Ausgabe 10 7/99

Neue Scheiben aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik, zusammengestellt von Axel Schuldes

Der wackere VW Golf wird 25 Jahre alt, das Irish Folk Festival (und auch das Tønder Festival, Anm. d. Hrg.) gibt es seit 1974 und auch die irische Spitzenband De Dannan hat ein Vierteljahrhundert mit viel Erfolg hinter sich gebracht – wir gratulieren herzlich!
1999 - 25 years Tonder festival Um diesen Anlaß würdig zu zelebrieren wurde nun eine Doppel-CD mit dem bescheidenen Titel How the West Was Won veröffentlicht. Sie umfaßt 25 Stücke, welche die Geschichte der Band vorzüglich dokumentieren. Im Laufe der Zeit haben Frankie Gavin und Alec Finn im steten Wechsel viele von Irlands besten Musikern um sich gruppiert und vor allem auch immer wieder verblüffenden Spürsinn bewiesen, wenn es darum ging, neue Sängerinnen oder Sänger aufzutun. Einige von ihnen sind auch hier jeweils mit einem oder mehreren Songs vertreten: Dolores Keane, Maura O'Connell, Mary Black, Eleanor Shanley und Tommy Fleming. 16 Stücke wurden mit gutem Händchen aus zurückliegenden Alben ausgewählt, hinzu kommen sieben bisher unveröffentlichte Live-Aufnahmen und zwei neue Einspielungen, wobei auf einer der beiden der aktuelle Sänger, Andrew Murray aus Inisbofin, seinen Einstand gibt. Wenn es an dem Set überhaupt etwas auszusetzen gibt, dann ist es die Tatsache, daß weder ein Stück mit Johnny Moynihan noch eines mit Andy Irvine Berücksichtigung fand. Aber ansonsten gebührt der Kollektion eine nachdrückliche Empfehlung, es ist eine schiere Freude, all diese genialen Arrangements und all diese Virtuosen mal auf einen Streich offeriert zu bekommen!

Einer der vielen, vielen Musiker, die irgendwann mal bei De Dannan mitgemischt haben, ist John Faulkner. 1992 brachte er eine Soloplatte mit dem Titel Nomads heraus, die jetzt eine Wiederauflage erfährt – in klangtechnisch überarbeiteter Fassung! Beeindruckend allein schon ist die Liste der Leute, die John Faulkner mit Spielfreude im Studio zur Seite gestanden haben: Dolores Keane, Mairtin O'Connor, Maire Breathnach, Brendan O'Regan, Dermot Byrne, Tommy Keane, Gerry O'Connor und viele andere. Den ersten sieben Stücken hat John Faulkner den Obertitel "Into the Mist" gegeben und sie einer übergreifenden Idee folgend angeordnet: Indem er eine Auswahl aus seinen persönlichen Lieblingstunes und -songs getroffen hat, spürt er den diversen musikalischen Querverbindungen nach - von der Isle of Skye bis hin tief in die Sümpfe Louisiannas! Sollte der Prüfstein für alle Balladensänger ein Song aus dem Repertoire von Ewan MacColl sein, dann aufgepaßt, hier kommt ein Meister: Die Souveränität, mit der Faulkner den Klassiker "A Parcel of Rogues" vorträgt - nur von Piano und Snare Drums begleitet! - gebietet höchsten Respekt.

Art O Dufaigh ist ein in Irland recht beliebter Singer/Songwriter, der mit No Disguise erstmals auch auf Platte zu hören ist. Während er in seinen Konzerten vorzugsweise Lieder mit gälischen Texten vorträgt, so sind jedoch neun der insgesamt 15 Songs auf der CD in englischer Sprache, womit vermutlich ein breiteres Publikum angesprochen werden soll. Fast alle Songs zeichnen sich durch anspruchsvolle Poesie und ansprechende Melodien aus, so daß diese Kollektion eine wahre Fundgrube für ambitionierte Sängerinnen und Sänger sein dürfte – zumal Art O Dufaigh selbst als Interpret leider nicht ganz so zu überzeugen weiß wie als Komponist. Alte Hasen sind dagegen die Mitglieder der Bridge Ceili Band, die 1970 ins Leben gerufen wurde. Von Beginn an unterschied sich die Gruppe von vielen anderen Ceili Bands darin, daß ihr "Sound" von fünf Fiddlern geprägt wird, damals wie auch heute noch. Das neue Album, Sparks on Flags, ist ein wahrer Funkenflug an energiegeladener Musik - gespielt von ganz großen Könnern des Fachs! - die geradezu süchtig machen kann. It's reel time, folks!

