bei der Auswahl des Repertoires einem subjektiven Optimum anzunähern. Das soll bedeuten: Songs aufzuspüren, die wie für sie geschrieben zu sein scheinen und denen sie daher die bestmögliche Interpretation zuteil werden lassen kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um aktuelle Kompositionen handelt oder um ältere Lieder - wenn sie den "richtigen" Song aufgetan hat, macht sie diesen zu einem echten MacGowan-Song, ganz gleich welcher Provenienz er sein mag. Wieder einmal gebührt den "Friends" ein fettes Kompliment; Brian O'Connor (Flöten) und Christopher Jones (Gitarren) adeln auch diese Produktion mit ihrer subtil spektakulären Umrahmung und Untermalung.

Sean Tyrell and Maire Breatnach at the Irish Folk Festival 96, photo by The Mollis Ein spannendes Konzeptalbum kommt aus Belgien. Unter der Federführung von Seán Tyrrell & Alfred den Ouden haben sich Musiker aus Irland und Flandern zusammengetan, um die Songs of Peace einzuspielen. Erzählt wird die Geschichte des irischen Dichters Francis Ledwidge, der - obgleich "Ire durch und durch" - während des Ersten Weltkrieges der britischen Armee beitrat. Sein ambivalentes Verhalten und sein zerrissenes Schicksal stehen hier stellvertretend für das so manches Iren in jenen Tagen. Durch die brutale Niederschlagung des Osteraufstands von 1916 fühlte Ledwidge sich von jener britischen Armee hintergangen und verraten, der er doch selbst angehörte. 1917 kam er in Flandern ums Leben. Die CD dürfte nicht ganz leicht zu bekommen sein, aber sie ist es allemal wert, ein paar Recherchen ins Werk zu setzen - allein schon wegen der ergreifenden Beiträge Seán Tyrrells!

Da der Sean nós-Gesang so etwas wie eine Renaissance erlebt, darf ein kurzer Hinweis auf zwei hochkarätige Wiederveröffentlichungen älterer Aufnahmen und auf eine brandneue Einspielung nicht fehlen. Rinn na nGael ist eine Kollektion von 19 Songs, die Nioclás Tóibín in den frühen 60er Jahren aufgenommen hat. Er gilt als einer der besten Sean nós-Sänger überhaupt, was ihm dereinst den Titel "The King of Irish Song" einbrachte. Aus den späten 80er Jahren stammen die Aufnahmen von Dara Bán Mac Donnchadha, die jetzt unter dem Titel Rogha Amhrán ihre CD-Premiere erleben. Am leichtesten zugänglich für ungeübte Ohren dürfte Searc Mo Chléibh von Finola Ó Siochrú sein, die nicht 100%ig auf die Gegenwart von Instrumenten verzichten mag, sondern gewitzterweise gelegentlich auch Steve Cooney (Gitarre), Máire Breatnach (Fiddle) und Breanndán Ó Beaglaoích (Akkordeon) zum Zuge kommen läßt. Dies ist ein feines Debüt einer großartigen Sängerin, von der wir möglicherweise noch viel hören werden.

Dereelium, press pic Schon vor geraumer Zeit haben sich sechs Musiker aus der deutschen Kelten-Oberliga zu einer Gruppe zusammengetan, die den witzigen Namen DeReelium trägt. Bis zur ersten CD-Vö dieser Formation hat es eine Weile gedauert, aber es war eine weise Entscheidung, sich Zeit damit zu lassen. Es macht Freude, doch hin und wieder auch mal eine deutsche Celtic Band zu hören, die nicht nach dem beliebten Motto "lauter, schneller, schlechter" auf ihre Instrumente eindrischt, sondern gegen den Trend mutig auf intelligente Arrangements und instrumentale Kompetenz setzt. Millvalley bietet eine gelungene Mixtur aus irischen Liedern und Tunes, interpretiert von Könnern aus unseren Breitengraden.

Und wer den Mut aufbringt, mal ein Hörerlebnis der ganz anderen Art zu wagen, dem sei das Album Panique Celtique des französischen Duos Manau ans Herz gelegt, das sich in Frankreich bereits über als zwei Millionen mal verkauft hat. Musik mit bretonischen Wurzeln, irgendwo im Spannungsfeld zwischen beruhigenden Roots-Klängen und HipHop-Energie, zwischen keltischem Groove und treibendem Rap, zwischen Mythologie und Technologie. Langeweile kommt unter Garantie nicht auf! Anspieltip: "La Tribu de Dana".

Im Rahmen des Robert-Burns-Projekts lieferte Ian Bruce etliche herausragende Interpretationen ab, die dann (leider) auf die diversen Folgen zerstreut waren. Dankenswerter Weise kam es nun zu einer Zusammenführung dieser versprengten Songs; unter dem Titel Alloway Tales bekommt der Ian Bruce-Fan sie en bloc auf einer einzigen CD dargereicht... und als Dreingabe sogar noch fünf neue Aufnahmen des stimmgewaltigen Schotten! Da hat doch mal jemand mitgedacht.

Die im letzten Heft für den 7. Oktober mit viel Getöse avisierten "Hot Press Awards" erwiesen sich als ziemlich laues Lüftchen. Den Juroren viel nichts Originelleres ein, als in der Kategorie "Roots Act" eine Gruppierung von aufstrebenden Talenten auszuzeichnen, die kollektiv als The Chieftains auf dem besten Wege sind, sich einen Namen zu machen. Und um die Zeremonie ansonsten nicht unnötig kompliziert zu gestalten, entschloß sich die Grand Jury, beinahe alle verbleibenden Awards den Corrs anzudienen. Die haben sich aufs Artigste bedankt und haben es irgendwie geschafft, die Pokalflut abzutransportieren. Wäre die Jury allerdings so richtig auf Zack gewesen, dann hätte sie den Corrs gleich schon die Schalen fürs Jahr 2000 mitgegeben. Das hätte die für Oktober 2000 anstehende Prozedur im Vorfeld schon gravierend vereinfacht. Meint jedenfalls

Axel Schuldes


Photo Credit: (1) Sean Tyrell and Maire Breatnach auf dem Irish Folk Festival 96; by The Mollis; (2) Fiddle & Flute, by The Mollis; (3) Luka Bloom, press pic; (4) Sean Tyrell and Maire Breatnach auf dem Irish Folk Festival 96; (5) Dereelium, press pic


Originalabdruck: 'irland journal' (Christian Ludwig Verlag, Dorfstr. 70, 47447 Moers).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2000

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