Cool Fiddle; photo by The Mollis Ben Lennon gilt als einer der größten lebenden Fiddler Irlands. Zusammen mit John Carty (At the Racket), Ciaran Curran (Altan), Maurice Lennon (Stockton's Wing) und einigen anderen hochtalentierten Freunden hat er sich mal für zwei Wochenenden in einen Pub zurückgezogen, rund um die Uhr musiziert und dafür gesorgt, daß eifrigst mitgeschnitten wurde. Klar, daß das nur gut werden konnte! The Natural Bridge ist eine wunderbare Platte mit einem wunderschönen Booklet.

Apropos große Fiddler: Zu denen zählt auch ohne jeden Zweifel Kevin Burke, der nicht nur ein charismatischer Solist ist, sondern zudem ein genialer Ensemble-Musiker (Bothy Band, Patrick Street). Bei dem Live-Mitschnitt In Concert handelt es sich allerdings weitgehend um eine Solo-Affäre, mit Ausnahme einiger Stücke, bei denen Martin Hayes und der Gitarrist Aidan Brennan dazustoßen. Der Versuch, in Worte zu fassen, was auf dieser CD zu hören ist, ist zum Scheitern verurteilt - das ist große Kunst voller magischer Momente, das muß man einfach gehört haben! Für mich die herausragende Veröffentlichung des ersten Halbjahres '99.

Eine weitere sehr empfehlenswerte Fiddle-Einspielung legt Paul O'Shaughnessy vor, der lange Zeit bei Altan spielte und jetzt bei Beginish, der Überraschungsband des Vorjahres, mitmischt. Unterstützt wird er von dem Gitarristen Frankie Lane, so daß mancher vorschnell das Dream-Team Martin Hayes & Dennis Cahill als Maß der Dinge ins Spiel bringen wird. Da Vergleiche aber bekanntermaßen ja nun mal hinken, sei dem entgegengehalten, daß Stay Another While eine Liebeserklärung an die Musik des Nordwestens (Co. Donegal) ist, während Hayes & Cahill sich mit ganzem Herzen der Musik aus East Clare verschrieben haben. Punkt.

Niamh Parsons, Aoife Clancy, Ciaran O Gealbhain; photo by The Mollis Völlig zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten war Niamh Parsons, die Mitte der 90er Jahre bei der All-Star-Band Arcady die Nachfolge von Frances Black angetreten hatte. Ihre neue CD, Blackbirds & Thrushes, stellt eine Rückbesinnung auf ihre eigentliche Stärke dar, nämlich die Interpretation von eher traditionellem Material. Eben dieses zunächst einmal aufzuspüren und auszuwählen, dafür hat sie offensichtlich eine ganz besondere Begabung. Ihre wunderbare Stimme in Kombination mit den geschmackvollen, sparsamen Arrangements sollten hinreichend Garant dafür sein, daß sie sich mit dieser Platte in der Gesellschaft von Sängerinnen wie Susan McKeown und Cathie Ryan wieder zurückmelden darf. Ein Muß für Freunde schöner Stimmen.

Zum Thema schöne Stimmen muß noch nachgetragen werden, daß im vergangenen Jahr eine höchst interessante Vokal-Produktion unserer Aufmerksamkeit entgangen ist. Caron Hannigan, Peter Harney, Tara O'Beirne und Yvonne Woods – allesamt ehemalige Mitglieder von Anuna – touren seit geraumer Zeit mit dem Riverdance-Ensemble und haben unter dem Namen Maca eine eigene Platte aufgenommen. Auf faszinierende Weise werden traditionelle und klassische Wurzeln verflochten und wird aus zwölf Jahrhunderten keltischen Musikguts geschöpft, um von dichter Atmosphäre geprägte Klangbilder zu entwickeln. Die Darbietung lebt von der vokalen Präzision und dem bestechendem Harmoniegesang. Blood & Gold ist eine abwechslungsreiche CD, die mit pfiffigen Arrangements aufwartet und ein toller Tip ist für alle, die sich durch solche Musik angesprochen fühlen.

Tom Russell, der große amerikanische Singer/Songwriter, hat ein Konzeptalbum - so etwas wie eine Folk-Oper - verfaßt. Sie heißt The Man from God Knows Where und thematisiert Russells Ahnenforschung, die ihn bis in die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückversetzt und nach Norwegen und – aha! – Irland führt. Hier kommen Eoin O'Riabhaigh (Pipes und Whistle) und Dolores Keane ins Spiel. Sie verkörpert in dem Song "Mary Clare Malloy" eine Vorfahrin Russels und singt im Duett mit Iris DeMent "When Irish Girls Grow Up". Aber nicht nur wegen der Irish Connection sei dieses brillante Werk allen Folk-Freunden dringlichst ans Herz gelegt, sondern auch und vor allem, weil hier der seltene Fall gegeben ist, daß die Qualität der Musik mithalten kann mit der großen Idee eines Konzeptalbums. Jeder der 26 Songs hat einen bedeutenden Stellenwert im Kontext der Geschichte, könnte zugleich aber auch mühelos auf eigenen Beinen stehen. Das Sahnehäubchen dabei: Auch ihn tontechnischer Hinsicht ist dies eine wunderbare Produktion, denn die Musikerinnen und Musiker stehen live-haftig im heimischen Wohnzimmer!

1995 taten sich Donal Murphy (Akkordeon), Tommy O'Sullivan (Gitarre und Gesang) und Matt Cranitch (Fiddle) unter dem Bandnamen Sliabh Notes zusammen und veröffentlichten eine der schönsten Platten mit Musik aus jener Gegend, die Sliabh Luachra genannt wird. Jetzt endlich erschien Album No. 2 - das Warten hat gelohnt, Gleanntán ist mindestens ebenso gut wie das Debütalbum, wenn nicht gar noch ein ganzes Stückchen feiner geflochten und runder geraten. Wiederum steht natürlich die Musik aus Cork, Kerry und Limerick im Vordergrund, von der eine ganz besondere Faszination ausgeht. Und so ist es sehr passend, daß einer der beiden Songs hier "The People of West-Cork and Kerry" ist, aus der Feder von Jimmy MacCarthy. Die Fiddle-Begleitung, die Matt Cranitch dazuzaubert, ist allein den Preis dieser schönen CD wert!

Lecker Sachen's Markus; photo by The Mollis Drei Sachen kamen auf den Punkt genau erst zum Redaktionsschluß, so daß sie zwar nicht unerwähnt bleiben sollen, aber leider in dieser Ausgabe nicht ausführlicher kommentiert werden können. Celtic-Rock-Fans wird es freuen, daß es von Wolfstone etwas Neues gibt, die CD ist schlicht Seven betitelt. Für feinsten FolkHipPop stehen die Kölner Lecker Sachen. Ihren Klassiker "Lecker Sachen" gibt es nun auf eigenem Label als CD-Single. Und aus dem Hause Koch kam uns eine vierteilige CD-Reihe Celtic Music auf den Tisch, die sich dadurch auszeichnet, daß sie nicht zum x-ten Mal Künstler vorstellt, die ohnehin schon jeder kennt, sondern viele wirklich vorzügliche Musikerinnen und Musiker, die es möglicherweise noch kennenzulernen gilt. Nähere Details zu diesen CDs, die jeweils unter einem unterschiedlichen thematischen Aspekt zusammengestellt wurden, sind der separaten Auflistung zu entnehmen.

Photo Credit: All photos by The Mollis
(4) Niamh Parsons (hinten), Aoife Clancy, Ciaran O Gealbhain in Tønder 1998
(6) Lecker Sachen in Herne, Sonne

Originalabdruck: 'irland journal' 4/99 (Christian Ludwig Verlag, Dorfstr. 70, 47447 Moers).

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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 7/99

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